Zwei Polit-Profis stritten im Wiener Wahlkampf mit Verve um die Frage, ob SPÖ oder ÖVP die bessere Partei für jüdische Wähler sei. Ein Konflikt mit Unterhaltungswert und interessantem inhaltlichen Kern.
Von Petra Stuiber
Es war ein Nebenschauplatz, quasi ein Mini-Schlachtfeld im an Schlachtfeldern nicht eben armen Wiener Wahlkampf. Aber es war nichtsdestotrotz eine der interessanteren Auseinandersetzungen – und, wenn auch sicher nicht in Wortwahl und Orthografie, doch zumindest thematisch eine der relevanteren. Da ging es im Frühherbst dieses Jahres um die Frage, welche Partei Wiens Juden quasi „für sich“ beanspruchen kann – mit welchem historischen Recht, oder nicht. Oder darum, ob man nun, ob Jude oder nicht, Israels Regierung für ihren Umgang mit der Palästinenserfrage kritisieren darf, oder ob das Antisemiten und Antizionisten sofort in die Hände spielt. Und es ging letztlich darum, ob die Resolution des Wiener Gemeinderates, in der der Angriff des israelischen Militärs auf die Gaza-Flotilla verurteilt wurde, nun ein Fehler war – oder eben nicht.
Die Auseinandersetzung fand, gutsichtbar, via Facebook statt, ein sehr junges Medium, die Beteiligung war überaus rege. Viele hatten eine Meinung, ergriffen (zum Teil durchaus untergriffig) Partei für die Haupt- Protagonisten. Die waren parteipolitisch hoch motiviert. Auf der einen Seite Raphael Sternfeld, Spitzenkandidat der SPÖ im achten Wiener Gemeindebezirk, Josefstadt, beschäftigt im Internationalen Sekretariat der Bundes-SPÖ; auf der anderen Seite Daniel Kapp, Pressesprecher von Finanzminister und Vizekanzler Josef Pröll, ÖVP. Die beiden beflegelten sich über Tage hinweg mit Hingabe.
Ausgangspunkt des Konflikts war der Empfang, den Vizekanzler Josef Pröll zum jüdischen Neujahrsfest Rosh ha-Schana in seinen Amtsräumlichkeiten gegeben hatte. Der Kurier wusste zu berichten, dass fast die gesamte ÖVP-Nomenklatura dort auftauchte, von der SPÖ aber nur Finanzstaatssekretär Andreas Schieder und Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Und dass Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, „vor Freude fast geweint“, als er die Einladung erhalten habe. Kapp postete den „Kurier“-Artikel auf Facebook, was Sternfeld als „lächerliche und peinliche Anbiederung der ÖVP“ kommentierte und meinte, Wiener Juden würden weder vergessen, dass die ÖVP dereinst antisemitisch angehauchte Wahlkämpfe bestritten habe, noch, dass sie im Jahr 2000 die Haider-FPÖ „ins Regierungsboot“ holte. Als leuchtendes Gegenbeispiel malte Sternfeld, wenig überraschend, das strahlende Bild der SPÖ.
Kapp ließ das naturgemäß nicht auf sich sitzen und legte den Finger sofort in die aktuell schmerzendste Runde: Er bezeichnete die Flotilla- Resolution des Wiener Gemeinderats als Fehler – auch die Beteiligung der ÖVP daran, vergaß nicht zu erwähnen, dass sich der mittlerweile gewesene VP-Klubobmann Matthias Tschirf dafür entschuldigt hatte und forderte dasselbe von der SPÖ ein – was dieser beharrlich ignorierte und für sich in Anspruch nahm, das Vorgehen der israelischen Regierung in der Palästinenser-Frage weiterhin zu kritisieren: „Gegenüber Faschisten bin ich immer intolerant – und auch jüdische Faschisten mag ich nicht.“
Die Wogen gingen hoch, Freund und Feind der jeweils anderen Seite (darunter, natürlich auf Sternfelds Seite, SP-Stiftungsratssprecher und Laura-Rudas-Intimus Niko Pelinka) versuchten entweder zu beruhigen oder zu sticheln – je nach Naturell. Und kaum war die Wiener Wahl geschlagen, ward es still an der Facebook-Front. Der 32-jährige Neo-Politiker Sternfeld hatte die Bezirksvorstehung mitten im Achten nicht erobern können. Das tat, dank der Selbst-Spaltungskräfte der Grünen in diesem Bezirk, die ÖVP – und das war so ziemlich der einzige Erfolg, den Josef Pröll am Abend des 10. Oktober zu feiern hatte. Also andere Probleme allerorten.
