Jugend in Polen, Ghetto, Auschwitz: den ganzen Horror hatte Art Spiegelman in Sprechblasen gepresst, Menschen mit Tierköpfen versehen. Holocaust als Comic: ein Tabubruch! Die Diskussionen über den ersten Holocaust-Comic waren heftig. Erinnerungen an einen Besuch bei dem weltberühmten Comic-Zeichner in New York.
Von Andrea Schurian
Mai 1989. Soeben war Art Spiegelmans erster Teil von Maus auf Deutsch erschienen, eine Graphic Novel über die Lebens- und Überlebensgeschichte seines Vaters während des Holocaust. Ich war gerade wegen Arnulf Rainers Guggenheim-Ausstellung in New York und rief beim Verlag an, ebenso in der School of Visual Arts, wo der berühmte Comiczeichner damals unterrichtete. An beiden Orten deponierte ich mein Interesse an einem Interview, machte mir aber in Wahrheit wenig Hoffnung auf einen Termin. Eine junge, unbekannte, freiberufliche TV-Journalistin aus Österreich? No chance. Am nächsten Morgen läutete das Telefon, Art Spiegelman lud mich noch für den gleichen Nachmittag zu sich nach Hause in Soho ein. Er arbeite gerade am zweiten Band From Mauschwitz to the Catskills, da käme ihm eine kleine Unterbrechung gar nicht ungelegen. „Austrian TeeVee! Hunh! Dad would’ve been proud“, wird er später einer Zigarette rauchenden Maus auf einer mir gewidmeten, rasch hingeworfenen Zeichnung in die Sprechblase legen.
Juden als Mäuse, Deutsche als Katzen, Polen als Schweine (was übrigens zu Verbrennungen des Buches in Polen führte), Briten als Fische, Franzosen als Frösche und Schweden als Rentiere: Dass Spiegelman den Horror der Nazizeit als Comic verarbeitete, war ein Tabubruch; dass er ihn darüber hinaus auch als Fabel erzählte, war das gleichermaßen Faszinierende wie Verstörende, stieß auf begeisterte Zustimmung ebenso wie auf radikale Ablehnung. Die einen fanden, dass der Holocaust verniedlicht würde; die anderen sahen in der Verfremdung die einzig mögliche Form, den Wahnsinn auszudrücken. 1992 wurde Maus mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, erstmals ging diese hohe literarische Anerkennung an einen Comic-Autor.
Menschen mit Masken
„Für mich“, sagt er an diesem lauen, frühsommerlichen New Yorker Nachmittag, „sind meine Charaktere nicht Tiere, sondern Menschen mit Masken. In einigen Abschnitten, wo die Schnüre der Masken hinunterbaumeln, wird das sehr offensichtlich. Diese Tiermasken waren für mich essenziell, denn es war zu schmerzhaft, direkt an all diese schrecklichen Geschehnisse zu denken, die meinen Eltern, den europäischen Juden widerfahren sind. Die Masken erlaubten mir eine momentane Distanz. Aber Sie haben recht“, antwortet er auf meine Frage, wie er die Kontroversen um sein Comicbuch beurteile und ob er seine Kritiker, die Maus als ungehörige Verharmlosung bezeichneten, verstünde: „Hätte ich das Buch nicht selber gemacht, sondern mir jemand davon erzählt, würde ich die Idee, ein Comicbuch über den Genozid zu machen, noch dazu mit Tieren, vermutlich auch für eine schreckliche Idee gehalten haben. Aber es war für mich ein organischer und natürlicher Prozess. Ich wollte weder schockieren noch die Geschichte vergewaltigen. Es war ein natürlicher Vorgang, auch, weil ich Comics nie als niedrige Kunstform gesehen habe. Ich weiß, andere Menschen tun das. Ich erachte Comics als demokratische Kunstform, die nicht mit Hochkultur-Allüren daherkommt. Für mich sind Comics Worte. Und Bilder. Und ich glaube, dass man ausgerechnet mit einem Comic all die furchtbaren Dinge eher erzählen kann als mit Malerei oder Literatur, denen immer eine ästhetische Überfrachtung immanent ist.“
Im Klartext
Im Alter von sieben Jahren entdeckte der 1948 in Stockholm geborene Sohn der Holocaust-Überlebenden Wladek und Andzia Spiegelman den Witz und die subversive Kraft, die etwa in den Bildern der Comiczeitschrift MAD steckten. Bereits mit 17 zeichnete er eigene Comics für die Long Island Post; und nachdem er sein Studium an der New Yorker High School of Art and Design nach nur zwei Jahren abgebrochen hatte, wurde er von Wallace Wood für das legendäre Witzend engagiert. Der spätere Comicprofessor zeichnete für Erotikzeitschriften und Undergroundmagazine, ehe er gemeinsam mit seiner französischen Frau, Françoise Mouly, zwischen 1980 und 1991 das großformatige, avantgardistische Comicmagazin RAW herausgab. Er gestaltete aufsehenerregende Titelblätter für das Wochenmagazin The New Yorker, kündigte aber aus Protest gegen den „War on Terror“ kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001, die er in der Comicserie Shadows of No Towers (Im Schatten keiner Türme) verarbeiten sollte – so dokumentarisch genau wie auch Maus. Sein Markenzeichen: keine literarische Überhöhung, sondern Klartext. Das menschliche Schicksal jedes Einzelnen lehrt Geschichte.
