Filmemacherin Anja Salomonowitz liebt Arthouse-Kinos. Trotzdem ging NU mit ihr ins Cineplexx Donauplex und schaute sich einen Blockbuster an. Es wurde ein in mehrfacher Hinsicht aufschlussreiches Programm.
Von Rainer Nowak (Text) und Peter Rigaud (Fotos)
Gibt es einen schlimmeren, einen traurigeren, einen sonderbareren Ort als ein Multiplex-Einkaufscenter? Ja, ein Multiplex-Einkaufscenter, das wegen Umbaus de facto eine Baustelle ist, aber dennoch geöffnet hat. Wir befinden uns im Cineplexx Donauplex in der Donaustadt. Draußen herrschen trotz Abendstunde Temperaturen um die 30 Grad. Vermutlich ist es also die tapfer gegen die Hitze ankämpfende Klimaanlage, die ein paar Zeitgenossen hierher gelockt hat.
Die tristen Systemgastronomielokale können es nicht sein, obwohl der Western-Salon, der zwar nur wenige Fenster, dafür aber einen Gastgarten bietet, immerhin ein paar Besucher hat. Im zur Einkaufspassage wie zur Baustelle offenen Running-Sushi-Restaurant sitzt nur ein einsames Paar. Im China-Wirtshaus daneben ebenso. Auf den kleinen Förderbänden vertrocknen die Fischhappen trotz oder wegen der Bewegung schnell.
Anja Salomonwitz hat mir natürlich ein Arthouse-Kino vorgeschlagen, als ich sie um einen cineastischen Interview-Ausflug bat. Sowohl das Filmmuseum wie eine gerade angesagte temporäre Kinoleinwand auf dem Karmelitermarkt hätten es sein können. Aber nein, ich beharrte auf ein derb-städtisches Megaplexx-Kino und einen Blockbuster, um mir von der jungen, erfolgreichen Regisseurin ihr Verständnis von Kino, Film und Judentum erklären zu lassen.
Also liefen wir spontan ins Donauplex und litten tapfer gemeinsam unter der Hitze und den Umständen.
Salomonowitz war schon einmal hier gewesen, nicht um ins Kino zu gehen, sondern aus beruflichen Gründen. 2003 arbeitete sie erstmals für einen der Großen in der österreichischen Branche: Sie, gerade als ausgebildete Cutterin von der Filmakademie abgegangen, recherchierte im Auftrag Ulrich Seidls, des neben Michael Haneke wohl wichtigsten Filmemachers des Landes, für dessen Film „Jesus, du weißt“. Darin lassen sich mehr oder weniger besessene Katholiken über ihre Abhängigkeit von Gott aus. Eine von ihnen predigte im Ausgang des Donauplex.
Ob sie eigentlich eine Linke sei, frage ich etwas unorthodox mitten im Gespräch über ihre Leidenschaft, Dokumentarfilme mit politisch eindeutiger Botschaft zu fabrizieren. Ihre Antwort ist ein schallendes Gelächter. Ihre eigentliche Antwort „Ja, natürlich! Was glaubst du denn!“ geht darin fast unter.
Zugegeben, das ist auch eine überflüssige Frage, lässt man ihre bisherigen Filme Revue passieren, die der jungen Frau internationale Aufmerksamkeit und zahlreiche Preise einbrachten. In dem Kürzest-Film „Codename Figaro“, der gerade einmal eine Minute dauert, ließ sie eine Österreicherin im Telefonat mit ihrem nicht-österreichischen Verlobten fragen, ob nicht auch „Die Hochzeit des Figaro“ eine Scheinehe sei. In „Kurz davor ist es passiert“ nehmen Diplomaten und Zöllner die Rolle von Opfern von Frauenhandel ein und erzählen aus der Ich-Position deren grauenvollen Schicksale.
