Milo Rau, der neue Intendant des Wiener Festivals, tat alles, um zu polarisieren und Unruhe zu stiften.
Von Thomas Trenkler
Es war sicher nur Zufall, dass das Programmbuch der Wiener Festwochen in den Farben Palästinas gehalten war: schwarz, weiß, grün und rot. Es gab auch ein Lila – vielleicht um Trauer zu symbolisieren. Oder um Vorwürfe als unhaltbar abschmettern zu können. Bei der Pressekonferenz vor der Eröffnung der Festwochen jedenfalls bezeichnete Milo Rau den Vergleich mit der palästinensischen Flagge schlichtweg als „absurd“.
Zwei Tage später, am 17. Mai, ließ der Intendant auf dem Rathausplatz die „Freie Republik Wien“ ausrufen: Die eigens komponierte Hymne – „Steh auf! Steh auf!“ – erinnerte ein wenig an die „Internationale“. Und man tat so, als zettelte man eine längst gebotene Revolution an: Man schulde der Welt eine solche. Zwischendurch hielt man auf der Bühne ein Transparent in den palästinensischen Farben rot, grün und schwarz auf weißem Grund in die Höhe: „MIR IN SVOBODA PALISTINCEM“ – also Friede und Freiheit für Palästina – war drauf zu lesen.
Herwig Zamernik aka Fuzzman, der Komponist der Hymne, gab zwar zu bedenken, „dass man hier die Flagge für ein Terrorregime schwenkt“. Aber Milo Rau als Moderator des Abends sah keinen Grund einzuschreiten. Auch wenn dies möglicherweise eine Unterstellung ist: Man konnte sich vorstellen, dass dieser Akt abgesprochen oder zumindest toleriert worden war. Eben um die Stimmung weiter aufzuheizen. Oder um die studentische Klientel bei Laune zu halten.
Dass Milo Rau zündelt, weiß man seit seiner Bestellung im Jänner 2023 durch Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Rudolf Scholten, der langjährige Präsident des Festivals, drückte es im Interview mit dem Kurier so aus: „Es war zu Recht beklagt worden, dass die Festwochen an Brisanz verloren haben. Und es war klar, dass Milo Rau der Richtige ist, um genau für diese Brisanz zu sorgen. Das heißt natürlich, dass die Debatten aufgeregter werden.“
Doch erst die Pressekonferenz am 1. März 2024 vermittelte eine konkrete Vorstellung davon, was der neue Intendant im Sinn hatte: Milo Rau präsentierte gut gelaunt ein subversiv angehauchtes, politisch verbrämtes Programm – konterrevolutionär standesgemäß im Hotel Imperial. Mehrere Dutzend Gleichgesinnte stürmten den Festsaal, in dem er die Gründung der „Freien Republik Wien“ angekündigt hatte, um zum ersten Mal die Hymne zu skandieren: „Steht auf, steht auf, Ihr Töchter und Ihr Söhne! Steht auf, steht auf für aller Menschen Recht! Lasst den Faschisten keine Chance! … Haltet sie hoch, die Freie Republik!“ Ach, was für ein Spaß! Show statt Anliegen! Alle waren vermummt, die gestrickten Sturmhauben stammten vom Designer-Label Wendy & Jim. Danach zog Milo Rau das gute, rote Stück zur Gartenzwergmütze hoch – und machte eifrig Selfies.
Die Feuerprobe als Brandstifter bei Biedermanns war zu jenem Zeitpunkt bereits erfolgreich überstanden: Milo Rau hatte Konzerte mit Teodor Currentzis und Oksana Lyniv im Package verkauft, was die ukrainische Dirigentin, die nichts davon wusste, gehörig auf die Palme brachte. Das „War Requiem“ unter der Leitung des griechischen, in Russland groß gewordenen Currentzis musste abgesagt werden. Aber was soll’s: Die mediale Präsenz waren die Kosten allemal wert.
Und so ging’s im Vorfeld weiter – etwa mit der Nominierung von zwei Palästina-Sympathisanten in den „Rat der Republik“. Auch diese Provokation hat sich ausgezahlt. Denn Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ging Milo Rau auf den Leim: Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux und den griechischen Ex-Finanzministers Yanis Varoufakis „als sogenannte Stargäste“ bei den Festwochen „auftreten zu lassen“, sei für ihn „skandalös“. Ernaux ist für ihn „eine deklarierte Unterstützerin der Israelboykott-Kampagne BDS“, und Varoufakis habe sich „beharrlich geweigert“, den Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 „auch nur in irgendeiner Art und Weise“ zu verurteilen. Der ÖVP-Politiker forderte Milo Rau daher auf, die „Herrschaften schleunigst wieder auszuladen“. Doch der Intendant konterte umgehend, dass Sobotka leider falsch informiert sei: „Weder Ernaux noch Varoufakis werden als ,Stargäste‘ an den Festwochen teilnehmen, noch bei den Festwochen persönlich präsent sein.“ Und dann setzte Milo Rau noch eins drauf: Am 22. März gab er exklusiv dem Standard bekannt, dass Omri Boehm am 7. Mai (also zehn Tage vor der offiziellen Festwochen-Eröffnung) auf dem Judenplatz „Eine Rede an Europa“ halten werde.
