Sie ist Schauspielerin, Regisseurin, Schriftstellerin – und die Tochter des unvergesslichen Burgtheater-Stars Gert Voss, der vor fünf Jahren, am 13. Juli 2014, starb. Nur wenige Monate später folgte ihm seine Frau, die Dramaturgin Ursula Voss. Unterwegs mit Grischka Voss am Zentralfriedhof zum Ehrengrab der Eltern und in den alten Jüdischen Friedhof.
Grischka Voss im schrägen Horrormovie? Passt. Demnächst wird sie in dem experimentellen Splatterfilm Ein Kind aus Schmerz und Spucke des Regisseurs Stefan-Manuel Eggenweber mitspielen, weil: nur keine Angst vor Peinlichkeit! Außerdem schreibt sie an ihrem ersten Roman über eine Frau auf der Suche nach der Liebe zu sich selbst: ein Freigeist, der einerseits sehr extrem die eigene Lust lebt, und gleichzeitig ein sehr einsamer und verzweifelter Mensch ist.
„Bulletproof“ wiederum ist der Arbeitstitel für eine offensive Eine-Frau-Performance, die sie gerade für das Wiener Theater in der Drachengasse entwickelt, Musik- und Tanzeinlagen inklusive. Hauptthema: feministische Selbstfindung und weibliche Körpersäfte. Ein heikles Thema, gerade auch für gläubige Juden; bekanntlich wird im Judentum die Menstruation mit dem Tod in Verbindung gebracht, ihr Ausbleiben mit Empfängnis und Leben, die Menstruierende selbst ist Nidda, also abgesondert. „Ja, schon erstaunlich, dass die Tabuisierung von Regelblut eigentlich in fast allen Religionen tradiert wird“, sagt sie. „Warum? Blut ist ein Lebenssaft. Steckt da womöglich Neid dahinter?“
Fängt ja schon gut an, ist aber auch typisch Grischka Voss. Weil: Tabus? Gibt es nicht! Geschmacksgrenzüberschreitung? Jederzeit! Lieblingsort? Bruchstellen des Lebens. Glaubensbekenntnis? Risiko! Lebensmotto? Humor ist, wenn man trotzdem immer lacht. Diese schöne, quirlige Frau mit der wilden, stets ein wenig zerzausten blonden Lockenmähne und dem breiten Lächeln kultiviert ihren rabenschwarzen Humor, auch und gerade in Situationen, in denen anderen das Lachen vergeht: „Ich bin extrem albern und lache einfach gern, egal worüber. Für mich ist es wichtig, auch über das zu lachen, worüber man eigentlich nicht lachen darf. Aber ich finde, man muss auch in der schlimmsten Katastrophe noch die Komik sehen. Das ist die einzige Rettung, um alles ertragen zu können. Mein Lebensziel ist, dass ich einmal über alles lache – da bin ich schon auf einem guten Weg, überhaupt seit dem Tod der Eltern.“
Vor fünf Jahren verlor die vielseitige Künstlerin innerhalb kürzester Zeit beide Eltern. Am 13. Juli 2014 starb 72-jährig ihr Vater, der unvergessliche Burgtheater-Star Gert Voss; ihre Mutter, die Dramaturgin Ursula Voss, folgte ihrem geliebten Mann am 6. Dezember, nur wenige Tage nach ihrem 67. Geburtstag. „Mein Vater war zwei Wochen im Krankenhaus, meine Mutter drei. Seitdem habe ich die Theorie, man sollte nie länger als zwei Wochen im Krankenhaus sein, weil man das nicht überlebt“, sagt sie – und lacht, typisch Grischka, laut auf. Dann wird sie nachdenklich. „Die Eltern beim Sterben zu begleiten, war das Fürchterlichste und Traurigste, aber – so seltsam das jetzt auch klingen mag – auch das Schönste. Denn man hat noch die Chance, zu verstehen, was es heißt, zu sterben, sich von dem Menschen zu verabschieden. Wenn man jemanden langsam sterben sieht, den Tod selber erlebt, das Sterben an sich, den letzten Moment: Da versteht man etwas. Das geht nicht über den Verstand, es ist ein körperliches Verstehen. Es ist ein anstrengender und teilweise sehr schmerzhafter Prozess, aber gleichzeitig muss es wunderschön sein. Jedenfalls habe ich es so gesehen und erlebt.“