Maus ist nicht nur die erschütternde Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel Europas, sondern auch mit der konfliktbeladenen Beziehung zu seinem Vater, die nach dem tragischen Suizid der durch Auschwitz schwer traumatisierten Mutter im Jahr 1968 noch problematischer wurde. „In mancher Hinsicht entspricht er genau der antisemitischen Karikatur des alten geizigen Juden“, heißt es einmal in Maus.
Schweigender Zuhörer
Art Spiegelman erhebt sich von seinem ledernen Clubsessel, geht zu einer Kommode, startet das Tonbandgerät. Zu hören: Spiegelmans 1982 verstorbener, hassgeliebter Vater Wladek. Mit monotoner, müder Stimme erzählt er vom Aufstand im Ghetto, von der systematischen Ausrottung der polnischen Juden, von der Vernichtungsmaschinerie der Nazis, aber auch von Liebe, Sehnsucht, Lebenswillen. Das gebrochene Englisch des Vaters, seinen jiddischen Akzent, übertrug der Sohn auch in den Comic und zeigte sich zufrieden, dass es auch in der deutschen Übersetzung bewahrt wurde: „Ich wollte das unbedingt, weil er erstens so sprach. Und zweitens, weil es den Aussagen eine neue, andere Bedeutung gibt, wenn man sie in einer Stimme hört, die nach Worten ringt und Schwierigkeiten hat, sich in der neuen Sprache zurechtzufinden. Das erlaubt eine Aktualität hinter den Worten.“
Diese Erzählsituation – der sich erinnernde Vater Wladek, der ihm zuhörende und immer wieder nachfragende Sohn Artie – unterbricht immer wieder die „Geschichte eines Überlebenden“, wie Maus im Untertitel heißt. „Vielleicht war das die wichtigste Motivation für das Buch: Wenn ich zu meinem Vater zurückkehre und ihn interviewe, habe ich die Möglichkeit, mit ihm zu reden, kann aber gleichzeitig journalistische Distanz wahren. Das half! Wenn wir das Thema wechselten, stellte sich allerdings schnell heraus: Es gab zu viele Schwierigkeiten zwischen uns. Aber er mochte die Tatsache, dass ich dasaß und schweigend zuhörte. Auch wenn das, worüber wir sprachen, nicht gerade das war, was er gern erzählte. Sicher war es schmerzhaft“, sagt Spiegelman und zündet sich eine Zigarette an, was in New York auch Ende der Achtzigerjahre Jahre schon fast als subversiver Akt gelten konnte. (Ronald Lauder etwa ließ damals, als er anlässlich von Rainers Guggenheim-Schau österreichische Kunstfreunde in sein Domizil auf der Upper East Side einlud, vorsichtshalber Täfelchen aufstellen mit der Aufschrift: „Don’t smoke at the Lauders“).
„Aber Tatsache ist: Die Geschichte meiner Eltern ist da, ob ich sie nun verstehen will oder nicht. Sie nicht zu beachten, wäre vielleicht noch schmerzhafter gewesen. Maus war eine Geschichte, der ich nicht entkommen konnte. Und das Buch ein Weg, mit ihr umzugehen. Und obwohl es eine schmerzhafte Arbeit war, war es auch eine Genugtuung, wenn ich Gedanken, Sätze in die kleinen Kästchen setzen und sie anschauen konnte. Das ist ein sehr therapeutischer und nützlicher Vorgang.“