Wiens Kulturstadtradt Andreas Mailath-Pokorny über Österreichs Umgang mit der Vergangenheit und seine Idee, Nachkommen vetriebener Österreicher die österreichische Staatsbürgerschaft anzubieten.
Von Martin Engelberg
Vor einigen Wochen absolvierte Andreas Mailath-Pokorny, Wiener Stadtrat für Kultur und Wissenschaft, einen Arbeitsbesuch in Israel. Dabei hielt er auch eine vielbeachtete Rede vor der Hebräischen Universität in Israel zur Vergangenheit Österreichs: „Wir, eine neue Generation, wir wissen, wer die Opfer waren und wer die Täter. Nach 1945 wurde in Österreich häufig verdrängt und vergessen, unter den Teppich gekehrt. 530.000 registrierte Nazis wurden nach 1945 wieder in die gesellschaftliche Mitte zurückgeholt. Wenige Jahre nach Gründung der Zweiten Republik musste sich kein ‚Ehemaliger‘ mehr schämen, überzeugter Nazi gewesen zu sein, oder ein Geschäft, eine Wohnung, eine Bank, geraubt zu haben“. Schließlich stellte sich Mailath-Pokorny vor, wie heute Wien wäre, wenn die Jüdinnen und Juden nicht ermordet oder vertrieben worden wären: „Die Stadt wäre eine andere, die Stadt wäre eine reichere, eine weltoffenere, eine kreativere“.
Dazu Mailath-Pokorny im Interview mit NU: „Ja, diese Rede, dieser Moment war sehr bewegend für mich, fast wie ein Auftrag. Ich war das letzte Mal vor fast 20 Jahren dort, genau an dieser Stelle, an der Seite des damaligen Bundeskanzlers Vranitzky. Ich habe von daher auch eine persönliche Betroffenheit, weil ich ja damals mitgeschrieben habe an dieser mittlerweile berühmten Rede und auch damals miterlebt habe, wie unsicher wir auch darüber waren, wie die Aufnahme in Österreich sein würde. Man hätte durchaus auch damit rechnen können, dass das auf heftige Kritik stößt. Es war das Gegenteil der Fall, es war eher ein Aufatmen, das einerseits durch Österreich, aber auch international gegangen ist. Es hat auch das Verhältnis eines modernen, neuen Österreichs mit einem modernen Israel auf neue Beine gestellt.“
Der Wiener Kulturstadtrat bezeichnete es dann in seiner Rede auch als Selbstverständlichkeit, dass Nachkommen vertriebener Österreicher, wenn diese österreichische Staatsbürger werden wollen, dies ihnen dann ohne Schwierigkeiten ermöglicht werden sollte. Dazu sagt er im Interview: „Ich halte es einerseits für menschlich selbstverständlich, dass man dieses Angebot für alle Nachkommen macht. Ich halte es aber auch aus sehr pragmatischen Gründen für dumm, diese Menschen nicht einzuladen – das sind ja zu einem guten Teil auch sehr interessante, sehr engagierte Menschen, Wissenschaftler, die auch sehr erfolgreich in ihren Berufen sind, die für dieses Land einiges machen könnten und wollten. Das ist mir ein Anliegen und ich begebe mich jetzt einmal auf Recherche und versuche auch mit dem Innenministerium, der Bundesregierung Kontakt aufzunehmen und nachzufragen, warum das so ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man da nicht mit einigem guten Willen sehr rasch eine positive Lösung dafür finden kann. Das kann ja alles nicht mehr als eine symbolische Geste sein, aber die halte ich jedenfalls für ganz wichtig.“
NU: Das wäre auch für die jüdische Gemeinde wichtig, weil letztlich eine gewisse Zuwanderung gut täte und das bringt mich zur zweiten Frage: Es gibt in Wien eine Population an jüdischen Menschen, wie etwa Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion oder die Absolventen der Lauder Business School, die hier studiert haben und einen Abschluss haben, eigentlich ein tolles Potenzial sind und gerne in Wien bleiben wollen. Was kann man für die tun?
