Seit 2008 verkörpert Natalie O`Hara die Wirtin in der Serie „Der Bergdoktor“. Ihr Herzensprojekt ist allerdings das von ihr mitkonzipierte Stück über die jüdische Pianistin Alice Herz-Sommer, eine Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt.
von René Wachtel
Wir sitzen an einem herrlichen Sommertag auf einer Terrasse in Scheffau beim Wilden Kaiser. Natalie O`Hara hat noch am Abend einen Dreh, aber sie hat sich Zeit genommen, uns von ihrem Herzensprojekt zu erzählen: Die 48-jährige Schauspielerin spielt seit ihrer Kindheit Klavier und hat es zu einer gewissen Perfektion gebracht. Vor Theateraufführungen spielt sie immer Klavier, um sich auf Ihre Rolle einzustimmen. Manchmal ist es ein toller Konzertflügel, oft aber auch nur ein verstimmtes Klavier in einem verstaubten Lagerraum im Theater. „Ich wollte schon immer etwas mit Klavier machen – z. B. eine Lesung mit klassischer Klavierbegleitung. Eines Tages habe ich eine Dokumentation über die jüdischen Pianistin Alice Herz-Sommer gesehen und war von ihr fasziniert“. Die Dokumentation erzählte von Alice Herz-Sommers Leben vor dem Krieg in Prag als gefeierte Konzertpianistin und von ihrem Überleben mit ihrem damals sechsjährigen Sohn in Theresienstadt, das ihr nur durch ihr Klavierspiel gelang. Sie wurde in das Lagerorchester aufgenommen. Nach dem Krieg ging sie nach Israel, war dort Klavierlehrerin und übersiedelte später nach London. Bis zu ihrem Tod im Alter von 110 Jahren spielte sie noch täglich Klavier. Für Natalie O`Hara eine Lebensgeschichte, die sie unbedingt künstlerisch umsetzen wollte. Ein Film war zu aufwendig. Da kam ihr die Idee, eine szenische Lesung zu konzipieren. Diesen Plan setzte sie gemeinsam mit der Schauspielerin und Regisseurin Kim Zarah Langer und Francois Camus als Regisseur um. „Wir fuhren gemeinsam nach Prag und nach Theresienstadt. Unsere Reise war sehr emotional – wir konnten in Theresienstadt den kleinen Saal sehen, der damals als Konzertsaal diente, wo auch Alice Herz-Sommer spielte. Ich war zu Tränen gerührt. Ich dachte, dass Alice Herz-Sommer uns im Himmel zusieht und wir daher dieses Stück machen müssen.“ Wir beschlossen, auch nach Israel zu fahren, es war meine erste Reise dorthin. Wir trafen eine Schülerin von Alice, Esther Maron – jetzt 80 Jahre alt. Wir spielten gemeinsam Chopin. Sie kopierte für mich alte Noten, mit handschriftlichen Anmerkungen von Alice Herz-Sommer. Näher an Alice konnte ich nicht kommen!“ In Israel bekam sie einen Davidstern, der seither als ihr Glücksbringer dient. Esther Maron reiste dann auch zur Uraufführung nach Hamburg. 2020 entstand die erste Fassung, in der Nathalie O`Hara mehr als zwanzig Rollen spielen sollte – Alice, ihren Sohn, die Mutter, die Nachbarn, etc. Gleichzeitig sollte sie auch noch am Klavier Chopin, Beethoven, Schubert spielen. „Ich zweifelte sehr daran, es schien mir zu viel. Um mich zu perfektionieren, nahm ich zwei Jahre lang Klavierunterricht und ließ mir verschiedene Dialekte – berlinerisch oder auch Jiddisch – vorsprechen, um mich vorzubereiten. Uns war wichtig, dass das Stück so lebensbejahend sein soll, wie Alice Herz-Sommer es gewesen ist“. Es sollte eine positive Energie verbreiten und vermitteln, wie jemand nach all diesem Schrecken im Konzentrationslager noch immer Ja zum Leben sagen konnte.
Um das Stück einem Theater anzubieten, drehte Natalie O Hara in einem Filmstudio einige Szenen. „Die Kameraleute kannten nichts vom Inhalt, in einer der Drehpausen begannen sie plötzlich über das Stück zu reden. Da wusste ich, wir sind am richtigen Weg“. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Team alles gratis gemacht. Wir bekamen von staatlicher Seite keine Förderung. Mit Hilfe eines privaten Förderers gelang es, die Produktionsvorbereitungen zu professionalisieren. „In Theresienstadt konnten wir auch Kinderzeichnungen fotografieren, die wir als Projektion in dem Stück verwenden. Das Bühnenbild besteht nur aus einem Tisch, einem Sessel, eine Decke und dem Klavier“. Die Premiere im Oktober 2022 wurde ein voller Erfolg. Bei den bisher 60 Vorstellungen in vielen Städten gab es immer „Standing Ovations“. Eine besondere Erfahrung stellt die Aufführung im Jüdischen Gemeindezentrum in Frankfurt dar, nur wenige Tage nach dem 7. Oktober 2023. „Es stellte sich die Frage, ob man angesichts des Massakers der Hamas das Stück zeigen sollte. Wir haben uns dafür entschieden. Es war ein besonders berührender Abend. Das Stück ist auch ein Beitrag im Kampf gegen den stärker werdenden Antisemitismus. Die Zeitzeugen sterben, daher muss man auf anderen Wegen immer wieder erinnern.“
Für 2025 plant Natalie O`Hara auch eine kleine Tournee mit dem Stück durch Deutschland. Und mit Hilfe der Schülerin von Alice Herz-Sommer, Esther Maron, soll ein Auftrittsort in Israel gefunden werden. Zunächst ist aber Wien an der Reihe, wo das Stück am 25. Oktober aufgeführt werden wird. Natalie O Hara freut sich immens auf Wien. „Die Stadt von Schubert und Beethoven und da darf ich dann Klavier spielen, in einer Stadt mit einer so vielschichtigen jüdischen Geschichte.“ Bis dahin wird in Tirol weiter am „Bergdoktor“ gedreht und in den Drehpausen ist sie mit dem Ansturm an Fans beschäftigt.
Alice – Spiel um dein Leben am 25. Oktober 2024 im Theater Akzent in Wien. Beginn: 19.30 – Karten online