Von Erwin Javor
Man sagt mir ungerechterweise nach, dass ich immer nur drei Themen im Kopf hätte: Juden, jüdische Angelegenheiten und Israel. Ich darf in der mir eigenen Bescheidenheit darauf verweisen, dass ich mich mit dieser These auch schon selbstkritisch auseinandergesetzt habe, wie eine meiner vergangenen Kolumnen beweist. Aber es stimmt einfach nicht, denn ich biete meiner geschätzten Leserschaft ja regelmäßig an dieser Stelle ein viertes Thema: Die jiddische Sprache! Und das ist keinem aufgefallen?! Und genau genommen bleibt es dabei auch nicht. Staunen Sie und lesen Sie heute und hier in dieser Kolumne über Thema Nummer fünf, das absolut nichts mit Juden zu tun hat. Der Goj!
Was ist ein Goj? Zunächst einmal ein hebräisches Wort, das „Nation“ oder „Volk“ bedeutet. Die Bezeichnung Goj wird in der Thora in Bezug auf Nichtisraeliten verwendet und so kennen Sie den Begriff wahrscheinlich auch. Aber an vielen anderen Stellen der Bibel wird er auch für die Israeliten selbst gebraucht, etwa als Abraham erfährt, dass er Stammesvater eines „Goj gadol“, eines „großen Volkes“, sein wird.
Das ist aber eher der akademische Teil. Der gebräuchlichste Grund, von einem „Goj“ zu sprechen, ist tatsächlich die oft abschätzige Erwähnung eines Nichtjuden, eines „gentile“, wie man ihn auf Englisch etwas höflicher bezeichnet. Trifft ein Goj einen Goj, haben Sie zwei Gojim vor sich. Das ist der Plural.
Zuweilen wird der Begriff aber auch in unverhohlener Bewunderung verwendet, nämlich dann, wenn ein Jude besonders kräftig gebaut ist. Dann sagt man: „A gewir wie a Goj“ oder „trinken ken er wie a Goj“ (eine Kraft wie ein Nichtjude hat er oder saufen kann er wie ein Nichtjude). Was ja eigentlich ein Fall jüdischen Antisemitismus ist, weil das von der Annahme ausgeht, dass ein „richtiger“ Jude schwach wäre und keinen Alkohol vertragen würde. Ich allein kenne viele Gegenbeispiele persönlich.
Zur besseren Erklärung lassen Sie sich mich das mit ein paar so gut wie wahren Geschichten illustrieren.
Ein frommer Jude geht spazieren. Plötzlich kreist ein Vogel über ihm, erleichtert sich und hinterlässt das Produkt seiner Verdauung mitten auf dem neuen Hut des Juden. Verhärmt reckt er die Faust gen Himmel und ruft verbittert aus: „Und für die Gojim singst du!“
Ein Jude hat es eines Tages satt, sich über die Verfolgung und die Opferrolle zu definieren und beschließt daher, sich taufen zu lassen. Er geht in die Kirche und erledigt alles, was es dazu braucht. Am nächsten Tag erwischt ihn seine Frau in flagranti, als er, wie gewohnt, mit Talles und Tfillen (Betschal und Gebetsriemen) sein Morgengebet verrichtet. „Was ist los mit dir?“ fragt sie kopfschüttelnd. „Du hast dich doch geschmatt (bist übergetreten)!“ – Der Ertappte schlägt sich verzweifelt mit der flachen Hand auf die Stirn: „Oj, mein gojischer Kopp!“ (Oje, mein nichtjüdisches Gedächtnis) Ähnlich erging es einem anderen Mitbürger in seinem Ansinnen, ein Goj werden zu wollen.
Ein Jude ist viele Jahre lang frustriert, weil es ihm und seinesgleichen verwehrt bleibt, im nobelsten Country Club der Gegend aufgenommen zu werden. Er beschließt, zu handeln und etwas dagegen zu unternehmen. Er ändert seinen Namen von Moishe Ari Lebovich auf Christopher Covington-Marlowe. Er lässt sich von einem orthodoxen Baptistenprediger taufen. Er lässt sich die Nase verkleinern. Er wird führender Tea-Party-Aktivist. Er nimmt Sprachunterricht, um sich einen edlen WASP-Akzent anzueignen und zwingt sich bei dieser Gelegenheit, sein Vokabular anzupassen, zu minimieren und auf Mimik und Gestik zu verzichten. Schließlich tritt er zum Aufnahmegespräch im Country Club an und beantwortet mit fliegenden Fahnen alle Fragen zur vollsten Zufriedenheit des Präsidiums. Zustimmend nickt der Vorstand. „Mr. Covintgton- Marlowe, abschließend noch eine letzte Frage. Welcher Religion gehören Sie an?“ – Wie aus der Pistole geschossen antwortet Christopher stolz: „Goj!“
Mammeloschn (Jiddisch): Mutterwitz; Muttersprache. Aus dem Hebräischen Loschn: Zunge, Sprache.