Mailath-Pokorny: Das eröffnet eine zusätzliche Dimension. Natürlich wäre das Angebot an alle, die hier sesshaft sind, studiert haben, tätig sind, ein großzügiges. Der Ansatzpunkt, dass Menschen von ihren Eltern her ein Anrecht auf die Staatsbürgerschaft haben, ist ein pragmatisch durchsetzbarer und als Politiker ist man Pragmatiker von Haus aus und daher ist das jedenfalls ein erster Schritt. Aber wir sollten uns da unbedingt auch interessiert zeigen, auch aufzumachen und zu sagen: Das ist eigentlich wunderbar, dass ihr hier studiert. Weil ja Wien diese Tradition hat, einerseits was die jüdische Kultur anlangt, aber natürlich auch diese Brückenfunktion zwischen Ost und West, dass man sich da auch stärkere Verbindungen überlegt. Das ist auch eine kulturelle Aufgabe. Es wäre auch interessant, da mehr voneinander zu wissen. Da gäbe es verschiedene Instrumente oder Möglichkeiten. Unter Umständen auch über Einrichtungen wie das Jüdische Museum, das sich ja zunehmend nicht nur als einen reinen Ausstellungsort versteht, sondern auch als einen Ort, wo man miteinander ins Gespräch kommt, sich kennenlernen kann.
Die Beziehungen zwischen der Stadt Wien und der jüdischen Gemeinde sind einerseits ausgezeichnet, andererseits passieren immer wieder Sachen, die heftig aufstoßen. Da war vor einem Jahr die einseitige Verurteilung Israels durch den Gemeinderat beim Zwischenfall mit dem Schiff Mavi Marmara und jetzt vor kurzem die Zustimmung Österreichs zur Aufnahme Palästinas in die Unesco.
Was den damaligen Gemeinderatsbeschluss betrifft, habe ich nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich darüber nicht glücklich war. Ich glaube, dass so etwas viel besser vorbereitet, dass das ausführlicher diskutiert gehört, dass man sich die verschiedenen Seiten anhören muss, das ist damals in einer relativen Zeitnähe, um nicht zu sagen überhastet, beschlossen worden. Ich glaube, dass Außenpolitik insgesamt und speziell die Beurteilung der Situation im Mittleren Osten ein hohes Maß an Professionalität und Sachkenntnis erfordert. Was ich aus meiner Sicht nur sagen kann, ist, dass es ungeachtet dessen jedenfalls eine große Verantwortung insbesondere der Stadt Wien besonders gegenüber den Städten Jerusalem und Tel Aviv gibt und das sollten wir, was immer wir tun, auch wissen.
Das klingt fast schon wie die Stellungnahmen der deutschen Bundeskanzlerin Merkel zur besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel.
Jedenfalls teile ich komplett und uneingeschränkt diese Position: Es gibt eine erhöhte Verantwortung auch Österreichs gegenüber Israel und daher wäre es gut, sich sehr, sehr verantwortungsvoll und gut zu überlegen, welche Schritte man setzt und was man sagt. Das kann und darf nicht heißen, dass man nicht auch ein kritisches Wort äußert. Aber wie es nun einmal ist: Wahrscheinlich ist es gescheiter, man äußert das unter Freunden, sollte man eine Anmerkung haben oder gefragt werden und insofern bin ich dafür, sich eher zurückzuhalten, aus der Verantwortung und der Geschichte, die Österreich mit Israel verbindet. Heißt aber wie gesagt nicht, dass man sich nicht auch mit der palästinensischen Seite zusammensetzen kann, zuhorchen kann und auch unterstützen kann. Das, was ich tun kann, was künstlerischen Austausch betrifft, mache ich, ich habe wie gesagt dort großartige Künstler getroffen. Gestern war gleich, als Folge meines Besuches, der großartige israelische Künstler Idan Raichel da, der dieses Weltmusikprojekt aus Jerusalem startet und vielleicht gelingt es uns da auch mit den Wiener Festwochen oder jedenfalls hier in Wien, eine Kooperation zu etablieren. Da sind wir gut beraten, uns auf diesem Gebiet nützlich zu machen und das können wir wahrscheinlich auch gut. Idan Raichel arbeitet mit über 90 Künstler und Künstlerinnen aus der ganzen Welt. Er sieht darin ein Stück zur Völkerverständigung und Wien als ausgezeichneten Ort, um diesen Traum von hier aus in andere europäische Metropolen zu tragen.