Wie eine Werbeaktion gut ins Gedankenjahr passt und welche Diskussionen sie in der NU-Redaktion auslöste.
Von Peter Menasse und Erwin Javor
Im Oktober 2005, zu Ende des “Gedankenjahrs”, wurde im KURIER und im STANDARD vom “Haus der Barmherzigkeit” ein ganzseitiges Inserat geschaltet. Zu sehen war das Bild eines Greises, der in diesem Pflegeheim lebt und darunter sein Jugendfoto – als Soldat der deutschen Armee. Das Inserat war Teil einer Werbekampagne, die von der Agentur Lowe GGK kostenlos für das Haus der Barmherzigkeit entworfen wurde. Im Pressetext heißt es dazu: “Aktuelle Fotos von hoch betagten PatientInnen werden von authentischen Jugendbildern begleitet. Devise: Das Alter von heute – die Jugend von gestern.” Die Idee dazu war also, der Jugend zu zeigen, dass sie auch einmal in die Situation kommen wird, Hilfe und Pflege zu brauchen, und damit die Spendenfreudigkeit anzuregen. Warum es denn für diese Werbung ein Wehrmachtsfoto hatte sein müssen, wollten wir von der Pressestelle des Pflegeheims und von der Werbeagentur wissen. Beide versicherten, dass sie sich der Problematik bewusst gewesen wären, auch lange über diese Frage diskutiert hätten, aber dann doch zum Schluss gekommen seien, dieses Bild zu nehmen, weil von dem alten Mann kein anderes Jugendfoto existiere und weil es eben die damalige Zeit reflektiere. Eine Beschwerde beim Werberat, einer freiwilligen Kontroll-Instanz der Werbeunternehmen, erbrachte Erstaunliches. Man erklärte sich unzuständig – eine wunderbare Form, eine inhaltliche Aussage zu vermeiden! Der erstaunliche Brieftext lautete: “Der Werberat hat Ihre Beschwerde geprüft und entschieden, dass es sich beim gegenständlichen Sujet nicht um Wirtschaftswerbung im Sinne der Statuten des Werberates handelt, so dass eine inhaltliche Prüfung durch den Werberat nicht erfolgen kann. Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass in allen Europäischen Werberäten nur Wirtschaftswerbung geprüft wird, nicht aber soziale oder politische Werbung.” Schon erstaunlich, dass man also in der Werbung keine moralischen Grenzen einziehen muss, wenn es sich um “soziale” Werbung handelt. In der Redaktionssitzung von NU führte diese Art der Bewerbung von Barmherzigkeit mit einem Foto, das für uns alle die Unbarmherzigkeit symbolisiert, jedenfalls zu heftigen Diskussionen. Wir waren uns einig darüber, dass wir uns von dieser Anzeige abgestoßen fühlen, aber was die Werber und die Presseleute des Hauses der Barmherzigkeit bewegt haben mag, darüber gab es Dissenz. Im Folgenden die zwei Positionen – beide nicht eben schmeichelhaft für die Verantwortlichen dieser Werbe-Aktion. Peter Menasse Für mich ist diese Werbung ein Symbol dafür, dass viele Menschen in Österreich nicht verstehen, was die Zeit des Nationalsozialismus für Wunden auch bei den heute lebenden Nachfahren der Opfer geschlagen hat. Selbst “gute Menschen”, die Alte pflegen, und solche, die für sie kostenlos Werbung machen, gehören dazu. Wo andere ihre Familientraditionen feierten, haben wir in unserer Kindheit die Ermordeten betrauert. Die deutsche Uniform, egal welcher Waffengattung und welcher Einheit, widerspiegelt für uns die Macht, die gemordet hat. Wer das nicht versteht, weil er über die Codes des österreichischen Biotops nicht hinausdenken kann, findet Werbung mit einem Wehrmachtsfoto harmlos, solange man sich nur vorher brav und ordentlich den Kopf zerbrochen hat. Das ist nicht bösartig, sondern nur ahnungslos oder gedankenlos oder ignorant. Diese These wird auch durch den Umstand gestützt, dass in den Anzeigenabteilungen der beiden Tageszeitungen KURIER und STANDARD, die in ihrem redaktionellen Teil sensibel berichten, niemand Anstoß an dieser Art von Werbung genommen hat. So bleibt das Bild des Wehrmachtssoldaten nicht mehr und nicht weniger als ein Beleg dafür, dass auch das “Gedankenjahr” spurlos am Denken mancher Menschen in diesem Land vorübergegangen ist. Sie sind nicht böse, sondern nur weit von uns entfernt. Erwin Javor Der Mann, der auf den Fotos zu sehen ist, steht stellvertretend für die vielen männlichen Bewohner, die im Zweiten Weltkrieg eingerückt waren. Die Lehre, die aus diesem verbrecherischen Krieg gezogen wurde, ist jedoch höchst unterschiedlich. Ein großer Teil dieser ehemaligen Soldaten glaubt bis zum heutigen Tag, als Mitglied der Armee des NS-Regimes lediglich “ihre Pflicht getan zu haben”, und sind oft auch noch stolz darauf. Gerade im heurigen Gedenk- bzw. “Gedankenjahr” wird von großen Teilen der österreichischen Bevölkerung der so genannte Schlussstrich vehement gefordert. Werbung funktioniert heute auf sehr professioneller Basis, noch dazu, wenn sie von einer so renommierten Agentur gestaltet wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier etwas dem Zufall überlassen wurde. Es ist der Job eines Werbeprofis, Sujets nicht nur auf den ersten Blick ansprechend bis provokant zu gestalten, sondern auch mit unterschwelligen Botschaften zu arbeiten. Die Aufgabenstellung, möglichst viele potentielle Spender anzusprechen, ist für mich klar zu erkennen. Es wird hier an all jene, die selbst oder deren Väter und Großväter “nur ihre Pflicht getan haben”, die Botschaft ausgesandt, “das ist einer von uns, er hat sich dem Vaterland gegenüber anständig gezeigt, er hat es verteidigt, ihm müssen wir heute helfen”. Die Wirkung dieser Werbung ist nicht aus Gedankenlosigkeit entstanden, sondern wurde penibel einkalkuliert.