Der US-Wahlkampf aus israelischer Sicht.
VON JOHANNES GERLOFF, JERUSALEM
„Heute ist ein Schicksalstag“, verkündete der Nachrichtensprecher von Israels Kanal 1 zur abendlichen Hauptnachrichtenzeit, gestand dann allerdings prophylaktisch gleich ein: „Richtig, wir sagen das jedes Mal. Aber dieses Mal ist es wirklich so.“ Im Laufe der Sendung kommen Experten und amerikanisch-stämmige Israelis zu Wort: „Hillary reitet eigentlich nur auf den Angstwellen vor Trump“, wird da analysiert, und: „Die Begeisterung in der Demokratischen Partei liegt bei Sanders.“
Wie bei allen US-Vorwahlen in der Vergangenheit ist auch diese ein Top- Thema in Israels Medien. Man beobachtet genau und differenziert. Jeder einzelne Kandidat wird unter die Lupe genommen, sein Pfad Bundesstaat für Bundesstaat nachgezeichnet. Taktische Schachzüge der Politiker, die gerne zum mächtigsten Menschen der Welt werden möchten, werden registriert, beschrieben und bedacht.
Gleich gut: Clinton und Trump
Laut einer Umfrage des „Israel Democracy Institute“ glaubten im April 2016 40 Prozent aller jüdischen Israelis, Hillary Clinton sei besser für Israels Interessen, während 30 Prozent Donald Trump für besser hielten. Der überwiegende Teil der arabischen Israelis – etwa 20 Prozent der israelischen Staatsbürger sind Araber – wollte sich nicht festlegen. Wer sich äußerte, bezeichnete Clinton und Trump als gleich gut.
Schon früh gab es die üblichen Analysen nach dem Motto „Donald Trump, Israel und die Juden“. Darin wurde befriedigt festgestellt, dass Trump mehrfach pro-israelische Positionen vertreten, Präsident Obama kritisiert und Premierminister Netanjahu gelobt habe. Im Grunde habe Barack Obama es jedem republikanischen Herausforderer leichtgemacht, sich „pro-israelisch“ darzustellen.
Dass Obama für den Stillstand der palästinensisch-israelischen Verhandlungen ausschließlich Israel verantwortlich macht, habe die Palästinenser nicht kompromissbereiter gestimmt. Seine Weigerung, von „islamischem Terror“ zu sprechen und seine Versuche, die Terrormiliz Islamischer Staat als „nicht-muslimisch“ darzustellen, widerspreche schlicht der Realität im Nahen Osten. Trump wisse, so die Analyse, Schwächen und Verwirrung von Obamas Nahostpolitik geschickt auszunutzen.
Andererseits aber habe Trump „eine Politik vorgeschlagen und Äußerungen gemacht, die kein Jude guten Gewissens akzeptieren oder sich mit ihnen identifizieren kann“. Worauf diese Feststellung zielt, wurde deutlich, als Trump einen Israelbesuch, der eigentlich für den 28. Dezember 2015 geplant war, selbst absagte, „um Netanjahu nicht unter Druck zu bringen“. Grund dafür war, dass der vollmundige Neupolitiker nach dem Massaker von San Bernardino am 2. Dezember vorgeschlagen hatte, allen Muslimen die Einreise in die Vereinigten Staaten zu verbieten.
Ein grundsätzlicher Einwanderungsstopp ruft bei Juden ungute Erinnerungen wach. Im vergangenen Jahrhundert retteten Wanderbewegungen unzählige Juden vor Verfolgung, Pogromen und Vernichtung in Osteuropa, Russland und der arabischen Welt. Zudem hat man die geschlossenen Grenzen während des Zweiten Weltkriegs nicht vergessen, die viele jüdische Menschen das Leben gekostet haben. Deshalb protestierten 37 Knesset-Mitglieder gegen den Trump- Besuch und forderten von Netanjahu, ihn abzusagen. Netanjahu weigerte sich. Zum Glück für ihn sagte Trump dann selbst seinen Besuch ab.
Im Januar gab Mike Bickle, Gründer und Direktor des International House of Prayer in Kansas City, seine Unterstützung des inzwischen aus dem Wahlkampf ausgeschiedenen, republikanischen Präsidentschaftsanwärters Ted Cruz bekannt. Schnell fanden israelische Journalisten heraus, dass Bickle Juden zum Christentum bekehren will; dass er behauptet, Hitler sei von Gott gesandt gewesen, um die Juden zu verfolgen, die Jesus nicht als Messias anerkannt haben; und dass er dem jüdischen Volk noch einmal eine furchtbare Leidenszeit in der Zukunft inklusive Konzentrationslagern prophezeit als Gottes Gericht für die „Perversion und Sünde“ Israels.
