VON SCHLOMO HOFMEISTER UND ARIE FOLGER
Im traditionellen Judentum ermöglicht das jüdische Recht (Halacha), dass Menschen, die nicht jüdisch geboren wurden, vor einem Beit Din (Rabbinatsgericht) zum Judentum konvertieren können, indem sie in Anwesenheit von drei Dayanim (Rabbinatsrichtern) in einer Mikwe (jüdisches Ritualbad) untertauchen – vorausgesetzt, sie sind philosophisch und intellektuell bereit und erfüllen auch die praktischen Voraussetzungen, ein religiöses jüdisches Leben zu führen. Wie tiefgehend die Hingabe und wie detailliert die praktische Umsetzung eines „religiösen Lebens“ der ÜbertrittskandidatInnen im Moment des Übertritts sein muss – dazu gibt es, abhängig von strengeren und weniger strengen Lehrmeinungen, eine gewisse Bandbreite der Auffassungen.
In jedem Fall setzt ein Übertritt zum Judentum, genannt Gijur, jedoch zumindest die Einhaltung der Grundsäulen der Tora, also die Speisevorschriften (Kaschrut), die Schabbatvorschriften sowie die ehelichen Reinheitsgesetze (Nidda) voraus; für Männer kommen noch die Beschneidung (Brit Mila) sowie die täglichen Gebete hinzu. Wenn es bereits jüdische EhepartnerInnen gibt, so müssen auch sie alle genannten Voraussetzungen erfüllen, um den Übertritt ihrer nicht-jüdischen PartnerInnen zu ermöglichen.
Ehrliche Absicht
Bevor der Beit Din jemanden zu einem Übertrittsprozess akzeptieren kann, müssen die Dayanim überzeugt sein, dass die ehrliche Absicht besteht, tatsächlich jüdisch zu leben, und die Person sich der hohen spirituellen Verantwortung und der vielen Verpflichtungen bewusst ist, die sie mit einem Gijur freiwillig auf sich nimmt, die ab dem Übertritt jedoch endgültig und unwiderruflich mit allen Konsequenzen bestehen.
Für die Dauer des Übertrittsprozesses gibt es keinen festgeschriebenen Zeitrahmen. Er kann ein paar Monate dauern oder mehrere Jahre; die Geschwindigkeit haben die KandidatInnen selbst in der Hand, entsprechend ihrer persönlichen Lebensführung.
Ein Gijur betrifft in der Praxis nicht nur Menschen, die keine jüdischen Vorfahren haben, sondern genauso all jene, die zwar einen jüdischen Vater, jedoch eine nichtjüdische Mutter haben, da der jüdische Status eines Kindes ausschließlich von der Mutter abhängt. Einen ordnungsgemäßen Gijur mit allen Voraussetzungen und Auflagen müssen heutzutage auch all jene auf sich nehmen, die zwar wissen, dass alle ihre Großeltern jüdisch waren, aber dies lediglich durch staatliche Dokumente, nicht aber durch halachisch gültige Schriftstücke oder koschere Zeugen zweifelsfrei beweisen können, sei es wegen der Assimilation der Familie oder aufgrund der Vernichtung der relevanten Dokumente in der Nazizeit.
Da die Gültigkeit eines Gijur nicht nur die Person selbst betrifft, sondern auch ihre Nachkommen, legen die internationalen Rabbinervereinigungen und nationalen Rabbinatsgerichte großen Wert darauf, dass Übertritte nur von qualifizierten und vor allem unabhängigen Dayanim durchgeführt werden, die weder sozialem Druck ausgesetzt sind noch finanzielle Interessen haben, um sicherzustellen, dass alle halachischen Vorgaben eingehalten werden.
Arie Folger hat im Sommer 2016 die Nachfolge von Paul Chaim Eisenberg angetreten. Als Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien ist er für das Familienrecht in der IKGWien und die Betreuung ihrer Mitglieder zuständig; er ist der Rabbiner des Wiener Stadttempels und zuständig für die rabbinische Leitung von IKG-Institutionen, wie die Zwi-Perez-Chajes- Schule, das Maimonides-Zentrum und die Wiener jüdischen Friedhöfe.
Schlomo Hofmeister ist seit 2008 als Wiener Gemeinderabbiner tätig. Neben der rabbinischen Beratung und Betreuung der IKG-Mitglieder ist er für die religiösen Angelegenheiten der Israelitischen Religionsgesellschaft in Österreich (IRG) und die rabbinische Repräsentation der jüdischen Gemeinde nach außen zuständig, wozu auch der interreligiöse Dialog sowie die Kontakte zu staatlichen Behörden und politischen Institutionen gehören.