Wie kam dieses Interview zustande? NU wollte Oskar Deutsch schon im Frühjahr persönlich interviewen, aber er sagte aus Zeitgründen ab. Vor Erscheinen dieser Ausgabe fragten wir erneut an, und er machte den Vorschlag, per e-mail Fragen und Antworten auszutauschen.
Von Petra Stuiber und Barbara Tóth
1) Sie halten sich mit Auftritten im IKG-Wahlkampf zurück (z. B. WIZO-Diskussion letzte Woche). Sind Sie menschenscheu oder haben Sie Wahlkampf nicht nötig, weil Sie davon ausgehen, ohnehin zu gewinnen?
Weder noch. Ich bin leidenschaftlich gern unter Menschen. Aber wir sind nicht in den USA, dass wir über Jahre hinweg Wahlkampf führen. In erster Linie bin ich Präsident der IKG und als solcher für die Gemeindemitglieder verantwortlich. Für sie trage ich die Verantwortung. Einem ungeschriebenen Gesetz zufolge wird – wie auch bei anderen Konfessionen – der Wahlkampf so wenig wie möglich in eine breite Öffentlichkeit gespielt. Das wollen die Mitglieder der IKG nicht, und dem möchte ich auch entsprechen. Meine Partei wird mit dem Wahlkampf erst im Herbst beginnen. Mich soll man dann an meinen Einsatz für die IKG messen und nicht an der medialen Selbstdarstellung, wie sie andere gern betreiben. Ich sehe meine Aufgabe darin, für die Gemeindemitglieder tätig zu sein und nicht in der medialen Selbstinszenierung.
2) Gleichzeitig veranstaltet die IKG viele Feste, Tage der offenen Tür etc., Events, die man wiederum als eine Art Feel-Good-Wahlkampf auslegen könnte. Wie trennen Sie das von ATID, auch finanziell?
Einer meiner Leitsätze als Präsident ist es, die IKG zu öffnen. Die Gemeinde hat immer schon viele Veranstaltungen gemacht, aber wir wollen eben jetzt auch stärker über die Grenzen der Gemeinde hinaus wirken. Der Austausch mit Anderen ist mir wichtig. Ich habe vor einem Jahr die Europäischen Makkabi-Spiele nach Österreich geholt und das Echo war auch in breitenwirksamen Medien toll. Solche Zeichen eines neuen jüdischen Selbstbewusstseins und des Auf-die-Öffentlichkeit-Zugehens soll es öfter geben. Zum Kern Ihrer Frage: Alle Veranstaltungen, die in meiner bisherigen Amtszeit als Präsident organisiert wurden, sind IKG-Veranstaltungen. Sobald ATID mit dem Wahlkampf beginnt, wird ATID auch eigene Veranstaltungen machen und diese auch selbst finanzieren.
3) Ariel Muzicant hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er polarisiert, und er hat sich auch Feinde damit gemacht. Sie präsentieren sich zurückhaltender. Ziehen Sie damit die Lehren aus Muzicants Strategie?
Ariel Muzicant hat in 14 Jahren an der Spitze der Gemeinde viel bewegt. Er hat die Kultusgemeinde ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Darunter fiel auch eine Zeit, wo Zurückhaltung fehl am Platz gewesen wäre. Muzicant hat in vielen schwierigen Situationen das Richtige gemacht. Es gab die schwarz-blaue Regierung, das Thema Restitution, die Friedhöfe und vieles mehr. Jetzt müssen wir wieder mehr nach innen arbeiten. Es gilt, die Serviceleistungen der IKG zu verbessern, Zuwanderung geregelt zu ermöglichen. Aber Sie können beruhigt sein: Bei politischem Bedarf und bei Auftreten von Antisemitismus und Rassismus werde ich mich selbstredend, wenn nötig mit aller Schärfe zu Wort melden.
4) Ihre Aussage zu Darabos („Problem mit lebenden Juden“) hat Ihnen viel Kritik eingebracht. Würden Sie es rückblickend anders formulieren?
Danke, dass Sie mit diesem Beispiel den Beweis liefern, dass ich mich im Bedarfsfall offensiv zu Wort melde. Nur kurz zum Anlass: Minister Darabos hat ein Mitglied der israelischen Regierung als „unerträglich“ bezeichnet. Über die noch viel unerträglicheren Politiker – etwa im Iran – hat er geschwiegen. Dagegen muss und möchte ich auftreten. Das Zitat mit den „lebenden Juden“ stammt übrigens von Henryk Broder, der seit 1976 offen vom linken Antisemitismus in Deutschland spricht. Christian Ortner schrieb schon 2009 in der Presse: „Österreich bringt im Großen und Ganzen den Juden gegenüber ja eh viel Sympathie auf, jedenfalls solange es sich um tote Juden handelt. Gegen die im KZ ermordeten Juden zum Beispiel hat heute fast niemand mehr etwas. Etwas anders verhält es sich mit (noch) lebenden Juden.“ Dieser Artikel wurde auch 2009 in NU abgedruckt. All diese Beispiele zeigen den problematischen Umgang mit Israel, der leider vom Stammtisch bis in politische Kreise vorkommt. Das habe ich, ich glaube zu Recht, angesprochen. Und ich hoffe, dass Norbert Darabos aus den Reaktionen gelernt hat.