Die Veranstaltung war 2019 ins Leben gerufen worden, damit Intellektuelle „Denkanstöße zum politischen und kulturellen Projekt Europa“ formulieren. Doch die Festwochen nutzen das Format, um eine innerjüdische Debatte hochzukochen – rund um die Frage, wie Israel mit den Palästinensern umzugehen habe. Der deutsch-israelische, in den USA lehrende Philosoph, ein radikaler Idealist in der Tradition von Immanuel Kant, spricht sich bekanntlich für eine friedliche Koexistenz der beiden Völker aus – was vielen Juden seit dem Terrorakt der Hamas sauer aufstößt. Ariel Muzicant, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, meinte daher gegenüber dem Kurier, dass es sich um „die falsche Rede am falschen Ort“ handle: Wäre er 30 Jahre jünger, würde er hingehen – „und Eier werfen“.
„Eine Rede an Europa“ sollte – wie im Programmbuch vermerkt – eine Veranstaltung der Festwochen, des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen und der ERSTE Stiftung in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Wien sein. Aufgrund diverser Interventionen und gröberer Bedenken gaben die beiden letztgenannten Institutionen im Vorfeld ihren Ausstieg bekannt. Mit Milo Rau hatte man keinen Konsens erzielen können: Sowohl Omri Boehm als auch der Judenplatz seien für den Intendanten stets außer Frage gestanden.
Milo Rau goss zudem weiteres Öl ins Feuer. Denn er beauftragte seine Berliner PR-Agentur, die Sache international in seinem Sinn darzustellen: „Der weltweit gefeierte Philosoph der Versöhnung“ sehe sich in Wien, so eine Aussendung am 6. Mai, „mit einer Cancel-Kampagne konfrontiert“. Omri Boehm wurde mithin zum Opfer stilisiert. Tags darauf sprach dieser in bedächtigen Worten vor dem Holocaust-Mahnmal von Rachel Whiteread über die „Republik Haifa“, seine utopische Vision des künftigen Israels, in dem sowohl Juden als auch Palästinenser in einem föderalistischen Staat mit gleichen Rechten zusammenleben sollen.
Die Stimmung war aufgeladen. Militär- und Staatspolizei, Bodyguards und Mitarbeiter eines Wachdienstes (darunter Frauen mit Kopftuch) sicherten den Ort, Beamte schirmten Omri Boehm von Demonstranten mit Schildern in der ersten Reihe ab. An der Fassade des Misrachi-Hauses, in dem eine Synagoge und die Dependance des Jüdischen Museums untergebracht sind, hing ein sonderbares Transparent. Denn es zitierte den antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger („Wer a Jud‘ ist, das bestimm i“). Auf den Zusatz – „Dämonisierung Israels ist Antisemitismus“ – nahm Omri Boehm Bezug: „Niemand hier will Israel dämonisieren.“ Es warf auch niemand Eier. Aber wie leicht hätte etwas passieren können!
Milo Rau entzweite. Und er zündelte weiter: „Wien muss brennen“, verkündete er anlässlich der Eröffnung des Festivals auf dem Rathausplatz. Über seine Berliner PR-Agentur Augustin posaunte er „Vienna Must Burn“ in alle Welt. Bei ihm ist alles Inszenierung. Auch die Positionierung seiner Person. Gegenüber der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit tat er so, als stünde er unter Beschuss, was ihn aber völlig kalt lasse: „Wenn diese rechten Parteien den Intendanten der Wiener Festwochen angreifen, steh ich daneben und sehe zu, wie wenn ein Gebäude bombardiert wird, in dem ich selbst nicht drin bin.“
Milo Rau hatte leichtes Spiel. Denn die Deutschen dürften nicht gewusst haben, dass alles nur Behauptung ist. Weder griffen „diese rechten Parteien“ den Intendanten an, noch gab es ein Bombardement. Das gibt es nur in Gaza, wie Milo Rau 30 Zeilen später im Interview sagt: „Dort würde ich nicht hingehen: Die israelische Armee bombardiert pausenlos.“ Trotzdem eröffnete er andauernd das Feuer.
Nach der Eröffnung der Festwochen mit der Ausrufung der „Freien Republik Wien“ wurde im Rathaus Party gefeiert. Von Revolution war nichts mehr zu spüren. Sie war schließlich nur eine vom Steuerzahler ausfinanzierte Show. Und dann grinsten die Sozialdemokraten – darunter Bürgermeister Michael Ludwig, Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, SPÖ-Chef Andreas Babler und Kultursprecherin Gabriele Heinisch-Hosek – mit Milo Rau breit in die Kameras.
Er spielt ja nur. Selber schuld, wer den Theatermacher ernst nimmt.