Warum ihre Krautfleckerln so berühmt waren, wissen wir. Aber wer war das lebende Vorbild für Friedrich Torbergs Heldin? Oder gab es gar keins? Robert Sedlaczek hat ermittelt.
Von Cornelia Mayrbäurl
Es gibt Bonmots, die zwar aus einer ganz bestimmten Zeit und Kultur stammen, und trotzdem, wie es treffend heißt, von zeitloser Schönheit sind. „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist“, fällt in diese Kategorie. Und deshalb ist Die Tante Jolesch, der Friedrich Torberg das in den Mund gelegt hat, nach wie vor ein aktuelles Stück Literatur. Nur: Wer war eigentlich diese weise Tante, die von den Krautfleckerln immer zu wenig kochte, damit, in der Sprache des Marketings gesprochen, durch Verknappung des Angebots die Exklusivität des Produkts stieg und die Nachfrage nie versiegte?
„Die Tante Jolesch … hat … wirklich gelebt und hat … die hier wiedergegebenen Aussprüche wirklich getan. Den und jenen habe ich ihr untergeschoben, weil sie ihn getan haben könnte. Denn die Tante Jolesch war … keine ‚Person im konventionellen Eigen-Sinn‘, sondern ein Typus“, schreibt Torberg im Vorwort. Trotz dieser Relativierung bleibt klar, dass Friedrich Torberg für die Figuren im Buch zumindest zum Teil reale Personen als Vorbilder im Kopf hatte. Der schöne Neffe Franzl, der Strafverteidiger Dr. Sperber („Räuber, Mörder, Kindsverderber gehen nur zu …“), der Mann der Tante Jolesch, sie alle waren, unter anderem, in Wien heimisch. Ein ganzes Jahr hat Robert Sedlaczek damit verbracht, in Archiven und Datenbanken, auf Friedhöfen und Exkursionen die Spuren dieser Personen zu verfolgen. Entstanden ist das Buch Die Tante Jolesch und ihre Zeit, das jenseits von Krautfleckerl- Nostalgie viel Interessantes über die politischen Verhältnisse in der Ersten Republik enthält, aber eben auch Familiengeschichten und persönliche Schicksale schildert. Und das ist, auch wenn wegen gedanklicher Abschweifungen der rote Faden manchmal etwas dünn wird, unterhaltsam und erhellend.
Spuren zu Bruno Kreisky
Die Recherche beginnt bei der Figur des sozialdemokratischen Anwalts Hugo Sperber, der ein Leben zwischen Landesgericht und Kaffeehaus führte und seine Umgebung regelmäßig mit geistreichen Aperçus unterhielt. Manchmal redete sich Sperber nachgerade um Kopf und Kragen, berichtete Torberg, zum Beispiel nach dem Februaraufstand 1934, als Bundeskanzler Dollfuß endgültig den autoritären christlichen Ständestaat durchsetzte. Sperber verteidigte einen Sozialdemokraten, der einen Sprengstoffanschlag verübt hatte. In seinem Plädoyer bat er das Gericht, die Jugend des Angeklagten zu berücksichtigen und sagte: „Der junge Mann wusste noch nicht, dass das einzige in Österreich erlaubte Sprengmittel das Weihwasser ist.“
Im Zusammenhang mit Sperber taucht auch Bruno Kreisky auf. Sperber bot sich an, den führenden Funktionär der Jungsozialisten, der ebenfalls vor Gericht stand, zu verteidigen. Doch Kreisky lehnte ab: Sperber tendierte eben dazu, die Bedeutung und Reife der Angeklagten herunterzuspielen, um ein milderes Urteil zu erreichen. Der spätere Bundeskanzler wollte nicht „verharmlost“ werden und zog eine andere Verteidigungsstrategie vor (Kreisky wurde dann zu einer Haftstrafe verurteilt, die durch die Untersuchungshaft aber schon abgebüßt war).
Bruno Kreisky ist nicht nur deswegen im Buch präsent – Jahrzehnte später war Robert Sedlaczek Mitarbeiter im Büro des Bundeskanzlers. Der Autor relativiert anhand der Lektüre des Torberg- Nachlasses aber die Behauptung seines ehemaligen Chefs, Torberg habe die meisten Sperber-Anekdoten von ihm, Kreisky, erzählt bekommen. Sedlaczek gestattet sich auch einige Einschübe aus seiner Zeit als Sekretär des Kanzlers. So gibt er seine persönliche Sicht auf den Streit zwischen Kreisky und Simon Wiesenthal wieder.
