Erstmals wurde ein Muslim als ständiger Richter in Israels Oberstes Gericht gewählt. Chaled Kabub war bereits dreimal als Kandidat vorgeschlagen worden.
VON MARIA STERKL (JERUSALEM)
„Gewöhnt euch dran, es gibt Richter in Jerusalem, und sie sind auch Araber.“ So stichelte ein Gastkommentar in einer israelischen Tageszeitung, verfasst auf Hebräisch von einem israelisch-arabischen Autor. Der Anlass: Der erste muslimische Höchstrichter in der Geschichte des Staates Israel soll Ende Mai sein Amt antreten. Er wurde Ende Februar von der Richterbestellungskommission ernannt.
Der Titel des Gastkommentars richtete sich an alle, die wenig begeistert waren ob der Ernennung des erfahrenen Tel Aviver Handelsrichters Chaled Kabub. Der 64-Jährige hatte sich in der Vergangenheit bereits mehrmals um das Höchstrichteramt beworben, jedes Mal vergeblich. Und auch diesmal gab es innerhalb der Bestellungskommission abweichende Meinungen. Innenministerin Ayelet Shaked von der Partei von Premierminister Naftali Bennett erklärte, die Entscheidung wäre jedenfalls anders ausgefallen, wenn sie in der Kommission den Vorsitz gehabt hätte.
Justizminister Gideon Saar von der konservativen Partei Tikva Chadasha reagierte auf Shakeds Kritik, indem er auch gleich skeptische Stimmen in seiner eigenen konservativen Partei Tikva Chadasha einfing: Die Zusammenstellung des Richterkollegiums sei „professionell, ethnisch und geschlechtermäßig ausgewogen“ und er könne mit ruhigem Gewissen sagen, dass es in Zukunft eine klare „konservative Mehrheit“ am Höchstgericht gebe.
Chaled Kabub ist nicht der erste israelische Araber am Obersten Gerichtshof, er ist aber der erste Muslim nach einer Reihe von arabischen Christen in dieser Position. Für arabische Israelis ist am Obersten Gerichtshof der sogenannte „Araberstuhl“ reserviert, wie er in Justizkreisen genannt wird. Es ist eine Umschreibung der Gepflogenheit, niemals mehr als einen Araber in der höchsten Instanz der israelischen Justiz zuzulassen. Das wird unter anderem damit begründet, dass der Oberste Gerichtshof eine hochpolitische Rolle spielt: Er ist es, der die Linie vorgibt, wenn im Parlament ein Konflikt grundsätzlicher Natur auftritt. Er gibt dem Staat Israel, der keine formale Verfassung hat, eine Art De-facto-Verfassung vor, indem er die verschiedenen Grundgesetze in Einzelentscheidungen auf konkrete Problemlagen umlegt. Das Höchstgericht ist es auch, vor dem alle Petitionen über menschen- und völkerrechtlich brisante Fragen landen: Sei es der Abriss von Beduinenhäusern, Besitzstreitigkeiten in Ostjerusalem oder die Frage, ob ein angeklagter Premierminister auch weiterhin Regierungschef bleiben darf – Stichwort Benjamin Netanjahu.
Aller guten Dinge
Das ungeschriebene Gesetz, dass es zu einem gegebenen Zeitpunkt nie mehr als einen israelischen Araber am Höchstgericht geben darf, war von Kabub zuvor schon einmal herausgefordert worden. Er hatte sich 2018 zum dritten Mal als Höchstrichter beworben, diesmal aber, ohne auf das Freiwerden des „Araberstuhls“ zu warten. Letztlich sah er ein, dass sein Ansinnen zu gewagt war – und zog seine Kandidatur zurück.
Nun hat der erfahrene Richter am Tel Aviver Bezirksgericht, der auch an der Bar-Ilan-Universität Wirtschaftsrecht lehrt, dank einer eindeutigen Empfehlung durch die israelische Juristenkammer und durch die Fürsprache von Höchstgerichtspräsidentin Esther Hayut sein Ziel, Mitglied des Höchstrichterkollegiums zu werden, erreicht.
Der Ernennung war eine monatelange Kampagne gegen Kabub vorangegangen, an der sich Netanjahu-freundliche Medien wie das auflagenstarke Gratisblatt Israel Hayom („Israel heute“) beteiligt hatten. Unter dem Titel „Sauber? Die Verstrickungen des Höchstrichterkandidaten Chaled Kabub“ brachte die Zeitung im vergangenen Oktober einen längeren Artikel über angeblich schwere Vorwürfe gegen den Richter. Eher erwartungsgemäß zielt einer der Vorwürfe auf eine angebliche Nähe zu Terrorunterstützern ab. Als einen Beleg nimmt die Zeitung, dass Kabub im August 2020 der Einweihungsfeier einer Gedenktafel für Kabubs verstorbenen Vater in Jaffa beigewohnt hatte. Diese Feier war auch von einem Terrorunterstützer besucht worden. Eine rechte Agitationsplattform hatte der Richterbestellungskommission Recherchen über die Jaffaer Veranstaltung übermittelt und die Kommissionsmitglieder aufgefordert, sich gegen eine Bestellung Kabubs auszusprechen.
Warum gerade Netanjahu-nahe Kreise sich gegen Kabub aussprechen? Der muslimische Hintergrund mag eine Rolle spielen. Allerdings war es Netanjahu selbst, der sich im vergangenen Jahr aufgeschlossen für eine Koalition mit der islamistischen Raam-Partei gezeigt hatte – allein vergeblich, da selbst die muslimischen Abgeordneten dem Langzeitpremier nicht die nötige Parlamentsmehrheit verschafft hätten.
Strengere Standards
Es gibt aber noch einen zweiten Faktor, der den ersten muslimischen Höchstrichter Israels zu einem Feindbild des Netanjahu-Lagers macht: Kabub trägt in israelischen Justizkreisen den Spitznamen „Der Schrecken der Direktoren“, weil er sich mit seinen harten Urteilen gegen prominente Konzernchefs einen Namen gemacht hat. Kabub gilt als unerschrockener Wirtschaftsjurist, der in einigen der wichtigsten Korruptionsverfahren der vergangenen Jahre neue, strengere Standards setzte. Unter anderem trafen seine harten Urteile auch Wirtschaftsgrößen in Netanjahus Umfeld.
Es ist also wenig verwunderlich, dass Netanjahus Likud-Partei, nunmehr stärkste Oppositionsmacht in der Knesset, sich kritisch über die Richterernennungen zeigte. Wobei die lauteste Kritik nicht auf die Ernennung des ersten Muslims, sondern die Nominierung der ersten israelischen Frau mit misrachischem Hintergrund abzielte. Zu spät, zu wenig, kritisierte Likud-Abgeordneter David Amsalem, selbst Sohn marokkanischer Juden, in einer emotionalen Rede in der Knesset. Er warf Höchstgerichtspräsidentin Hayut vor, orientalische Juden und Jüdinnen zu „hassen“ und ihre Personalentscheidungen in betrunkenem Zustand zu treffen. Was Hayut entschieden zurückwies: Ja, sie trinke hin und wieder gern ein Gläschen Arak (ein vor allem bei Misrachim beliebter Anisschnaps, Anm.) mit Freunden, scherzte sie. Auf ihre Entscheidungen habe das aber keinen Einfluss.