Antijüdische Ressentiments von Arabern gab es schon lange vor der Staatsgründung Israels. In der panarabischen Bewegung herrschten große Sympathien für den Nationalsozialismus. Diese Sympathien wurden von den Nazis ausgenutzt und verstärkt. Ein wichtiges Mittel dafür waren Radiosendungen.
Von Lukas Wieselberg
Am 28. November 1941 machte Adolf Hitler eines seiner zahlreichen Versprechen, das er dankenswerterweise nicht halten konnte. Der Kampf der Nazis sollte nicht nur in Europa „bis zur völligen Zerstörung des jüdisch-kommunistischen Reiches“ fortgeführt werden, sondern die Armeen der Ostfront zu einem „nicht fernen Zeitpunkt“ auch den „Südausgang Kaukasiens erreichen“. Dann, so versicherte der Führer, sei die Stunde der Befreiung für die arabische Welt gekommen. Das Ziel sei „die Vernichtung des im arabischen Raums unter der Protektion der britischen Macht lebenden Judentums“. Der Mann, dem Hitler dieses Versprechen gab, sollte dann der Anführer der arabischen Welt sein: Mohammed Amin al-Husseini, der Mufti von Jerusalem. Al-Husseini bedankte sich freundlich und versicherte dem Führer, dass sich sicherlich alles so ereignen würde, wie von diesem vorausgesagt. Al-Husseini hatte gute Gründe, auf die NaziKarte zu setzen. Seit einem halben Jahr lebte er zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin, die Deutschen hatten ihm eine hübsche Residenz in einem arisierten Haus eingerichtet.
Wie aus dem aus Protokollen bekannten Gespräch hervorgeht, war der Plan, die „Endlösung der Judenfrage“ auch auf den Nahen Osten und Nordafrika auszudehnen, 1941 bereits konkret. Dass er nicht realisiert werden konnte, hat einzig mit den Niederlagen der Deutschen an der Ostfront und im ägyptischen El-Alamein 1942 zu tun. Die Vorbereitungen für den Völkermord an den rund 700.000 in der Region lebenden Juden waren aber schon getroffen: Der „logische“ Partner vor Ort waren die Araber. Bei weitem nicht alle, aber auch nicht wenige kooperierten mit den Nazis für ihre eigene Sache. Eine gewichtige Rolle spielte dabei – wie immer bei den Nazis – die Propaganda. In Berlin produzierte und in den arabischen Raum ausgestrahlte Rundfunksendungen sollten den arabisch-jüdischen Konflikt anheizen. Der ausführende Kopf der Propaganda war al-Husseini.
Am 7. Juli 1942, als die Deutschen in Ägypten noch auf dem Vormarsch waren, waren über den Sender „Stimme des Freien Arabertums“ folgende Worte zu hören: „Tötet die Juden, die euer Vermögen an sich gerissen haben und einen Anschlag auf eure Sicherheit planen. Araber Syriens, des Irak und Palästinas, worauf wartet ihr? Die Juden haben vor, eure Frauen zu schänden, eure Kinder umzubringen und euch zu vernichten. Nach der muslimischen Religion ist die Verteidigung eures Lebens eine Pflicht, die nur durch die Vernichtung der Juden erfüllt werden kann. Das ist eure beste Chance, diese dreckige Rasse loszuwerden, die euch eurer Rechte beraubt und euren Ländern Unheil und Zerstörung gebracht hat. Tötet die Juden, vernichtet diese niederträchtigen Helfer des britischen Imperialismus. Eure einzige Hoffnung auf Rettung ist die Vernichtung der Juden, ehe sie euch vernichten.“
Worte, die nach der Genozid-Konvention der Vereinten Nationen eindeutig als Aufruf zum Völkermord zu verstehen sind. Dass wir von ihnen heute überhaupt Kenntnis haben, liegt an Jeffrey Herf. Der Historiker von der Universität von Maryland hat Protokolle der Sendungen vor drei Jahren im Nationalarchiv der USA in Maryland entdeckt. Über 60 Jahre lang waren die Inhalte der Sendungen unbekannt, in den deutschen Archiven sind keine verwertbaren Audio-Aufnahmen mehr zu finden. Da die US-Botschaft in Kairo aber unter dem damaligen Botschafter Alexander Kirk die Sendungen eifrig transkribierte, wissen wir heute ziemlich viel über „Hitlers Dschihad“, wie Jeffrey Herf einen Artikel in den „Vierteljahresheften für Zeitgeschichte“ nannte.
