Den meisten Gemeindemitgliedern ist völlig unklar, wofür die Kultusgemeinde eigentlich steht
Von Martin Engelberg
Eine Unternehmenssparte profitiert derzeit schon einmal auf jeden Fall davon, dass in der Kultusgemeinde der Wahlkampf begonnen hat: das Catering. Es vergeht derzeit keine Woche, in der nicht Präsident Muzicant selber oder einer/eine seiner Getreuen eine Einladung machen, wo zuerst einmal feines Essen und Trinken gereicht wird. So weit, so gut, die jüdischen Caterer sind jedenfalls dankbar.
Dann aber gilt auch bei diesen Veranstaltungen der Spruch: „There is no such thing like a free meal“. Die Eingeladenen werden ermuntert, ihre Meinung zur Kultusgemeinde kundzutun sowie Vorschläge und Ideen für die Zukunft unserer Gemeinde vorzubringen. Das Gerücht – Präsident Muzicant ließe niemanden zu Worte kommen – solle heute Abend widerlegt werden, versichert die Gastgeberin. Das ist dann allerdings das letzte Mal, dass sie zu Wort kommt.
Jede sodann zaghaft vorgebrachte Frage oder Anregung wird von Muzicant sofort persönlich und in aller Ausführlichkeit auf die immer gleiche Art „behandelt“: Er berichtet von den Errungenschaften seiner Präsidentschaft und erklärt zu jeder vorgebrachten Idee, diese sei ohnehin schon längst geplant oder in Umsetzung befindlich. Dazwischen versichert Muzicant, dass ihm zwar immer vorgeworfen werde, er reiße stets das Wort an sich und würde obendrein zu lange reden, aber … und schon geht es weiter. Abgespeist und angefressen von der Catering-Flut flüchten die Eingeladenen bald, unter Vorbringung mehr oder weniger höflicher Entschuldigungen.
So lauteten die Eindrücke einer ganzen Reihe von Teilnehmern der bisherigen Catering-Events. Deren Gedanken zu unserer Gemeinde und deren Zukunft, die auszuformulieren bei diesen geselligen Abenden nicht möglich war, seien hier auch zusammengefasst – und vielleicht erreichen sie so zumindest diejenigen Funktionäre der Kultusgemeinde, die zuhören können und wollen:
1. Den meisten Gemeindemitglie-dern ist völlig unklar, wofür die Kultus-gemeinde eigentlich steht. Was ist ihr Programm, ihre Ideologie? Welche inhaltlichen Prioritäten hat sie?
2. Derzeit verbindet man mit der Kultusgemeinde vor allem Immo-bili-enprojekte und das Motto: „Wir wissen zwar nicht wohin, aber dafür sind wir schneller dort“. Bösere Zungen – und das sind nicht wenige – sind überzeugt davon, dass die Funktionäre der Kultusgemeinde nur ihre eigenen geschäftlichen Interessen verfolgen.
3. Fast die Hälfte der Gemeindemitglieder sind entweder streng-orthodox religiös, oder Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese beiden Gruppen erhalten genug Geld von der Kultusgemeinde, um die Bedürfnisse ihrer jeweiligen Mitglieder befriedigen zu können – und das ist gut so.
4. Ironischerweise sind es gerade die (bisherigen) Wähler von Muzicant, also die vorwiegend nicht orthodoxen, aschkenasischen Juden, die klagen: Obwohl die Kultusgemeinde vor lauter Aktivität nur so zu summen und brummen scheint, erleben sie die Gemeinde als kalt und gegenüber ihren Bedürfnissen ignorant und abweisend.
5. Man würde sich eine Gemeinde-Zeitung wünschen, die lesenswert ist. Man würde sich wünschen, dass man seine Kinder in zumindest eine der mittlerweile vier jüdischen Schulen schicken möchte, dass im Stadttempel Lebendigkeit Einzug hält, dass das Gemeindezentrum (wieder) ein Ort der Begegnung, der Pflege des politischen Diskurses und der jüdischen Kultur ist.
Man würde sich wünschen, dass einfach in all die Immobilien, welche die Kultusgemeinde in den letzten Jahren projektiert, entwickelt, saniert und errichtet hat, vor allem eines einkehrt: jüdisches Leben.