Die SPÖ-Abgeordnete Christine Muttonen spielt mit ihrer parlamentarischen Anfrage zur gesonderten Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen der antiisraelischen Boykottbewegung in die Hand – in Europa liegt sie damit voll im Trend.
Von David Rennert
Während in Europa der Lebensmittelskandal um falsch deklariertes Pferdefleisch täglich neue Dimensionen erreicht, sorgt man sich in der SPÖ offenbar um die Bezeichnung ganz anderer Waren. In einer parlamentarischen Anfrage an das Außenministerium will die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Christine Muttonen, wissen, wie man zur „Kennzeichnung von Waren aus Siedlungen in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten“ steht.
Unter zahlreichen Hinweisen auf die Völkerrechtswidrigkeit israelischer Siedlungen im Westjordanland drängt Muttonen darauf, dort produzierte Waren gesondert zu kennzeichnen und nicht mit dem Label „Made in Israel“ einzuführen. Damit solle den europäischen Zollbehörden die Unterscheidung zwischen Produkten aus dem israelischen Kernland und „illegalen Siedlungen“ erleichtert werden.
Unterscheidung seit 1995
Tatsächlich kommt diese steuerlich relevante Unterscheidung schon längst zur Anwendung. Das 1995 von der EU und Israel abgeschlossene Freihandelsabkommen gewährt für die Einfuhr israelischer Produkte Zollvergünstigungen. Waren aus den umstrittenen Gebieten sind davon aber dezidiert ausgenommen. Das derzeitige Verfahren sei jedoch nicht effizient genug, um die illegale zollfreie Einfuhr von Siedlungsprodukten ausreichend verhindern zu können, findet Muttonen.
Worum es in der Anfrage aber eigentlich geht, wird schnell klar: Nämlich um die „illegale Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der besetzten Gebiete“, wie es in dem Dokument wörtlich heißt. Muttonen rechnet die „israelische Ausbeutung“ auch gleich vor: Israel exportiere durchschnittlich Waren im Wert von 230 Millionen Euro aus den Siedlungen in die EU, der palästinensische Export belaufe sich hingegen auf nur 15 Millionen Euro.
Kennzeichnung aus Verbraucherfreundlichkeit?
„Im Sinne einer transparenten und verbraucherfreundlichen Politik haben bereits einige europäische und nicht-europäische Staaten und Unternehmen Maßnahmen ergriffen, die eine eindeutige Kennzeichnung von Waren aus israelischen Siedlungen im Westjordanland bewirken“, schreibt Muttonen.
Vorrangig geht es also in der Anfrage nicht um eine Arbeitserleichterung für Zollbeamte, sondern um die Kennzeichnung für Endverbraucher – und damit die Möglichkeit, Siedlungsprodukte boykottieren zu können. Tatsächlich haben Großbritannien, Südafrika und Dänemark diesen Schritt bereits getan. So finden Konsumenten etwa in britischen Supermärkten Produkte mit dem Label „Israeli Settlement Produce“.
„Natürlich ist mir klar, dass das eine politisch brisante Frage ist“, sagt Muttonen im Gespräch mit NU. Das große mediale Echo überrasche sie trotzdem. Die Frage der Kennzeichnung sei derzeit schließlich in ganz Europa ein Thema, zuletzt etwa auch auf der EU-Außenministerkonferenz. Mit der Anfrage an den Außenminister wolle sie einfach erfahren, wie die Bundesregierung mit dieser Frage umzugehen gedenke.
Koordinierte Vorgehensweise
Im Außenministerium arbeitet man noch an der Beantwortung der SPÖ- Anfrage. Im Prinzip sei der Rechtsrahmen aber klar abgesteckt, sagt Martin Weiss, Leiter der Presseabteilung des Ministeriums zu NU. „Wir haben existierende Verordnungen auf EU-Ebene. Nur Produkte, die unstrittig aus Israel stammen, kommen in den Genuss des Freihandelsabkommens. Andere Waren, etwa aus den Siedlungen, sind davon ausgenommen.“ Israel habe sich in einer Vereinbarung mit der EU dazu verpflichtet, alle Produkte mit Postleitzahlen zu versehen und so den Ursprung für die Zollbehörden transparent zu machen.
