Donald Trump muss in wenigen Wochen aus dem Weißen Haus ausziehen – auch wenn er das bis zuletzt nicht zugeben will. Sein Nachmieter steht fest: Joseph Robinette „Joe“ Biden jr. ist der gewählte US-Präsident. Mit der ungewöhnlichen Amtszeit von Trump endet zugleich eine einzigartige Partnerschaft zwischen den USA und Israel.
Von Tim Cupal
In Israel herrscht Enttäuschung über das Wahlergebnis. Die große Mehrheit der Israelis, laut dem Israel Democracy Institute sind es siebzig Prozent, hätte sich eine zweite Amtszeit von Donald Trump gewünscht. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu zeigte sich nach der Entscheidung im US-Präsidentschaftsrennen zunächst zurückhaltend und ließ sich zwölf Stunden Zeit, bis er endlich gratulierte.
Kein Wunder, die USA haben unter Donald Trump viele ihrer strategischen Ziele in der Region an die Ziele Israels angepasst. Das Ergebnis ist aus israelischer Sicht eine lange Erfolgsliste: Da ist die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und damit die US-Anerkennung Jerusalems als ungeteilte Hauptstadt Israels. Dann gab Washington grünes Licht für Israels Souveränität über die Golanhöhen, die das Land im Sechstagekrieg 1967 von Syrien eroberte. Im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Barack Obama sieht Donald Trump den jüdischen Siedlungsbau im Westjordanland nicht als völkerrechtswidrig an, im Gegenteil setzte er mit David Friedman einen offen siedlerfreundlichen US-Botschafter ein. Unter Trump stiegen die USA aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran aus, das von Netanjahu wiederholt als massive Bedrohung für die Sicherheit Israels bezeichnet wurde. Und zuletzt veröffentlichte Trump im Sommer seinen Nahost-„Friedensplan“, der die Annexion von Teilen des Westjordanlands vorsieht.
Wunschkonzert mit Dissonanzen
Kritiker sehen in den vergangenen vier Jahren vor allem einen großen Schönheitsfehler: Es fehlen die Partner für Trumps „Friedensplan“. Die Palästinenser verließen den Verhandlungstisch als Reaktion auf die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem. Nach der Veröffentlichung des Trump-Plans im Sommer machte Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas eine oft erhobene Drohung wahr und kündigte die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel und den USA auf: ein schwerer Schlag gegen den Antiterror-Kampf. Die Palästinenser weigerten sich außerdem, die von Israel eingehobenen Steuereinnahmen anzunehmen. Die Folge: Der Autonomiebehörde geht das Geld aus, tausende palästinensische Beamte müssen massive Gehaltseinbußen hinnehmen. Dazu kommen noch gestrichene US-Finanzhilfen in Millionenhöhe. Die Palästinenser stecken politisch in einer Sackgasse, in der ein explosiver Cocktail aus Armut, Perspektivenlosigkeit und Ärger über die eigene Führung munter vor sich hin köchelt.
Mit Joe Biden zurück in die Zukunft?
In Israel herrscht Nervosität. Die Sorge: Der gewählte und künftige US-Präsident Joe Biden könnte zum israelkritischen und iranfreundlichen Kurs der Obama-Administration zurückkehren. Für die meisten Kommentatoren in Israel steht fest, dass der künftige US-Präsident Trumps Nahostplan „Frieden für Wohlstand“ nicht weiterverfolgen wird. Eine Biden-Administration wird außerdem mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutlich zurückhaltendere Position gegenüber dem Siedlungsbau im Westjordanland einnehmen.
Trotzdem bestehe kein wirklicher Anlass zu Sorge, beruhigt Robert Malloy, ehemaliger Nahost-Berater von Präsident Obama, im ORF-Interview. Es werde unter Joe Biden mit Sicherheit keine Revolution in der Israelpolitik der USA geben.
Denn Biden werde in erster Linie versuchen, das Verhältnis zu den Palästinensern zu kitten. Eine Möglichkeit dazu wäre, wieder ein US-Konsulat in Ost-Jerusalem zu eröffnen. Hilfreich wäre es wohl auch, einen Teil der gestrichenen US-Finanzhilfen wieder an die Palästinenser fließen zu lassen – genau das hat die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris im Wahlkampf bereits versprochen. Für die palästinensische Autonomiebehörde sei ein symbolischer Erfolg überlebensnotwendig, um erhobenen Hauptes aus der politischen Sackgasse heraus und zurück an den Verhandlungstisch kommen zu können, erklärt Malloy. Für die USA werde es im Nahostkonflikt wichtig sein, wieder in ihre Rolle als unparteiischer Vermittler, als „ehrlicher Makler“, zurückzufinden.
Die unbestrittenen außenpolitischen Erfolge der Trump-Zeit, werden von Biden anerkannt. Dass er auf den Abraham-Abkommen – den Friedensabkommen, die Israel mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und dem Sudan geschlossen hat – aufbauen werde, hat er im Wahlkampf mehrfach wissen lassen.
Und das Atom-Abkommen mit dem Iran? Biden hat bei mehreren Gelegenheiten angedeutet, das Abkommen neu verhandeln zu wollen. Was in Israel Politikern fast aller Fraktionen und Sicherheitsexperten Bauchschmerzen bereite, sei jedoch nicht sehr realistisch, so Malloy. Denn eine Rückkehr der USA in das Abkommen hänge von mehreren, sehr unsicheren Variablen ab: Zunächst müsse sich auch der Iran bewegen und wieder an die Bestimmungen des Abkommens halten. Außerdem müsse sich Joe Biden als US-Präsident zuerst einmal dringlicheren innenpolitischen Herausforderungen stellen, wie etwa der Bewältigung der Corona-Pandemie oder der Aussöhnung des tief gespaltenen Landes. Dazu komme noch ein aller Wahrscheinlichkeit nach republikanisch dominierter Senat. Viel zusätzlichen politischen Spielraum für umstrittene Nahostprojekte wie das Iran-Atomabkommen sieht Malloy für die künftige Biden-Administration daher nicht.
Alles bleibt besser
Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe kommen gute Nachrichten aus den USA und der Region. Der scheidende US-Präsident Donald Trump lässt sich offenbar doch dazu überreden, in den verbleibenden Wochen seiner Amtszeit keine Militärschläge gegen iranische Atomanlagen durchzuführen. Die palästinensische Autonomiebehörde überrascht Israel und die Welt mit einem positiven Signal: Sie will die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel wieder aufnehmen. Langzeit-Regierungschef Netanjahu wiederum führte ein langes und laut eigenen Angaben „sehr herzliches“ Telefongespräch mit dem künftigen US-Präsidenten. Joe Biden versprach dabei – wie alle US-Präsidenten vor ihm – die unerschütterliche US-Unterstützung für die Sicherheit Israels. Und Netanjahu bezeichnete Biden in dem Telefonat als „president-elect“, als gewählten Präsidenten. Zum ersten Mal seit der US-Präsidentschaftswahl. Immerhin.