Denken mit den Ohren

Daniel Barenboim ©-BERND-VON-JUTRCZENKADPAPICTUREDESK.COM

Daniel Barenboim im Porträt.

Er konzertierte gemeinsam mit Sir Simon Rattle in einem syrischen Flüchtlingslager. Er fuhr mit den Wiener Philharmonikern nach Gaza. Er spielte Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ in Ramallah. Und er gab das erste klassische Konzert in Ghana. Daniel Barenboim, der einen spanischen, argentinischen, israelischen und palästinensischen Pass besitzt, glaubt zutiefst an die völkerversöhnende Kraft von Musik – und die entspannende Wirkung von Zigarren. Kaum ein Interview, bei dem der weltberühmte Dirigent nicht genüsslich eine Zigarre pafft. Er sei, witzelte er deshalb einmal vergnügt, „wahrscheinlich der einzige Dirigent, den alle riechen können.“ Um dann sogleich über seine Herzensangelegenheit zu reden – die Versöhnung zwischen Juden und Arabern.

1999 gründete der Weltstar gemeinsam mit dem amerikanisch-palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra, bestehend aus israelischen und arabischen Musikern, wobei sechzig Prozent der Musiker damals noch nie in einem Orchester gespielt, vierzig Prozent noch nie ein Orchester live gehört hatten. Mittlerweile sind die jungen Musiker aus Ägypten, Syrien, dem Iran, Libanon, Jordanien, Tunesien und Israel in den großen Konzerthäusern der Welt zu Hause, sie treten bei den Salzburger Festspielen auf – am 16. August werden sie im Großen Festspielhaus Bruckners 9. Symphonie, am 17. August, ebenfalls im Großen Festspielhaus, Debussy, Brahms und Skrjabin interpretieren.

„Alle Musiker, die kommen, zeigen großen Mut“, sagte Barenboim einmal, „denn sie werden von ihren Familien, ihren Freunden, von der ganzen Gesellschaft dafür kritisiert, dass sie mit dem jeweils anderen musizieren und kommunizieren.“

Dass seine Orchester gewordene Friedensbotschaft weder bei arabischen noch israelischen Politikern auf viel Gegenliebe stößt, sondern „ein Kontrapunkt ist zu alldem, was in diesen Ländern gesagt wird“, ist ihm durchaus bewusst. Das West-Eastern Divan Orchestra sei kein politisches Projekt: „Keiner der Musiker aus den arabischen Ländern und kein Israeli repräsentiert seine Regierung“, sagte er einmal in einem Interview mit dem Standard. „Allerdings hat jeder die Neugier, die Erzählung des anderen zu hören und zu respektieren, auch wenn er mit dieser Erzählung nicht einverstanden ist. Deswegen ist es ein humanistisches Projekt und kein politisches. Der einzige politische Aspekt ist die Überzeugung, dass es keine militärische Lösung des Nahostkonfliktes geben kann und dass die Schicksale von Israelis und Palästinensern untrennbar miteinander verbunden sind.“

„Umtriebig-tiefsinniger Universalist“

Geboren 1942 in Buenos Aires, zog er als Barenboim als Zehnjähriger mit der Familie nach Israel, da war seine Karriere als Klavier-Wunderkind bereits in vollem Gange. 1954 spielte er seinem großen Idol Wilhelm Furtwängler vor. Als dieser den zwölfjährigen Pianisten zu den Berliner Philharmonikern einlud, legte Barenboims Vater allerdings ein Veto ein: Neun Jahre nach Kriegsende sei die Zeit für einen jüdischen Musiker in Deutschland noch nicht reif.

Barenboim tourte durch die Welt, zunächst als Pianist, später als gefeierter Dirigent. Der „umtriebig-tiefsinnige Universalist“, wie ihn der Musikkritiker Ljubiša Tošić einmal nannte, war Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra, Generalmusikdirektor der Mailänder Scala und der Berliner Staatsoper, die Berliner Staatskapelle ernannte ihn zum Ehrendirigenten auf Lebenszeit. Barenboim ist der vielleicht meistausgezeichnete Musiker unserer Zeit, er erhielt mehr als vierzig internationale Preise, darunter (gemeinsam mit Edward Said) den Prinz-von-Asturien-Preis für seine Verdienste um die israelisch-palästinensische Aussöhnung, die Buber-Rosenzweig-Medaille, den Willy-Brandt- sowie den Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte.

Weil er, wie es in der Laudatio hieß, einen „von Toleranz und Verständigung geprägten Mikrokosmos“ geschaffen habe, wurde Barenboim auch mit dem Friedenspreis der Geschwister Korn und Gerstenmann-Stiftung in Frankfurt ausgezeichnet, den Abraham Korn und seine Schwester im Gedenken an ihre im KZ ermordete Nichte gestiftet haben. Preisträger vor ihm waren Schimon Peres und der israelische Schriftsteller Amos Oz, nach ihm der Palästinenser Sari Nusseibeh, der ehemalige israelische Botschafter in den USA und Chefunterhändler in den Friedensverhandlungen mit Syrien, Itamar Rabinovich, sowie Avi Primor und der israelische Historiker Tom Segev. Das Preisgeld, 50.000 Euro, widmete Barenboim der Gründung eines Forschungsinstituts für die Entwicklung der arabischen Musik.

Unter großem persönlichem Einsatz gründete er in Berlin die Barenboim-Said-Musikakademie für bis zu neunzig Musikerinnen und Musiker aus der arabischen Welt und Israel. Die Akademie ist im früheren Kulissendepot der Staatsoper Unter den Linden untergebracht, das nach Plänen des Stararchitekten Frank Gehry umgestaltet wurde. Spektakuläres Kernstück ist der nach Pierre Boulez benannte Konzertsaal mit 620 Plätzen, wo Barenboim am 21. April ein Beethoven-Konzert geben wird. Mehr als dreißig Millionen Euro kostete der Umbau, zwanzig Millionen davon wurden aus dem Budget der Bundesregierung aufgebracht, der Rest von privaten Spendern und Barenboim selbst: „Diese Akademie ist ein Experiment in Utopie.“

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