Gedanken zur aktuellen Debatte um Tests als Voraussetzung für Einbürgerungen
Von Heide Schmidt
Hirsi Ali ist nun wieder eine Fremde. Der populären Somalierin, die von Holland aus für eine Modernisierung und Öffnung der islamischen Gesellschaft gekämpft hatte, wurde nach 13 Jahren die Staatsbürgerschaft entzogen, weil sie seinerzeit zu ihrer Biographie falsche Angaben gemacht hatte. In den Jahren ihres Aufenthaltes in den Niederlanden war sie zu einem öffentlichkeitswirksamen, wichtigen Mitglied der Zivilgesellschaft geworden und sogar Abgeordnete einer Partei, die zum liberalen Spektrum gezählt wird. Als Flüchtling von der Putzfrau zur Dolmetscherin, Politologin und schließlich Politikerin – welch ein Symbol für gelungene Integration! Aber ihre Islam-Kritik hatte ihren Preis: Vom Tod bedroht, war ein Leben ohne Personenschutz nicht mehr möglich, die BewohnerInnen ihres Wohnhauses konnten sogar Alis Auszug gerichtlich durchsetzen, weil die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen die Privatsphäre sämtlicher NachbarInnen gravierend beeinträchtigte. Als inländischer Staatsbürgerin, wohl erst recht als Abgeordneter, stand ihr der aufwändige Schutz zu. Nun ist sie beides nicht mehr; sie wird auswandern. Was steht dahinter, wenn ein Gesetz vorsieht, dass eine Staatsbürgerschaft unabhängig vom Zeitablauf, von den Rechtsfolgen (etwa Staatenlosigkeit) entzogen werden kann, wenn ihr (auch verzeihlich und verständlich) unrichtige Angaben zu Grunde liegen? Ist aus der Unwahrheit auf ein bestimmtes staatsbürgerliches Verhalten zu schließen, will sich also der Staat vor einer verlogenen Gesellschaft schützen? (Für dieses Ziel könnte man mich schon gewinnen.) Ist anzunehmen, dass ein Flüchtling, der vor Jahren die Staatsbürgerschaft mit einer Notlüge erwarb, nicht bereit ist, sich an die Gesetze zu halten? Natürlich geht es nicht darum. Vielmehr benützt die Politik die Staatsbürgerschaft als Instrument, das sie sowohl kurzfristig taktisch als auch langfristig strategisch einsetzt, aber jedenfalls immer so, dass sie ihren parteipolitischen Interessen dient. Dieses auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbare Verhalten stellt sich schon auf den zweiten Blick als höchst problematisch dar. „Das Recht geht vom Volke aus“, bestimmt (nicht nur) unsere Verfassung. Aber wer gehört dazu? Die Einbürgerungsregeln und -praxen werden immer restriktiver, die Ausbürgerungen nehmen zu. Die Menschen dürfen zwar hier leben, arbeiten und Steuern bezahlen, aber sie dürfen nicht mitbestimmen. Und auch am Arbeitsmarkt ist ihnen ein Segment verwehrt, das nur InländerInnen vorbehalten ist: der öffentliche Dienst sowie jener Bereich, der einst verstaatlicht war, also etwa Bahn-, Verkehrs- und Energiebetriebe. Allein dieser Zustand droht den sozialen Zusammenhalt zu gefährden, aber was soll man davon halten, wenn es für bestimmte Gruppen von AusländerInnen auch noch gesonderte Wahrheitstests gibt? In unserem Nachbarland Deutschland kursieren behördliche Gesprächsleitfäden, denen einzig Einbürgerungswillige aus muslimischen Ländern unterworfen sind. Im Gegensatz zu allen anderen StaatsbürgerschaftswerberInnen müssen sie nicht nur geloben, sich an die Gesetze ihrer neuen Heimat zu halten und alles zu unterlassen, was deren Interessen (welche sind das im Konkreten?) schaden könnte, sondern auch, ob deren Grundsätze ihren persönlichen Vorstellungen entsprechen. Schon die Frage, was sie davon halten, dass Homosexuelle öffentliche Ämter bekleiden, würde wohl so manchen Inländer in Schwierigkeiten bringen. Ein ganzer Katalog von Fragen, der die Gleichberechtigung von Frauen betrifft, ist zwar von der sachlichen Intention her begrüßenswert, in der impliziten Unterstellung einer anderen Meinung jedoch diskriminierend. Was erwartet man vom Gefragten mit beschränktem deutschen Wortschatz auf die Frage: „Halten Sie es für einen Fortschritt, dass Männer und Frauen in Deutschland kraft Gesetzes gleichberechtigt sind? Was sollte der Staat Ihrer Meinung nach tun, wenn Männer dies nicht akzeptieren?