Adam Szyc betreibt das einzige koschere Geschäft in Warschau. Zu Besuch bei einem Mann, der mit viel Humor seine gerade einmal 40 Stammkunden versorgt.
Von Michael Laczynski
Wer bei Adam Szyc einkaufen möchte, muss erstens ein ausgeprägtes Bedürfnis danach haben und zweitens über einen gut entwickelten Orientierungssinn verfügen. Das liegt beileibe nicht daran, dass das Geschäftslokal von Herr Szyc fernab der Zivilisation läge. Ganz im Gegenteil: Der Ort, um den es hier geht, befindet sich mitten im Zentrum von Warschau, einen Steinwurf vom Kulturpalast entfernt, jenem 230 Meter hohen stalinistischen Wahrzeichen am Ground Zero der polnischen Hauptstadt.
Nein, das Problem von Herr Szyc hat vielmehr damit zu tun, dass seine Lokalität das Gegenteil von dem ist, was Immobilienmakler gemeinhin als „Prime Property“ bezeichnen. Um dorthin zu gelangen, muss man zunächst einmal von der Grzybowska Straße kommend nach rechts abbiegen, dann nochmals nach rechts, einen Schranken passieren, dann einen Parkplatz kreuzen, durch eine kleine Pforte im Zaun am Ende des Platzes und weiter über einen Grünstreifen, scharf nach links und bei der Falafel-Bude wieder rechts. Und dann ist man endlich am Ziel: im einzigen koscheren Geschäft von Warschau.
Wobei Geschäft in dem Zusammenhang ein unter Umständen zu stolzes Wort ist, denn der vor zehn Jahren gegründete Laden ist nichts anderes als eine notdürftig adaptierte Garage. Darin findet der interessierte Besucher eine Vielzahl an jüdischen Souvenirs, weiters ein deutlich geringeres Sortiment an Lebensmitteln (alle im Weckglas oder in der Konserve), eine kleine, aber feine Auswahl koscherer Spirituosen und zu guter Letzt eine Kiste mit frischen Challah, die für die benachbarte jüdische Schule gebacken werden.
Das Jammern ist bekanntlich des Kaufmanns Gruß, doch angesichts dieser Faktenlage drängt sich nichtsdestotrotz die Frage auf, wie man von so einer Garagenfirma überhaupt leben kann. Die Antwort ist simpel: man kann nicht. „Sagen wir es mal so: Trotz der Finanzkrise werfen meine Beteiligungen genug ab, um über die Runden zu kommen“, sagt der Eigentümer mit einem Schmunzeln. Außerdem gebe es glücklicherweise einen Kompagnon, mit dem man das Leid teilen könne. Und so müsse man nicht jeden Tag in der Garage verbringen.
Wozu dann die ganze Mühe? „Es ist zugegebenermaßen ein Blödsinn, aber der Rabbi hat mich dazu überredet, und außerdem habe ich den Markt falsch eingeschätzt“, gesteht Herr Szyc. Die Sache mit der Marktforschung ging folgendermaßen: Dass ein derartiger Laden nicht ausschließlich von der jüdischen Community in Warschau wird leben können, war von Anfang an klar – denn die Gemeinde ist mikroskopisch klein. Seine Stammkundschaft beziffert der Geschäftsinhaber mit grob geschätzt 40 Personen – streng koscher ist davon weniger als die Hälfte. „Das Judentum in Polen, das ist heutzutage nichts anderes als künstliche Folklore.“
Die große Hoffnung waren jene Reisegruppen aus Israel, die in Warschau die nahe gelegene Synagoge besichtigen. In der Hoffnung auf gutes Geschäft mit den jungen Besuchern deckte sich Szyc mit Erdnussflips der Marke Bamba und mit Limonade ein. „Das hätte ein tolles Geschäft werden können. Stellen Sie sich vor: zehn Reisegruppen pro Tag. Wenn da nur 20, 30 Leute zu uns kommen, dann würde alles wie geschmiert laufen. Aber es verirrt sich kaum jemand hierher. Das ist mein persönliches Waterloo. Ich habe die Bedarfslage offensichtlich falsch eingeschätzt.“ Auch die Versuche der glücklosen Geschäftsmänner, bei den Organisatoren der Gruppenreisen in Israel vorzusprechen und die Werbetrommel für ihren Laden zu rühren, haben bisher nicht gefruchtet.
Somit lebt das Geschäft de facto von polnischen Nichtjuden, die sich bei Szyc mit Nippes eindecken. „Polen ist ein seltsames Land, in dem es einerseits einen weitverbreiteten Antisemitismus gibt, und auf der anderen Seite ein großes Sentiment zum Judentum als Teil der polnischen Kultur“, sagt Szyc. In den 1990er-Jahren war dieses Sentiment noch besonders stark ausgeprägt: Damals waren koschere Lebensmittel regelrecht en vogue: Es gab koscheres Bier, koscheres Mineralwasser – und vor allem koscheren Wodka. „Jede Brennerei ist damals auf den Zug aufgesprungen: Es gab Wodka Rebekka, Wodka Itzik und so weiter und so fort. Dabei ist es so, dass jeder klare Wodka ohnehin koscher ist“, sagt Szyc. Mittlerweile ist der Trend Geschichte und die Firma Nissenbaum nahe der Stadt Bielsko-Biala die einzige Schnapsbrennerei, die noch deklariert koscheren Wodka herstellt.
Überhaupt, die Versorgungslage. Nachdem in Polen nur zwei Unternehmen – die Firma Polan sowie der Lebkuchenhersteller Kopernik – koschere Lebensmittel für den Export nach Frankreich und in die USA produzieren, müssen Szyc und sein Partner ihr Sortiment aus dem Ausland beziehen. Der „Gefilte Fish Viennese Style“ in der Kühlvitrine wurde in den Vereinigten Staaten in die Dose gesteckt, kam aber über den Umweg Frankreich nach Warschau. Ob Wien nicht eine näher gelegene Versorgungsstelle wäre und zwar nicht nur für den Fisch? „Ich habe schon versucht, Kontakt aufzunehmen, aber bis dato hat mir noch niemand einen Katalog zugeschickt. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob Österreich wirklich billiger ist als Frankreich.“
Trotz dieser widrigen Umstände ist das Aufhören keine Option. „Wissen Sie, dieses Geschäft ist meine ganz persönliche Mitzwa. Hier gedenke ich meiner Vorfahren.“ Doch abgesehen von dieser selbst auferlegten Verpflichtung scheint Herr Szyc auch eine ziemliche Freude daran zu haben, mit seiner Stammkundschaft zu schäkern. Auch wenn es sich dabei um nicht mehr als 40 Personen handelt.