Höhen und Tiefen
Wir treffen einander am Zentralfriedhof, Tor 2. Grischka Voss kommt mit ihrem Lebenspartner, dem Burgschauspieler Markus Hering, und dessen Tochter Lotta. Emil, der zwölfjährige Sohn der Schauspielerin, verbringt das Wochenende bei seinem Vater Ernst K. Weigel. Voss und Weigel hatten einander 1997 bei einer Theaterproduktion kennengelernt. 2006 wurde geheiratet und Sohn Emil geboren. Weigel gründete in der Kirchengasse das Off-Theater. Viele Jahre hat das Künstlerduo Voss/Weigel mit einer aberwitzigen Mixtur aus Commedia dell’Arte, Trash, Splash, Wiener Aktionismus, körperlicher Verausgabung und verbaler Entgleisung das Bernhard-Ensemble geschupft und die gepflegten Wege bürgerlichen Unterhaltungstheaters verlassen. Die beiden schrieben Stücke, inszenierten und spielten. Nach der einvernehmlichen Scheidung kam auch die berufliche Trennung. Die Entfremdung zwischen ihr und ihrem Exmann; das Sich-Wiederfinden als alleinerziehende Mutter; ihre Kindheit und Jugend als „Gauklerkind“ einer vazierenden Theaterfamilie; die Herkunftsfamilien mütter- und väterlicherseits; die Verwerfungen und Glücksmomente; kurzum: die Höhen und Tiefen ihres Lebens beschreibt sie hinreißend komisch, radikal ehrlich und schockierend schonungslos in ihrer Autobiografie Wer nicht kämpft, hat schon verloren (Amalthea Verlag). Auch über das Sterben der Eltern, über die Trostlosigkeit und das Ausgeliefertsein in den Krankenhäusern, über das Abschiednehmen schreibt sie mit geradezu schmerzender Offenheit.
Das schlichte Ehrengrab der Eltern Voss liegt ein wenig abseits vom restlichen Ehrengrab- und Prominententrubel, umrahmt von Büschen, beschattet von einem Baum. Ein kleines Blumenbeet. „Sich lernend verändern“, steht auf dem, an eine abgebrochene griechische Säule erinnernden Grabstein, den André Heller entworfen hat. „Zwischen ihm und meinen Eltern herrschte eine starke Verbundenheit, ich dachte, diesen Stein entwerfen kann nur er. Er hat sich gefreut, glaube ich, gleichzeitig hat es ihn sicher auch gestresst“, erzählt sie und steckt zwei weiße Rosen in die Vase neben dem Stein. „Meine Mutter hat dieses Grab schön ausgewählt, es gibt keine Nachbarschaft, es ist ein einsamer, abgeschiedener Ort. Ihr war wichtig, dass mein Vater Ruhe hat – und sie auch, wenn sie dorthin kommt“, sagt sie. Und lacht. So wie sie über das Missverständnis bei der Bepflanzung der letzten Ruhestätte hellauf lachen muss: „Ich pflanzte sehr sorgfältig Blumen und Pflanzen in den Lieblingsfarben meiner Eltern. Aber jedesmal, wenn ich wiederkam, waren sie weg. Ich dachte, dass Fans meines Vaters die Blumen ausreißen und neue einsetzen würden. Doch dann wurde ich von der Friedhofsverwaltung aufgeklärt, dass das Ehrengrab von der Stadt Wien gepflegt und bepflanzt wird. Das hat mir das Grab auch entfremdet.“
Zeitstillstand am Jüdischen Friedhof
Seit mehr als einem Jahr habe sie ihre Eltern nicht mehr am Friedhof besucht, „weil ich dort nie die Intimität und Ruhe finde, die man sich erwartet und erhofft. Es ist in gewisser Weise eine Sehenswürdigkeit, dementsprechend sind andere Menschen da, erkennen mich, sprechen mich an. Da gab es auch schon ziemlich unangenehme Begegnungen. Eigentlich gehe ich nur dorthin, um nach dem Rechten zu sehen. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass sich meine Eltern dort befinden. Sondern seit dem Augenblick des Heraustretens aus ihren Körpern spüre ich sie um mich herum und in mir, aber nicht im Grab. Da sind nur die Überreste. Ich persönlich bräuchte kein Grab.“