Im Donauplex ist es inzwischen Zeit, in die Vorstellung zu gehen. Ich habe den neuen Batman-Film „The Dark Knight rises“ ausgesucht, er wird in einem winzigen Saal ausgestrahlt. Der Streifen, der wegen des jüngsten Massakers in den USA zum Sinnbild für Gewalt wurde, beginnt in einem Flugzeug mit einer Orgie aus Morden, Schüssen und krimineller Energie. Warum auch und gerade in mehr oder weniger zivilisierten Ländern solche Filme so beliebt seien, will ich von ihr wissen. Bei einem Pornofilm sei die Motivation der gebannten Zuseher noch einigermaßen nachzuvollziehen, aber warum fasziniert uns Gewalt? „Auch die ist ein Trieb und im Menschen“, sagt Salomonowitz so beiläufig, als habe sie die Frage schon häufig erörtert. Und: „Es geht auch um das Überleben des Protagonisten, das der Zuseher sehen und miterleben will.“
Wir warten das Ende nicht ab und verlassen den Film und seinen tristen Ausstrahlungsort. Am Fußweg zur Alten Donau führt die lokale Jugend ihre Autos aus. Dank des sich langsam dahinziehenden Sonnenuntergangs wird es kurz kulturpessimistisch – aber ganz und gar ohne Depression. Qualitätszeitungen und echte Programmkinos erleben gerade ein ähnliches Schicksal. Das begeisterte Publikum wird von Jahr zu Jahr geringer. Die Konkurrenz durch neue Medien, die man bequem am Notebook oder iPhone zu Hause konsumieren kann, wird immer stärker. Was soll man dagegen tun? Salomonowitz denkt – ich muss das jetzt kalauerhaft schreiben – zuerst natürlich an bessere Inszenierungen des Themas. Soll etwa heißen: eine Film- Matinee zu veranstalten, statt einfach nur den Kinofilm mit Cola & Co anzubieten. (Anja Salmomowitz wollte übrigens kein Popcorn, was mich einigermaßen verstört hat.)
Und die Printmedien? Wie kann man die besser inszenieren? Ok, das ist mein Thema – und damit auch mein Problem. Aber sonderbarerweise sind wir auch beide Teile davon. Anja lädt sich ständig Filme aus dem Netz, und wäre es nicht unter Umständen strafbar, würde ich jetzt schreiben, wie viel sie dafür zahlt. Auch ich surfe am liebsten von Gratis- Newsportal zu Gratis-Newsportal. Aber an den Untergang des klassischen Kinos und der guten alten Zeitung wollen wir einfach dennoch nicht glauben.
Reden wir lieber über ihren neuen Film. Bald wird eines ihrer bisher aufwendigsten Projekte in die Kinos kommen. Salomonowitz begleitete binationale Paare, von denen ein Partner Österreicher ist, durch ihr Leben. Jedes von ihnen kämpft mit Asylbestimmungen, manche mit Abschiebung, viele halten den Druck der Fremdenbürokratie nicht aus und trennen sich wieder. Nur manche Familien erleben ihre Variante eines Happy Ends. Anja Salomonowitz hat die Paare teils vor Jahren kennengelernt und immer wieder getroffen. Jedes von ihnen spielt im Film nur eine Szene und lässt so patchworkartig eine typische Beziehungsgeschichte entstehen. Zuerst die Anfangsromantik, dann die Hochzeit, die Schwangerschaft, Abschiebung, Bürokratie, Trennung, Liebe. Alle Paare tragen übrigens gelb.
Schon in ihrem viel beachteten Film „Das wirst du nie verstehen“ waren alle ihre Gesprächspartner weiß gekleidet. Die handelnden Personen stammten aus ihrer eigenen Familie, die sie zur Vergangenheitsbewältigung traf. Die Großmutter, die zuschaute, die jüdische Großtante, die das KZ überlebt hatte, das Kindermädchen, das einst im Widerstand gewesen war. Salomonowitz nächster Film soll sich um die Aufteilung der Erziehungszeiten zwischen Müttern und Vätern in Schauspieler-Familien drehen.
Irgendwann stehen wir dann von der Segelschule Hofbauer, in der die Küche nicht schlecht sei, erzählt sie. „Ich habe dort einmal gute Eiaufstrichbrote gegessen.“ Kurz bevor das Taxi kommt, wird es noch einmal vermeintlich ernst: „Erziehst du deine Söhne jüdisch?“, frage ich. „Ja, schon, aber nicht so konsequent und ernsthaft wie meine Mutter mich und meinen Bruder“, antwortet sie. Und dann schiebt sie plötzlich nach: „Und ja, sie sind beschnitten.“ Und dann muss sie schon wieder kurz lachen.