In der praktischen Umsetzung bringe das durchaus Schwierigkeiten mit sich, so Weiss. „Es ist oft schwer nachvollziehbar, wenn etwa eine Firma ihren Sitz in Israel hat und eine israelische Postleitzahl verwendet, aber teilweise in Siedlungen produziert.“ Ob man an den bestehenden Kennzeichnungspflichten etwas ändern wolle, sei aber sinnvollerweise auf EU-Ebene zu diskutieren, so der Sprecher des Außenministeriums. „Wir verfolgen hier eine koordinierte Vorgehensweise der EU; individuelles, einzelstaatliches Vorgehen halten wir nicht für sinnvoll.“
Eine solche gemeinsame Vorgehensweise in der EU steht möglicherweise tatsächlich bevor. Stimmen für eine deutlichere Kennzeichnung werden in Brüssel vor dem Hintergrund der israelischen Siedlungspolitik immer lauter. Und auch im restlichen Europa scheint die Stimmung gegen Israel zu kippen: Der größte norwegische Obst- und Gemüseimporteur (BAMA) hat die Einfuhr von Waren aus den umstrittenen Gebieten vollständig beendet, die Schweizer Supermarktkette Migros will ab 2013 eine eigene Kennzeichnung einführen.
Politische Boykottkampagne
In Israel ist man über die europäische Entwicklung besorgt und befürchtet negative Auswirkungen für den gesamten Warenexport in die EU. „Eine eigene Kennzeichnung für Produkte aus den Siedlungen bereitet den Weg für einen Boykott“, kritisiert die israelische Botschaftsrätin in Wien, Galit Ronen, im Gespräch mit NU. „Wie viele Konsumenten werden sich damit beschäftigen, ob ein israelisches Produkt nun diese oder jene Kennzeichnung trägt? Einfacher ist es, ganz darauf zu verzichten“, befürchtet Ronen.
Zudem sei die Forderung diskriminierend: „Niemand in der EU thematisiert die Kennzeichnung von Produkten aus anderen Gebieten mit strittigen Grenzen, etwa dem türkisch besetzten Teil Zyperns oder der von Marokko okkupierten Westsahara. Dazu stellt niemand parlamentarische Anfragen“, so Ronen.
Die zollrechtlichen Fragen seien ohnehin geklärt, hinter dem vermeintlichen Konsumentenschutz verberge sich schlichtweg eine politische Kampagne, sagt die Diplomatin. „Ich bin wenig überrascht, dass dieses Thema jetzt auch in Österreich aufgegriffen wird. Man kann in Brüssel ja schlecht laut zu einem Boykott israelischer Produkte aufrufen, also hat man einen Weg gesucht, das Thema in den einzelnen Mitgliedsstaaten auf die Agenda zu bringen. Man wird wohl in jedem Land Parlamentarier wie Frau Muttonen finden, die solche Anfragen stellen werden.“
Kennzeichnung und Boykott würden letztlich auch den zigtausenden Palästinenserinnen und Palästinensern schaden, die in den Siedlungen beschäftigt sind. „Ein wirtschaftlicher Einbruch wird niemandem helfen und den Friedensprozess nicht beschleunigen“, so Ronen.
„Israel betrifft uns alle“
Muttonen will nun erst einmal auf die Antwort aus dem Außenministerium warten. „Es gibt eine Resolution des EU-Parlaments, die besagt, dass die derzeitige Regelung nicht zufriedenstellend funktioniert. Hier müssen Schritte gesetzt werden, und meine Frage ist, welche Schritte das sein sollen.“ Aus Sicht der SPÖ ist offenbar die Kennzeichnung jüdischer Produkte der richtige Weg, um mit diesem wahrlich brennenden Problem fertig zu werden. Die historische Geschmacklosigkeit der Forderung scheint kein Hindernis zu sein.
Kritik daran, dass sich ihre Anfrage einzig mit Israel befasse, weist die SPÖ-Abgeordnete zurück: „Die Situation etwa in Zypern ist doch eine ganz andere. Das Ziel ist ja die Wiedervereinigung dieser zwei Gebiete, das ist schon ein Unterschied. Dazu kommt, dass wir ja doch sehr verbunden sind mit Israel. Ich glaube, was wir alle wollen, ist ein stabiler und nachhaltiger Frieden im Nahen Osten, daher betrifft und berührt uns dieser Konflikt natürlich sehr.“
Eine genauere Erklärung für ihre Agenda bleibt Muttonen schuldig. Liest man in ihrer Anfrage von der „israelischen Besatzungsmacht“, die die „Ausbeutung, Schädigung und Erschöpfung palästinensischer Ressourcen“ bewusst in Kauf nehme, bleiben aber ohnehin kaum Fragen offen. Gerade weil in der Logik der Nationalratsabgeordneten „Israel alle etwas angeht“, ist die Botschaft eine breite Aufforderung: „Österreicher, kauft nicht beim Siedler!“