“ Interessant wäre übrigens die Frage: „Was sollten Frauen Ihrer Meinung nach tun, wenn der Staat sich nicht daran hält?“ Um nicht missverstanden zu werden: Ich will das Verhalten fundamentalistischer Muslime nicht verharmlosen und weiß um die Menschenunwürdigkeit der Zwangsverheiratung und anderer praktizierter Entmündigungen. Ich halte es aber für falsch und überdies untauglich, diesem Problem unter Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien beikommen zu wollen. Am Ende des Einbürgungsgespräches müssen die KandidatInnen unterschreiben, dass sie zur Kenntnis nehmen, dass ihnen die Staatsbürgerschaft auch nach Jahren wieder entzogen werden kann (selbst wenn sie dadurch staatenlos würden), wenn sie „unwahre Angaben“ gemacht haben. Die Gesinnung als Wahrheit – das ist der zivilisatorische Dammbruch. Dazu kommt die Verknüpfung mit der Rechtsfolge des Verlustes von Bürgerrechten, mit allem Spielraum für die Behörde und keiner Chance für die Unterworfenen. Man hat sich nicht nur an die Gesetze zu halten, man muss sie auch noch überzeugend für richtig halten. Ist das das Demokratieverständnis, das den neuen StaatsbürgerInnen vermittelt werden soll? Ich habe den Eindruck, dass ein neuer Autoritarismus um sich greift. Die Gleichsetzung von Staat und Parteien, von Regierung und Land, wir glaubten sie überwunden, doch stattdessen kommen sie nun in neuen Kleidern daher. Der Begriff Wertegemeinschaft, als Errungenschaft aus dem Kampf um Menschenrechte und solidarische Verantwortung geboren, wird zur Keule gegen Andersdenkende. Das verbindende Interesse eines Gemeinwesens wird mit dem Aufruf zum Schulterschluss zur Tabuisierung der Regierungspolitik missbraucht, der positive Prozess der Integration beschworen, tatsächlich aber Assimilation gefordert. Natürlich sind auch in diesen Zusammenhängen die Dinge nicht nur schwarz oder weiß, aber die einschlägigen Tendenzen sind mit den angeführten Beispielen klar erkennbar. Dass Integration Gleichberechtigung voraussetzt, ist unschwer zu erkennen. Es ist für viele offenbar nicht vorstellbar, dieses Grundrecht nicht mit Auflagen zu verknüpfen. Die Staatsbürgerschaft soll scheinbar „Belohnung“ für bestimmtes Wohlverhalten sein und als Disziplinierungsinstrument handhabbar bleiben. Nicht anders kann verstanden werden, wenn Tests, Aufnahmsprüfungen und Ähnliches die Voraussetzungen zur Teilhabe am Gemeinwesen zunehmend erschweren. Es mag Manchem überzogen erscheinen, wenn mir in diesem Zusammenhang ein Forschungsprojekt der Wiener Historikerin Ilse Reiter-Zatloukal in den Sinn kommt: Sie hat die zahlreichen Ausbürgerungen untersucht, die in den Jahren 1933 bis 1938 stattfanden und zumeist mit „österreichfeindlichem Verhalten“ begründet wurden. Betroffen waren nicht nur illegale Nazis, sondern vor allem auch Sozialdemokraten und Kommunisten. Doch was ist der Satz „Wehret den Anfängen“ wert, wenn er nicht vor dem oder am Anfang gedacht werden darf? Es ist einsichtig, dass sich ein Staat seine künftigen StaatsbürgerInnen so weit möglich durchaus aussuchen darf. Nach welchen Kriterien er dies aber tut und mit welchen Mitteln, legt Zeugnis über seinen Demokratiestandard ab. Die Demokratie hat nicht die Gleichschaltung von Wertehaltungen zur Voraussetzung, sondern ist dazu da, um auf zivilisierte Weise die Unterschiedlichkeiten zu handhaben. WEB-TIPP: www.ioge.at Heide Schmidt (geb. 1948 in Bayern): Studium der Rechts- sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien. Gerichtspraktikum, Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Volksanwaltschaft, Parlamentarierin (fünf Jahre FPÖ, sieben Jahre Liberales Forum), Dritte Nationalratspräsidentin, Präsidentschaftskandidatin. Februar 1993: Gründung des Liberalen Forum, bis Februar 2000 dessen Parteisprecherin. Juni 2000: Gründung des Instituts für eine offene Gesellschaft, seither dort Vorstandsvorsitzende.