Für Amerikas Juden wäre Cruz der letzte Republikaner, für den sie ihre Stimme abgeben würden, spekulierte Chemi Shalev in der linksliberalen Tageszeitung HaAretz aus Anlass von Bickles Unterstützungszusage. Daran ändere auch die jüdische Desillusionierung über Obama nichts. Nur ihr Mitjude Bernie Sanders sei noch weniger wählbar, meinte daraufhin der israelische Kommentator.
Hillary Clintons jüdischer Herausforderer innerhalb der Demokratischen Partei hat sich wiederholt durch Äußerungen zur Lage im Nahen Osten profiliert, die eine eigenartige Mischung aus Unkenntnis und offener Antipathie gegenüber dem Staat offenbaren, in dem er selbst einige Zeit seines Lebens verbracht hat. So meinte Bernie Sanders etwa, dass zwei Stadtviertel von Baltimore „eine höhere Kindersterblichkeitsrate aufweisen als die Westbank in Palästina“. Prompt berichtete die Jerusalem Post die Frage von David Harris, dem Vorsitzenden des American Jewish Committee: „Was haben die Herausforderungen der Leute in Baltimore mit dem täglichen Leben der Palästinenser in der Westbank zu tun?“, unmittelbar gefolgt von dem Vorwurf: „Wer völlig zusammenhanglos den israelisch-palästinensischen Konflikt in einer amerikanischen Innenpolitikdiskussion anführt, dient denen, die nur darauf aus sind, Israel für alle Versäumnisse der Palästinensischen Autonomiebehörde verantwortlich zu machen.“
„Es gibt viele verärgerte und unglückliche Leute“
Der Historiker Joel Fishman ist in Kanada geboren, in den Vereinigten Staaten aufgewachsen und lebt seit vier Jahrzehnten in Jerusalem. Mit Blick auf das Geschehen in seiner alten Heimat meint er: „Wir haben eine Wahl in den Vereinigten Staaten, bei denen alle keinen mögen. Sanders ist ein Radikaler. Sein Programm ist unmöglich umzusetzen. Er verspricht allen, was sie wollen. Wie einer meiner Freunde einmal sagte: Wenn man die Utopie mit der Realität vergleicht, sieht die Realität immer schlecht aus.“
Fishman meint, dass die überraschende Anziehungskraft von Sanders und Trump sich daraus speist, dass „es viele verärgerte und unglückliche Leute gibt, deren Sorgen niemand anspricht. Es gibt gute wirtschaftliche Gründe dafür, warum die Leute unglücklich sind. Die Obama-Administration hat Fragen thematisiert, die nicht wirklich wichtig sind: Gender-Toiletten für Transsexuelle oder Meditationsräume für gestresste Studenten. Mit der schrankenlosen Immigration spricht Trump Fragen an, die die Mittelklasse bewegen.“
Der israelische Historiker greift Ängste auf, die von Verwandten und Freunden in den USA ausgesprochen werden. Man meint, Bemühungen feststellen zu können, die Bevölkerung der Vereinigten Staaten durch Migration zu verändern, um so die Politik des Landes neu ausrichten zu können. „Die Amerikaner mögen es nicht, dass man das Christentum zur zweiten Religion in den Vereinigten Staaten zu machen sucht, während der Islam die bevorzugte Religion werden soll.“ Joel Fishman lacht zweideutig, während er diese Aussagen mit einer Anspielung an das Gedicht „Die Lösung“ kommentiert, das Bertolt Brecht nach dem 17. Juni 1953 verfasste: „Vielleicht hat das amerikanische Volk das Vertrauen seiner Regierung verscherzt. Deshalb löst die Regierung jetzt das Volk auf und wählt sich ein anderes.“
Während Joel gedankenverloren das Glas mit kühlem Weißwein an die Lippen setzt und die warme Luft der letzten Pessachtage genießt, betritt seine Frau Rivka den Raum. „Trump ist ein Demagoge“, wirft die pensionierte Dozentin für jüdische Literatur und Geschichte an der Hebräischen Universität ein: „Vielleicht finde ich ihn gut, weil er keiner von den anderen ist.“ Sie erinnert an ihren Cousin aus New York, der meint: „Bei Hillary weiß ich, dass sie in puncto Israel 100 Prozent falsch liegt. Bei Trump besteht die Möglichkeit, dass er vielleicht nur zu 75 Prozent Unrecht hat.“ Dann fügt sie erklärend hinzu: „Wir vertrauen Hillary Clinton nicht, weil sie alle diese fürchterlichen Berater hat, wie Sidney Bloomenthal. Der ist jüdisch, aber sehr anti-israelisch.“ Bernie Sanders ist den Fishmans zu radikal: „Der ist Kommunist, noch nicht einmal Sozialist!“ Immer wieder betonen sie: „Wir kennen Trump nicht, wissen nicht, wer seine Berater sein werden. Hillary und ihre Berater kennen wir. Sie wäre auf jeden Fall besser als Obama. Jeder wäre besser als Obama, alle – außer Sanders!“