Jede Generation hat einen anderen Zugang zur Nazi-Vergangenheit. Vom Schweigen der Täter über das Toben der Kinder bis hin zur Analyse der Enkel. Letztere kann in zwei jüngst produzierten Filmen angeschaut werden.
Von Peter Menasse
Es muss wohl so abgelaufen sein, an diesem Maientag im Jahr 1945: Die alliierte Armee marschiert ein, die Einheimischen vergraben Fahnen, Uniformen, Anstecknadeln und Hitlerbücher und sind fortan stramme Demokraten. Niemand redet über das, was geschehen ist. „Verschwörung des Schweigens“ nennen Psychoanalytiker dieses Phänomen.
Die Täter und Mitläufer waren nicht bereit, ihr Verhalten zu reflektieren. So schwiegen sie und setzten doch implizit im Erziehungsstil, Sexualverhalten oder im Berufsleben und Lebenskultur die Traditionen des Autoritären fort. Auch die paar zurückgekehrten Juden konnten das Schweigen nicht brechen. Ihre Wurzeln waren abgeschnitten, sie mussten für sich eine neue menschliche Existenz aufbauen.
Die „zweite Generation“, die Kinder der Täter und Mitläufer, konnten
darauf nur unzulänglich reagieren. Mit Zorn kämpften sie gegen das verstaubte Elternsystem in der Gesellschaft, das stellvertretend für ihre eigenen Eltern stand. Es war nicht bearbeitende Auseinandersetzung, sondern Antoben gegen den Todeshauch des Schweigens.
Jetzt, sechzig Jahre später, zeigt die „dritte Generation“ einen neuen Weg. Distanziert, mit einer Anmutung des Staunens über die Sprachlosigkeit ihrer Vorfahren und die daraus resultierenden Verformungen. An zwei jüngst vorgestellten Filmen lässt sich dieser neue, analytische Blick erkennen.
Anja Salomonowitz zeigt in „Das wirst du nie verstehen“ die Verstrickungen durch Porträts ihrer Großelterngeneration. Da sind einmal die Großmutter, eine Mitläuferin des Nazi-Systems, und dann die Großtante, die das KZ Auschwitz überlebt hat. Die eine leugnet, was geschehen ist, die andere kann ihre Erinnerungen nicht zulassen. Abwehr, Verleugnung, Verdrängung und psychische Not in ein und derselben Familie. Die Enkelin kann sich, bei aller Zuneigung zu den Protagonistinnen, durch die kritische Beobachtung herauslösen und gibt dem Beschauer dadurch Platz für die eigene Beurteilung.
Der zweite Film ist „The end of the Neubacher project“ von Marcus J. Carney. Sein Großvater und sein Großonkel waren hohe Nazibonzen.
In der Familie wurde die Vergangenheit nie besprochen und damit eine Kultur des Schweigens geschaffen, die jetzt alle Beziehungen beherrscht. Die Mutter stirbt im Laufe der Dreharbeiten. Die „Überlebensstrategie“ des Verdrängens führt zum Tod. Carney arbeitet zu Beginn des Films mit einer ähnlich kühlen Distanz wie Salomonowitz, einer Distanz, die den Beschauern viel mehr Platz für eigene Gefühle lässt, als die heiße Empörung. Mit dem Sterben der Mutter aber, ist er plötzlich Teil des Geschehens und wir sind es mit ihm.
Die Todeskultur der NS-Zeit lebt immer noch fort. Das Schweigen der Wölfe hat einen Untoten geschaffen, den wir bisher noch nicht begraben konnten.
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form im Filmmagazin Ray.
Webtipps:
www.anjasalomonowitz.com
www.neubacherproject.com