Auf Nachfrage von NU wollen sich die beiden Polit-Kampfhähne freilich auch nicht von ihren damaligen Aussagen distanzieren. Sternfeld bleibt dabei: „Meine Familie hat schon vor 1938 aus Wien gestammt, wir gehörten zum liberal eingestellten Wiener Judentum. Da gab es eine extreme Nähe zur Sozialdemokratie, und auch heute noch ist die SPÖ die einzige Partei, die für Leute wie uns infrage kommt.“ Das könne Kapp, „den ich an sich sehr schätze“ (Sternfeld), der einer deutschen jüdischen Familie entstammt, nicht verstehen. Er bestreite nicht, dass die SPÖ nach 1945 auch vielen Nazis Unterschlupf geboten habe – sowohl in der Partei als auch im Bund Sozialdemokratischer Akademiker (BSA). Aber: „Wir haben unsere Geschichte aufgearbeitet.“ Die ÖVP dagegen habe sich nie von den Aussagen Leopold Kunschaks distanziert, der noch 1946 gesagt habe: „Ich war immer Antisemit und ich werde immer einer sein.“ Zudem verehre die ÖVP immer noch den Austrofaschisten Engelbert Dollfuß als einen ihrer Gründerväter. Kapps Chef Josef Pröll wirft er vor, „selbst auch eine Option für Schwarz-Blau zu sein“, insofern sei dessen Werben um jüdische Wähler „nicht glaubwürdig“.
Der 42-jährige Pressesprecher-Profi Daniel Kapp (er war schon bei Molterer und Gehrer) sieht das naturgemäß anders. Prölls Bemühen um die jüdische Bevölkerung sei „echt und ehrlich“, das Ziel sei, „dass sich die Beziehungen zwischen der ÖVP und jüdischen Österreichern so weit normalisieren, dass nicht die Vergangenheit, sondern Gegenwarts- und Zukunftsfragen das Verhältnis zueinander bestimmen“. Hier habe die ÖVP eine große Aufgabe vor sich, sagt Kapp. Und er vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass die von der SPÖ im Wiener Gemeinderat initiierte Resolution „mitten im Wahlkampf, mit Blick auf muslimische Wähler, vordergründigen Antisemitismus und Anti-Zionismus“ bedient habe. Kapp zu NU: „Mit dieser Resolution muss sich die SPÖ in Wien fragen, ob sie nicht mit Lueger gleichgezogen hat.“
Warum die Debatte via Facebook stattfand, ob man auf diese Weise besonders junge Polit-Interessierte habe ansprechen wollen, vermögen beide Herren nicht zu beantworten. Sternfeld spricht von einem „Zufall“, er verstehe durchaus den Einwand einiger Mitdiskutanten, es handle sich um eine „Retro-Diskussion“. Aber, so Sternfeld: „Mir ist es wichtig, ich bin gegen die Verlogenheit mancher politischer Mitbewerber.“ Und Kapp meint knapp: „Die SPÖ glaubt, sie hat, egal, was sie macht, einen Alleinvertretungsanspruch bei den österreichischen Juden.“ Es sei an der Zeit, diese Selbstgenügsamkeit zu hinterfragen.