„Street.Life.Photography“: Unter diesem Titel zeigt das Kunst Haus Wien bis Mitte Februar 2020, wie unterschiedlich Fotografinnen und Fotografen von 1930 bis heute den urbanen Raum wahrnehmen. Sehenswert!
Persönlichkeits- und Urheberrechte, Datenschutzbestimmungen: Fast könnte man befürchten, die Zeiten der Street Photography wären vorbei. Doch das Kunst Haus Wien, das Museumsdirektorin Bettina Leidl übrigens zum ersten „grünen Museum“ des Landes mit Umweltgütesiegel gemacht hat, tritt mit einer in fünf Kapiteln unterteilten Ausstellung den überzeugenden Gegenbeweis an. Und zeigt bis Mitte Februar auf zwei Stockwerken mehr als zweihundert Arbeiten von 35 historischen und zeitgenössischen Fotografinnen und Fotografen, deren Herangehensweisen, Blickwinkel und Wirklichkeitsausschnitte unterschiedlicher nicht sein könnten.
Der US-amerikanische Fotokünstler Philip-Lorca diCorcia, von dem u.a. New Yorker Straßenszenen ausgestellt sind, hatte übrigens einen richtungsweisenden Rechtsstreit über Urheberrechte ausgelöst – und gewonnen, nachdem er im Jahr 2000 am New Yorker Times Square Ernest Nussenzweig, einen chassidischen Juden, ohne dessen Erlaubnis fotografiert hatte. Als Nussenzweig sein Foto 2005 entdeckte, verklagte er diCorcia und dessen Galerie, der Fall ging bis zum Supreme Court. Street Photographer DiCorcia plädierte auf seine Ausdrucksfreiheit als Künstler, Nussenzweig berief sich auf sein Recht auf Privatheit wie auch auf die freie Religionsausübung als chassidischer Jude: Die Veröffentlichung seines Fotos bedeute eine Verletzung seiner religiösen Überzeugungen, insbesondere des Zweiten Gebots, das die Anfertigung von Götzenbildern verbietet, zu denen auch Abbilder jeglicher Dinge in der Welt gehören. Beides, Ausdrucks- und Meinungsfreiheit sowie Religionsfreiheit, werden durch das First Amendment der Verfassung der Vereinigten Staaten garantiert. Das Gericht stellte sich letztlich auf diCorcias Seite, der Fotograf obsiegte über den von ihm Dargestellten – und damit in gewisser Weise die Kunst über die Zehn Gebote.
Was ist Klischee, was Vorurteil, und wie wirklich ist die Wirklichkeit denn überhaupt? Die Erzählungen des 41-jährigen algerisch-französischen Fotografen Mohamed Bourouissa über die prekären Verhältnisse in den Pariser Banlieues, über Drogendeals und desillusionierte Jugendliche beispielsweise, sind präzise inszenierte Nachstellungen mit Schauspielerinnen und Schauspielern. Der in New York lebende, vielfach ausgezeichnete israelische Künstler Natan Dvir wiederum bildet ab, was er auf seinen Expeditionen durch die Straßen erlebt und sieht. Und das kann mitunter erschreckend bizarr sein, wie seine Serie über den Sieg des globalen Kommerzes über den Menschen: Vor riesigen, knallbunten Plakatwänden schrumpfen Passanten zu Miniaturen.