Zwischen 1933 und 1957 traf sich die Elite aus Kunst und Wissenschaft in einem Landinternat in North Carolina. Viele der Lehrenden waren Immigranten, denen die Flucht aus Nazideutschland gelungen war.
Von Andrea Schurian
Am Anfang standen eine Spende von 14.500 Dollar, zwölf Lehrer und zweiundzwanzig Studenten sowie ein Sommerhotelbau in Black Mountain in der Nähe von Charlotte, der als Konferenzzentrum genutzt wurde. Ein weltoffenes Landinternat mit einem hohen Anteil an gestalterischen Fächern und vielen Freiheiten für die Schülerinnen und Schüler: So stellte sich der Gründungsdirektor John Andrew Rice das Black Mountain College (1933–1957) nahe Asheville in North Carolina vor. Junge Menschen sollten ihren individuellen Zugang zum Kunstschaffen finden, durch gemeinsames Arbeiten und Experimentieren ihre Potenziale entdecken. Geworden ist es eine basisdemokratisch organisierte, kreative Brutstätte für vornehmlich jüdische Künstler, Tänzer, Mathematiker, Soziologen, Architekten, Visionäre, denen die Flucht aus Hitler-Deutschland gelungen war oder die gegen die dogmatischen Strukturen an den US-amerikanischen Universitäten aufbegehrten. Schon das erste Manifest vom Herbst 1933 spricht sich gegen pure Faktenbüffelei aus: „Wir wollen Methode lehren und nicht Inhalte, Prozesse statt Resultate.“
Rice gelang es, die besten Lehrkräfte aus den USA und aus Europa zu verpflichten: Immigranten, die dem Naziterror entflohen waren, brachten Lehrkonzepte aus dem Bauhaus nach North Carolina. Das Jahrhundertgenie Albert Einstein unterrichtete hier ebenso wie der deutsch-jüdische Mathematiker Max Dehn, der als erster eines der 23 mathematischen Probleme zu lösen imstande war, von denen der deutsche Mathematiker David Hilbert annahm, sie würden die kommenden Jahrhunderte bestimmen. Heinrich Jalowetz, Wissenschaftler, Musiker und einer der meistgeschätzten Schüler Arnold Schönbergs, fand hier eine neue Wirkungsstätte. 1924 war Jalowetz Nachfolger von Otto Klemperer am Kölner Opernhaus geworden, verlor aber als Jude 1933 seine Stellung. So wie Schönberg Tonalität ablehnte, lehnte Josef Albers den Naturalismus in der Malerei ab. Albers und seine Frau Anni, eine Textilgestalterin, zählten zu den ersten, die am BMC unterrichteten. Mit dem Anspruch, seinen Studenten nichts aufzwingen, sondern ihnen die Augen öffnen zu wollen, verkörperte er geradezu das Ideal eines Black-Mountain-Dozenten.
Landwirtschaft am See
Ebenso wichtig wie die Unterrichtsstunden war die Zeit dazwischen. Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer lebten gemeinsam auf dem Campus, der Speisesaal war oftmals Schauplatz für Theater- oder Tanzperformances. Die freiwillige landwirtschaftliche Arbeit sollte nicht nur Einfallsreichtum und den Kontakt zwischen Schülern und Lehrern fördern, sondern sie war auch zur existenziellen Absicherung und Wahrung der Unabhängigkeit vonnöten. Typisch für diese doppelte Bedeutung von gemeinsamen Aktivitäten war der eigenhändige Bau des Studies Building, das direkt am Seeufer gelegen war. Der See, an dem der Campus lag, heißt Lake Eden. Ein passender Name für dieses Sammelbecken von Weltstars, die hier entweder lehrten oder studierten, einander beeinflussten und inspirierten, so wie die Mal-Revolutionäre Cy Twombly, Robert Rauschenberg und Willem de Kooning.
Der Musiker John Cage verwirklichte hier 1951 das allererste Happening Theater Piece No. 1, in dem Zufall und Gleichzeitigkeit eine wesentliche Rolle spielten; der Tänzer und Choreograf Merce Cunningham gründete zwei Jahre später am Black Mountain College seine weltberühmte Dance Company; der Architekt Richard Buckminster Fuller realisierte am BMC erstmals eine sogenannte geodätische Kuppel: Diese sphärischen Kuppeln mit einer Gitterschale aus Dreiecken verhalfen ihm später zu Weltruhm. Kulturaustausch – dieses trockene, nach verwaltungsbefleckter Beflissenheit riechende Wort – fand hier wirklich statt. Das Black Mountain College positionierte sich mit seinen ganzjährigen Studienlehrgängen ebenso wie mit seinen legendären Sommerkursen als wichtiger Katalysator für die Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts, weg vom Objekt und dem hergebrachten westlichen Formverständnis, hin zur Entmaterialisierung der Kunst, zum Ereignishaften und zur Auflösung medialer Grenzen. Es war ein Ort gelebter Utopie, ein Fluchtpunkt der Moderne und ist bis heute eine Projektionsfläche für gestalterische und gesellschaftliche Ideen.