Lieber geht sie, so wie auch jetzt, durch den alten Jüdischen Friedhof. Vogelgezwitscher. Windrauschen. Zeitstillstand zwischen moosüberwucherten, teils umgestürzten Grabsteinen. Namen aus einer längst vergangenen Zeit. „Immer, wenn ich Einsamkeit und Ruhe suche, gehe ich hierher. Es ist der einsamste Ort, viele Nachkommen leben nicht mehr, wurden von den Nazis umgebracht. Dadurch ist das alles so zugewachsen und überwachsen. Es ist ein eigenartiger Ort, der von der Vegetation zurückerobert wurde, manchmal begegnet man hier auch Rehen. Er ist magisch und traurig zugleich, wunderschön und erschütternd.“
Ob sie jüdische Wurzeln habe und ihre Urgroßeltern deshalb nach China ausgewandert wären, wurde sie oft von ihren (jüdischen) Freunden gefragt. Der Urgroßvater war Physiker und in seinen Zwanzigern, als er gemeinsam mit seiner Frau um 1900 nach Shanghai ging. Dort wurde auch Grischkas Großmutter, später ihr Vater geboren – der wiederum am liebsten mit den großen jüdischen Regisseuren arbeitete: George Tabori, Luc Bondy, Peter Zadek. „Mich hat die jüdische Kultur immer beschäftigt“, erzählt die Schauspielerin, die an Gott, aber nicht an Religionen oder Konfessionen glaubt. „Als ich in New York die Schauspielschule besuchte, zog ich in die Wohnung einer jüdischen Bekannten und wohnte über einer Synagoge. Gleichzeitig bin ich als Deutsche mit ganz starken Schuldgefühlen aufgewachsen, quasi als Nachfahrin der Nazis. Das hat mich sehr belastet. Ich hatte Schuldgefühle, wenn ich Juden bewusst begegnete, schämte mich meiner Nationalität und habe, als ich in New York lebte, absurderweise manchmal gelogen und behauptet, ich wäre Österreicherin.“ Sie lacht schallend: „Auch nicht besser!“
Bis heute hat sie ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Nationalität, seit ihrem 16. Lebensjahr lebt sie nicht mehr in Deutschland, „ich gehöre eigentlich nirgendwo hin. Vielleicht ist diese Wurzellosigkeit auch ein Andockpunkt bei meinen jüdischen Freunden. Das und natürlich der Humor, die trockene, unsentimentale Lebenseinstellung ohne Selbstmitleid, die Katastrophenwitze. Mein ganzes Leben ist ein Minenfeld von Katastrophen; und das Komische ist ja, dass mir nie nur eine Katastrophe passiert, sondern gleich noch etliche hinterher“, erzählt sie und lacht.
Reifungsprozess
Unlängst hat sie ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Auch eine Katastrophe? Vielleicht für andere, nicht für sie, im Gegenteil: „Ich gehöre zu den wenigen Frauen, die auf jedes Jahr, das sie älter geworden sind, stolz sind. Für mich ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, warum so viele Menschen ein Problem mit dem Älterwerden haben. Ich empfinde es als Reifungsprozess, als Befreiung und eine Gnade. Natürlich möchte ich noch lange leben, weil ich meinen Sohn heranwachsen sehen und ihn insgeheim beschützen möchte. Insofern tu ich alles dafür, gesund zu bleiben. Aber ich lebe mit dem Bewusstsein, dass es jederzeit auch zu Ende sein kann sein. Ich habe so viele Menschen verloren, mir ist bewusst, dass man für jeden Tag zutiefst dankbar sein muss.“