5) Ariel Muzicant ist SPÖ-Mitglied. Wo stehen Sie politisch?
Ich bin nicht Mitglied einer Partei. Die Kultusgemeinde und ich werden weiterhin mit allen Parteien, bis auf die FPÖ, Kontakt halten und Gespräche führen.
6) Wie wichtig ist Religiosität für einen IKG-Präsidenten?
Weil die IKG eine Einheitsgemeinde ist, die ein breites Spektrum religiöser Zugänge zum Judentum – von liberalen Strömungen bis zur Orthodoxie – umfasst, ist ein traditioneller Background unabdingbar. Am wichtigsten ist, religiösen Bedürfnissen Respekt und Verständnis entgegenzubringen. Das umso mehr, als eine religiöse Lebensweise in der heutigen Gesellschaft innerhalb und außerhalb des Judentums nicht mehr selbstverständlich ist und sogar auf Unverständnis, teilweise sogar auf Aggressivität stößt. Es soll auch für niemanden einen Zwang zur Modernisierung geben. Ich stehe für ein Miteinander der verschiedenen Ansätze. In unserer Einheitsgemeinde kann jeder seinen Glauben ausleben, wie er es für richtig hält.
7) Sind Sie religiöser als Ihr Vorgänger?
Wie messen Sie Religiosität? Für Religiosität gibt es kein Thermometer! Und schon gar nicht sollte Religiosität zu einem Wettrennen gemacht werden. Ich bin in einem religiösen Umfeld aufgewachsen. Religion und Tradition sind ein wichtiger Bestandteil meines Lebens.
8) Sie sind IKG-Präsident, aber Ariel Muzicant sitzt nach wie vor in wichtigen Gremien (Archivverein, Morzinplatz, Jüdisches Museum). Wollen Sie diese Funktionen nicht? Setzen Sie sich damit nicht dem Verdacht aus, nur Muzicants „Frühstückskaiser“ zu sein?
Es ist schwer, es Ihnen recht zu machen: Würde ich jedes Amt mit Gewalt an mich ziehen, würden Sie mich wohl als Ämtermulti bezeichnen. Meine Leitlinie ist eine andere: Als Präsident der IKG bin ich im Tagesgeschäft präsent und kümmere mich um alle Belange innerhalb der IKG. So wie auch mein Vorgänger nicht in allen Gremien und Kommissionen Funktionen innehatte, werde auch ich nicht alle Funktionen anstreben. Im Gegenteil: Die IKG ist keine „One-Man-Show“. Es gibt einen Präsidenten, zwei Vizepräsidenten, 24 Vorstandsmitglieder und eine große Zahl engagierter Mitarbeiter. Insgesamt sind wir also ein sehr großes Team. Und um die IKG zu führen, muss man ein guter Teamplayer sein und sich bemühen, das Team zusammenzuhalten. Das ist jedenfalls mein Zugang. Zum Detail: Im Jüdischen Museum hat die Kultusgemeinde ein Vorschlagsrecht und Ariel Muzicant, Robert Sperling und Doron Rabinovici empfohlen. Der Vorschlag wurde angenommen und die drei Herren in den Aufsichtsrat des Museums entsandt. Der Archivverein ist ein privater Verein. Und der Morzinplatz ist eine private Initiative von Ariel Muzicant.
9) Wer ist Ihr politisches Vorbild?
Es gibt nicht das eine politische Vorbild. Was es gibt, sind viele herausragende Persönlichkeiten, die mich durch ihr Wirken und ihren Einsatz beeindrucken und inspirieren.
10) Stellen Sie sich die Kultusgemeinde in fünf Jahren unter Ihrer Führung vor: Was wollen Sie verändert haben?
Es gibt vieles, was geplant ist, vieles, woran ich gemeinsam mit meinem Team bereits arbeite. Unter anderem möchte ich, dass die Gemeinde weiter wächst. Ich will die Gemeinde öffnen, indem wir aktiver als bisher auf andere Bevölkerungsgruppen zugehen. Wir brauchen mehr Wissen über und Verständnis für das Judentum und jüdisches Leben in Österreich. Mein Ziel ist, dass sich das neue jüdische Selbstbewusstsein etabliert. Jedes Gemeindemitglied soll in der IKG ein Zuhause haben. Ich freue mich über jeden und jede, der oder die mitarbeitet und mitgestaltet. Um noch mehr Menschen zu informieren und motivieren zu könne, beschreiten wir derzeit neue Wege in der Kommunikation. Im Bereich des Internets hat die IKG Aufholbedarf. Ein Facebook-Account könnte die Aktivitäten der vielen jüdischen Vereine und Organisationen in Wien vielleicht noch besser bewerben. Wir haben in den letzten Jahren eine vorbildliche Infrastruktur geschaffen. Auf diesen Lorbeeren dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Wir müssen in den nächsten fünf Jahren die vorhandene Infrastruktur verbessern, indem wir sie mit noch mehr Leben füllen und noch mehr Serviceleistungen für die Gemeindemitglieder anbieten. Mein Motto ist: „Stillstand ist Rückschritt“. Deshalb gilt es, Gutes gemeinsam zu verbessern.