Die Anti-Antisemitismusjäger

27. April 2022, Berlin: Menschen versammeln sich vor dem Brandenburger Tor zur Abschlusskundgebung des „Marsches des Lebens“ gegen Judenhass und Antisemitismus und für Israel. © Christoph Soeder/dpa/picturedesk.com

Viele Linke überschminken ihre Judenfeindlichkeit gern mit Sozialengagement und Israel-Bashing. Den Antisemitismus verorten sie dabei der argumentativen Einfachheit halber rechts.

Von Andrea Schurian

Es ist schon eine Weile her, da diskutierten der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, Hanno Loewy, und die in Berlin lebende österreichische Schriftstellerin Eva Menasse bei einer Podiumsdiskussion im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Thema: „Andere (Täter-)Länder, andere Sitten“.

Tief war im Haus der Kulturen allerdings nicht der Erkenntnisgewinn fürs Publikum, sondern das Niveau der beiden Diskutanten, die mit Allgemeinplätzen, Klischees, Vorurteilen und Verallgemeinerungen recht verschwenderisch umgingen. „Der deutsche Protestantismus ist ein Problem, wenn es darum geht, das Gute, das man erkannt zu haben glaubt, durchzusetzen“, sagte etwa Eva Menasse: „Und der Österreicher ist Katholik. Der trinkt dann was. Dann trinkt er zu viel. Und am nächsten Tag ist er verkatert.“ Aha. Ja. Ui. Man ersetze „Österreicher“ der Übung halber etwa durch „Rom und Sinto“ oder durch „Türke“ und schaue, wie der Satz dann klingt. Menasse und Loewy verorten den Antisemtismus der argumentativen Einfachheit halber rechts.

Schon vor gut zwei Jahren schrieb Hanno Loewy im Standard, die größte Gefahr gehe von der Mitte der Gesellschaft aus. Und ein paar Zeilen weiter: „Noch immer geht die größte Gefahr für Juden in Österreich und in Europa von Rechtsextremen aus, auch wenn sich manche Islamisten anstrengen, davon zu lernen.“ Dieser Satz ist angesichts all der islamistischen Terroranschläge einigermaßen kühn. Und wer beispielsweise die antisemitischen Documenta-Beiträge (siehe auch S. 53) als judenfeindlich benennt, ist, ja genau, reaktionär. Eva Menasse plädiert dafür, antisemitischer Kunst mit mehr Gelassenheit zu begegnen. Weil ihr nämlich weder zwanzig Jahre alte antisemitische Karikaturen aus Indonesien noch deren Erzeuger Angst machen, schrieb sie im Spiegel. Auch hier sei eine kleine Gedankenübung anempfohlen: Ersetzen Sie „zwanzig Jahre alte antisemitische Karikaturen“ durch „fünfzig Jahre altes antisemitisches Liedgut.“ Mir macht beides Angst.

Gewaltausübungskurse

Ihr sei schwer unbehaglich „angesichts des diskursiven Reinigungsfurors eines publizistischen Bataillons aus Anti-Antisemiten, die offenbar wirklich glauben, dass sie dieses Land bald, vielleicht schon übermorgen, antisemitenfrei kriegen (…). Kriegt ihr aber nicht, niemals, nicht nach zweitausend Jahren des tief verwurzelten christlichen Antisemitismus, vom Holocaust gar nicht erst zu reden“, schrieb Eva Menasse auch. Achso. Und weil man das Land vielleicht übermorgen doch noch nicht antisemitenfrei kriegt, soll man jetzt genau was machen: nichts? Warten? Und zwischenzeitlich BDS-Aktivist werden? Viele Linke überschminken ihre Judenfeindlichkeit gern mit Sozialengagement und Israel-Bashing. Sie fordern eine neue Intifada und ein freies Palästina „vom Jordan bis zum Mittelmeer“, also auf dem gesamten Staatsgebiet Israels. Frieden? Klingt anders.

Schon in den 1970er und 1980er Jahren schlangen sie sich Palästinensertüchter um den Hals und verehrten PLO-Chef Jassir Arafat wie einen Popstar. Der betrieb, ehe er gemeinsam mit Jitzhak Rabin zum Brückenbauer und Friedensnobelpreisträger avancierte, gut besuchte PLO-Trainingslager, um Flugzeugentführer und (Selbstmord-)Attentäter möglichst gut auszubilden. Auch deutsche RAF-Terroristen, Mitglieder der italienischen Brigate Rosse oder der frazösischen Untergrundorganisation Action Directe waren gelehrige Gastschüler in den Camps und wurden für erfolgreich absolvierte Gewaltausübungskurse mit Waffen und Munition belohnt. Und wenn die Hamas aus dem Gazastreifen tausende Raketen auf Israels Zivilbevölkerung abfeuert, plärren (angeblich) antifaschistische Linke Seite an Seite mit homophoben Islamisten, arabischen Ultranationalisten, rechtsradikalen Erdoganisten, Grauen Wölfen, Hisbollah-Anhängern und Muslimbrüdern Parolen wie „Israel – Kindesmörder“ und schwingen Hamas-Flaggen. Das ist so, als würden rechte Wiederbetätiger mit Hakenkreuzfahnen durch Wien laufen, denn Symbole der radikalislamistischenTerrororganisation Hamas sind in Österreich verboten.