Die Rundunkstationen, die vielsagende Namen trugen wie „Berlin auf Arabisch“, standen in der der deutschen Hauptstadt. Produziert wurden die Sendungen vom Orientreferat für Propaganda und Strategie des Auswärtigen Amtes, empfangen via Kurzwelle in Nordafrika und im Nahen Osten. Experten schätzen, dass es damals rund 90.000 Empfangsgeräte in der Region gegeben hat. Für Jeffrey Herf handelt es sich bei den Protokollen um einen historischen Schatz, dessen Auswertung eine Reihe von Ergebnissen brachte. Die Rundfunksendungen zeigen eine Vermischung von „säkularem Antiimperialismus und religiös begründetem Judenhass“, sagte Herf, der heuer Gast am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien war. Der Schlüsseltext zu ihrem Verständnis war ihm zufolge nicht Hitlers „Mein Kampf“ und auch nicht das berühmt-berüchtigte „Protokolle der Weisen von Zion“, sondern der Koran. „Wie die Bibel oder die Thora kann man auch den Koran auf unterschiedliche Art lesen. In der Nazipropaganda im arabischen Raum wurde er als rein antisemitischer Text gelesen. „Koranzitate wurden benutzt, um dem Judenhass der Nazis eine religiöse Begründung zu geben“, so Jeffrey Herf.
Die arabischen Exilanten in Berlin waren aber keine passiven Marionetten, betont der Historiker. Mensche wie al-Husseini haben einen wichtigen Beitrag zur Nazipropaganda in Berlin geleistet.
„Die Rundfunksendungen in den Nahen Osten sind ein Beispiel rassistischer Volksverhetzung. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde Rundfunk eingesetzt, um Völkermord oder versuchten Völkermord zu propagieren“, sagt Jeffrey Herf. Während die Nomenklatura des Nationalsozialismus in Europa nach der Kapitulation auf die Anklagebank gekommen ist, blieben ihre arabischen Kollaborateure oft unbehelligt. Auch al-Husseini, der die verhetzenden Reden im Radio gehalten hat. Da er nebst anderem in Bosnien eine SS-Division organisiert hat, wollte ihn Titos Jugoslawien in den ersten Nachkriegsmonaten vor Gericht bringen.
Dass es dazu nicht gekommen ist, hat laut Herf mit zwei Dingen zu tun: Zum einen war das Öl des Nahen Osten schon damals ein Argument, das wichtiger war als Gerechtigkeit. Zum anderen galt al-Husseini laut einem Bericht der amerikanischen Nachrichtendienste vielen als antikolonialistischer Freiheitskämpfer und nicht als Kriegsverbrecher. „Deshalb sind die Amerikaner zu dem Schluss gekommen, ihn nicht in Nürnberg vor Gericht zu stellen“, so Herf.
Al-Husseini wurde nach seiner Rückkehr wieder Führer der nationalen palästinensischen Bewegung. „Er war ein Nazi-Kollaborateur, der seine Meinungen über die Juden nach dem Krieg nicht verändert hat. Es gibt einen großen Unterschied zwischen den Exnazis im Nahen Osten und den Exnazis in Europa“, meint Jeffrey Herf. Während Erstere einfach weitermachten, begann für viele der Zweiteren die Zeit der Ausreden und Ausflüchte. Welchen Einfluss der Mufti auf die Generationen nach ihm gehabt hat, könnte eine Rezeptionsgeschichte zeigen, die es aber noch zu schreiben gilt. Analysiert werden müssten dabei Quellen im arabischen Raum, die etwa an der Azhar-Universität in Kairo gefunden werden könnten oder in Archiven des ägyptischen Innenministeriums. „Da wäre viel zu tun für jüngere Historiker“, so Herf.
Links:
Jeffrey Herf, Universität von Maryland:
http://www.history.umd.edu/Bio/herf.html
Jeffrey Herf, „Nazi Propaganda for the Arab World“ im Verlag Yale University Press:
http://yalepress.yale.edu/yupbooks/book.asp?isbn=9780300145793
Artikel von Herf: „Hitlers Dschihad“ in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“:
http://www.atypon-link.com/OLD/doi/abs/10.1524/vfzg.2010.0013