Das Jüdische Museum der Türkei in Istanbul erzählt nur halbe Geschichten. Was nicht in das Bild des „humanitären Geists der Türkischen Nation“ passt, findet hier keinen Platz.
Von Thomas Schmidinger (Text und Fotos)
Der Sinn dieses Museums bestünde darin, in der Türkei und im Ausland die „Geschichte von 700 Jahren Freundschaft von Türken und Juden, beginnend mit der osmanischen Eroberung von Bursa 1326 bis zur warmherzige Einladung von Sultan Bayezid II. für die sephardischen Juden“ zu zeigen und den „humanitären Geist der Türkischen Nation“ darzustellen. Diese Inschrift, die mit überraschender Offenheit die Intentionen des Jüdischen Museums in Istanbul darlegt, empfängt Besucherinnen und Besucher, wenn sie die alte Synagoge in der Perçemli Sokak im innerstädtischen Stadtteil Karaköy betreten, die keine drei Gehminuten vom Nordende der Galata- Brücke entfernt liegt.
Die Kal Kadosh Galata Synagoge, auch Zulfaris Synagoge genannt, stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde in den 1970er-Jahren zur Synagoge der Thrakischen Juden in Istanbul, ehe hier 2001 das einzige Jüdische Museum der Türkei eröffnet wurde. Warum die thrakischen Juden in Istanbul waren, erfährt man in dem Museum jedoch genauso wenig, wie man über irgendein anderes Ereignis etwas in Erfahrung bringen könnte, das das Bild des humanitären Geistes der Türkischen Nation oder der jahrhundertelangen Freundschaft von Türken und Juden gefährden könnte. Der von den Hetzschriften des faschistischen Dichters Nihal Atsız ausgelöste Thrakische Pogrom von 1934 führte zur Vernichtung der jahrhundertealten jüdischen Gemeinden in Tekirda , Kırklareli und Çanakkale und zur Flucht der Überlebenden nach Istanbul. Lediglich von der jüdischen Gemeinde in Edirne kehrten einige nach dem Pogrom in ihre Heimatstadt zurück. Heute existiert auch diese letzte Gemeinde der thrakischen Juden nicht mehr.
Der Antisemitismus, der zwar in der Türkei nie zu einer Vernichtung der jüdischen Bevölkerung führte, aber sowohl in säkular-nationalistischen Strömungen des Pantürkismus und Turanismus Verbreitung fand, als auch in vielen Strömungen des Politischen Islam, stellt kein Thema des Museums dar. Stattdessen wird lieber auf die Türkei als Exilland verwiesen. Tatsächlich stellte die Einladung von Sultan Bayezid II. an die von den „katholischen Königen“ vertriebenen spanischen Juden die Grundlage für die Rettung des sephardischen Judentums dar und tatsächlich fanden viele jüdische Intellektuelle, die beim Aufbau des türkischen Bildungswesens und der Wissenschaften nützlich waren, ab 1933 in der Türkei Zuflucht vor den Nazis. Dass bei Letzterem ausschließlich auf jene eingegangen wird, denen es gelang, in die Türkei zu kommen und jene türkischen Jüdinnen und Juden, denen durch den Entzug der Staatsbürgerschaft die Rückkehrmöglichkeit verwehrt wurde, in keinem Wort erwähnt werden, gehört ebenso zu den blinden Flecken des Museums, wie das Ausblenden der Katastrophe des Flüchtlingsschiffs Struma, das mit über 700 jüdischen Flüchtlingen sank, weil dem manövrierunfähigen Schiff über zwei Monate lang die Landung in Istanbul verwehrt wurde.
Was nicht in das Bild des „humanitären Geists der Türkischen Nation“ passt, findet hier keinen Platz. Schließlich ist das Museum eine Gründung des 500. Yil Vakfi, einer Stiftung, die 1992 gegründet wurde, um den 500. Jahrestag der Ankunft der sephardischen Juden im Osmanischen Reich zu feiern und damit auch eine Visitenkarte des kemalistisch- nationalistischen Selbstverständnisses der Türkei.
Stattdessen wird im ersten Stock eine umfangreiche ethnografische Sammlung geboten, in der von Ritualgegenständen bis zur Kleidung versucht wird, das jüdische Leben im Osmanischen Reich und in der Türkischen Republik darzustellen. Besonders interessant sind die Beispiele jüdischer Medien, die in der Anfangsphase der türkischen Republik noch überwiegend in Ladino, jenem mit einigen hebräischen Worten vermischten mittelalterlichen Spanisch, erschienen sind, das die Sephardim aus dem Westen in das Osmanische Reich mitbrachten. Erst im Zuge der nationalistischen Sprachpolitik der Türkischen Republik wurde das Ladino langsam vom Türkischen verdrängt. Interessant sind auch die Darstellungen wichtiger jüdischer Künstler, Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler – und einiger weniger Wissenschaftlerinnen, die für die moderne Türkei eine wichtige Rolle spielten. Die Lebensbedingungen einfacher jüdischer Arbeiter, Händler oder Hausfrauen spielen eine wesentlich geringere Rolle. Immer wieder wird die Bereicherung beschworen, die Jüdinnen und Juden der Türkei gebracht hätten. Viele Gegenstände symbolisieren das Miteinander von Judentum und Islam.
Die Intention des Museums, der nichtjüdischen türkischen Bevölkerung den „Wert“ der jüdischen Communities für die Türkei schmackhaft zu machen und die türkisch-jüdische Freundschaft zu beschwören, mag angesichts des wachsenden Antisemitismus in der Türkei gut gemeint sein. Die Arbeit des Museums, durch das auch Schulklassen geführt werden und das auch Workshops für Kinder und Jugendliche anbietet, kann durchaus etwas zu einem emphatischeren Verhältnis gegenüber Jüdinnen und Juden beitragen. Das geradezu auffällige Ausklammern des Antisemitismus wirkt allerdings bei näherem Hinsehen beklemmend. Das Museum verrät damit dem kritischen Besucher vielleicht mehr über die Situation der türkischen Jüdinnen und Juden als dies der Intention des Museums entspricht. Gerade als Selbstdarstellung eines dem türkischen Nationalismus wohlgesonnenen offiziellen Judentums, das seine kritischen Intellektuellen, wie etwa den Historiker Rıfat N. Bali, lieber nicht zu Wort kommen lässt und alles ausblendet, was zu inhaltlichen Debatten führen könnte, ist das Museum allerdings hochinteressant. Man sollte nur nicht alles für bare Münze nehmen, was darin erzählt wird, und sich mit den kritischen Arbeiten von Rıfat N. Bali oder Corry Guttstadt noch andere Darstellungen der türkisch-jüdischen Geschichte zu Gemüte führen.
Jüdisches Museum Istanbul
500. Yıl Vakfı Türk Musevileri Müzesi
Karaköy Meydanı, Perçemli Sokak
E-Mail: info@muze500.com
Tel: +90 (212) 292 63 33 / 34
Fax: +90 (212) 244 44 74
Mo.–Do. 10.00–16.00 Uhr,
Fr.–So. 10.00–14.00 Uhr
Website: www.muze500.com