„Krebsgeschwür“ Israel

Im Rahmen des Antiterror-Pakets hat auch Österreich – nach Israel, Kanada, den USA, Argentinien, Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland und Honduras – voriges Jahr die Hisbollah und deren Insignien verboten. Gedauert hat es bis zur Gesetzwerdung immerhin ein ganzes Jahr, ein diesbezüglicher Entschließungsantrag wurde bereits Ende Mai vorigen Jahres im Nationalrat eingebracht. Sogar die Arabische Liga war schneller als Österreich und erklärte die „Partei Gottes“, die 1982 von den iranischen Mullahs als antiisraelische Außenstelle im Libanon gegründet worden war, bereits 2016 zur Terrororganisation. Wichtigste geistliche (und spendable) Autorität der Hisbollah ist übrigens Irans Ajatollah Ali Chamenei, der die Vernichtung des Judenstaates mit den Worten zur Staatsräson erklärt hat, dass das „Krebsgeschwür, genannt Israel, aus der Region herausgerissen werden muss. Der Iran wird jedem helfen, der das zionistische Regime bekämpft, so wie er schon in der Vergangenheit Hisbollah und Hamas geholfen hat“, so Irans oberster geistlicher Führer, dem das hinterhältige Messerattentat auf den Schriftsteller Salman Rushdie als Quell der Freude galt. Mir ist nicht erinnerlich, dass Muslime gegen den Mordversuch demonstriert hätten. Wer also islamistischen Irrsinn kritisiert, ist rechts?

„Hofjuden“

Weil so viel von anti-antisemitischer Gefahr die Rede war auf dem Podium: Die Gefahr ist eh nicht sehr groß, aber ganz ehrlich würde ich es nicht riskieren, Hanno Loewy zu einem privaten Abendessen einzuladen. Er würde es nämlich schlimmstenfalls Jahre später noch gegen mich verwenden – so wie gegen jene jüdische Wiener Familie, bei der er zum Schabbat-Dinner eingeladen gewesen war und über die er im Haus der Kulturen in Berlin ebenso herablassend wie höhnisch herzog, deren berufliche Tätigkeiten bis zur genauen Kenntlichkeit beschrieb und sie letztlich auch noch als „Hofjuden“ desavouierte. Wie sehr ihn seine Erinnerungen an den doch gut zehn Jahre zurückliegenden Abend trogen, weiß man freilich nicht, denn die Gastgeber waren zu dem Podiumsgespräch nicht eingeladen. Dass die Moderatorin Miriam Rürup, immerhin Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, dieser übelmeinenden Nachrede freien Lauf ließ, ist ebenso skandalös wie die Tatsache, dass sie die Titulierung „Hofjuden“ einfach stehenließ. „Die antisemitische Propaganda des Nationalsozialismus nutzte die Rolle der jüdischen Hoffaktoren (=Hofjuden), um die angebliche Schädlichkeit der Juden unter Beweis zu stellen. Gleichzeitig sollte die NS-Geschichtsforschung mit dem Buch Hofjuden von Peter Deeg diesen Thesen einen wissenschaftlichen Anstrich geben.“ (Wikipedia)

Propaganda

Aber gut, Frau Rürup hielt auch bei auch persönlichen Beleidigungen gegen den NU-Mitbegründer, Mehrheitseigentümer und Begründer des Nahost-Thinktanks Mena-Watch, Erwin Javor, den Mund. Mena-Watch sei, so Loewy, eine „toxische Plattform“, die „islamfeindliche Propaganda at its best“ betreibe, der Think-Tank sei „Ort antideutscher Propaganda, in Wirklichkeit deutsch-nationalistischer Propaganda“. Eva Menasse widersprach nicht, sondern setzte noch eins drauf und bezeichnete Mena-Watch als „antideutsches Nest der Wahnsinnigen“, deren Finanzier sie sogar persönlich kenne. Was sie nicht dazugesagt hat: Sie hat ihn sogar gebeten, das Kaddisch (Totengebet) am Grab ihres Vaters zu sprechen. So geht Freundesweglegung vor Publikum.

„Links sein kommt offenbar seit einiger Zeit immer stärker ‚im Paket‘ mit Israelhass, mit undifferenziertem Bashing all jener, die erkennen, wer hier der Terrorist ist und wer legitimer Staat. Frau Menasse spricht damit allen zu, die am Grab des Herrn Arafat Kränze abwerfen, eines Mannes, der mit Milliarden auf dem eigenen Konto seine Mitbürger zu Selbstmordattentätern erzog und jedes(!) Friedensangebot sabotierte. Ignoriert wird, dass über 80 Prozent der israelischen Araber, die ja wohl wirklich wissen müssen, was vorgeht, ums Verrecken lieber in Israel leben als unter Arabischer Ägide“, postete „Chochm“ in der Zeit. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Die mobile Version verlassen