Geschichte der Familie Jolesch
Hauptthema ist freilich die Geschichte der Familie Jolesch, übrigens mit kurzem „o“ gesprochen, sodass man den tschechischen Namen auf Deutsch phonetisch richtig eigentlich „Jollesch“ schreiben müsste. Ausgangspunkt für Friedrich Torberg war die Freundschaft mit Franz Jolesch, im Buch der „Neffe Franzl“. Der war, wie auf Fotos zu erkennen, ein gutaussehender junger Mann, der sich aber – zumindest nach dem Geschmack seines Vaters – in die falsche Frau verliebte. Die Joleschs waren Eigentümer einer Textilfabrik in dem kleinen mährischen Ort Wiese nahe Pirnitz (Brtnice). 1927 heiratet Franz die 21 Jahre alte Louise, geborene Gosztonyi, die, als schick und mondän beschrieben, gar nicht in das mährische Dorf passte. „Als sie nackt im Garten Sonnenbäder nahm, sind die Bauern mit Heugabeln auf die Fabrik gestürmt“, erinnert sich eine Bekannte, die Robert Sedlaczek aufgespürt hat. Noch dazu war Louise Kommunistin.
Vater Emil Jolesch reagiert auf die Heirat, indem er Franz enterbt und bestimmt, dass nach seinem Tod seine Frau Olga das Familienunternehmen allein weiterführen soll. Ganz so schlimm wird es dann doch nicht kommen, aber Franzls Leben ist jahrelang darauf beschränkt, sich die Zeit unter anderem mit der Jagd zu vertreiben. Bis zur Scheidung 1935, so schreibt Louise in ihren Lebenserinnerungen, hatte sie „viel Zeit, vertrödelte sie mit Bridgespielen, Gastgebereien, Reisen nach Wien, Berlin, Paris“.
Louise ist hellsichtiger als Franz und erkennt das heraufziehende Unheil für die jüdische Bevölkerung. Deswegen, und wegen Hanns Eisler, der bereits dort im Exil ist, geht sie nach Paris, wo sie den Komponisten 1937 heiratet. Eisler wiederum arbeitete eng mit Bert Brecht zusammen. Und der hatte zweifellos Louise Eisler im Kopf, als er in seinem Stück Furcht und Elend des Dritten Reiches eine „jüdische Frau“ auftreten lässt. Das wiederum führt zu einem kleinen Treppenwitz der Geschichte: Als Louise an der USWestküste im Exil sitzt und Torberg in New York, korrespondieren die beiden freundlich miteinander. Doch bald müssen die Kommunisten Eisler und Brecht vor Senator McCarthys „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ aussagen. Als strikter Antikommunist und FBI-Mitarbeiter hatte Torberg diesem quasi inquisitorischen Gremium aber Material gegen Brecht geliefert. Torberg ließ den Briefwechsel einschlafen. Louise heiratete übrigens nach einer weiteren Scheidung 1955 den österreichischen kommunistischen Politiker Ernst Fischer.
Die Joleschs freilich – Sedlaczek berichtet vor allem auch von Franzens Onkel Julius – bleiben in der Tschechoslowakei und Österreich. Viele von ihnen werden den Holocaust nicht überleben, was Torberg in seinem Bestseller aber stets nur am Rande erwähnt. Hat sich Friedrich Torberg damit der Unwilligkeit der Österreicher angepasst, diese unbequeme Wahrheit zu hören? Robert Sedlaczek vermutet dies: „Das Buch erschien noch vor der Waldheim-Debatte, vor der Reise von Bundeskanzler Vranitzky nach Jerusalem“, nämlich 1975. Sedlaczek stellt deswegen quer durch das ganze Buch viele Bezüge zur Jetztzeit her, um zu zeigen, „dass die Vergangenheit in die Gegenwart hineinreicht … Auch wenn der letzte Zeitzeuge der Shoa gestorben ist, muss das Gedenken und Erinnern weitergehen.“
Franz Jolesch hingegen überstand die Nazi-Diktatur, wurde nach Kriegsende aber, da als Sudetendeutscher eingeordnet, aus der Tschechoslowakei vertrieben. Er baute sich in Chile eine neue Existenz auf und starb dort 1961. Aber was ist jetzt mit der Tante? War damit die Frau von Franzens Onkel Julius, Gisela, gemeint, die 1940 in Budapest starb? Oder doch keine „Person im konventionellen Eigen-Sinn“, wie Torberg schrieb? Lesen Sie – und bilden Sie sich selbst eine Meinung …
Robert Sedlaczek
Die Tante Jolesch und ihre Zeit. Eine Recherche.
Unter Mitarbeit von Melita Sedlaczek und Wolfgang Mayr
Haymon Verlag, 2013
280 Seiten, mit zahlreichen SW-Abbildungen
19,90 EUR