Die Ergebnisse der Antisemitismus-Studie, die vom Österreichischen Parlament jährlich in Auftrag gegegeben wird, sprechen eine klare Sprache.
Die neue vom Parlament in Auftrag gegebene Antisemitismus-Studie zeigt eindrücklich, wie stark der Nahostkonflikt die Einstellungen in Österreich verändert hat. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist die Zahl antisemitischer Vorfälle in Österreich massiv gestiegen. Wurden davor im Schnitt rund 1,5 Vorfälle pro Tag gemeldet, waren es danach über acht.
Für die Studie des Instituts für empirische Sozialforschung (IFES) wurden mehr als 2.000 Menschen aus ganz Österreich befragt. Zusätzlich gab es eine separate Erhebung mit mehr als 1.000 Personen, deren Familien aus der Türkei oder arabischen Ländern stammen. Ziel war es, das Meinungsklima gegenüber Jüdinnen und Juden sowie gegenüber Israel nach dem 7. Oktober empirisch greifbar zu machen.
Ein zentrales Ergebnis: Die Grundhaltung gegenüber Jüdinnen und Juden hat sich im Vergleich zu früheren Jahren kaum verändert. Doch in bestimmten Dimensionen, vor allem beim israelbezogenen Antisemitismus, zeigen die Daten eine klare Zunahme, besonders bei jungen Menschen sowie bei Personen mit familiärem Migrationshintergrund aus islamisch geprägten Ländern. Nur 39 Prozent der türkisch- und arabischstämmigen Befragten stufen den Angriff der Hamas als Terrorakt ein. In der Gesamtbevölkerung sind es 72 Prozent. Gleichzeitig geben 64 Prozent dieser Gruppe Israel die Schuld am Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung, während dieser Wert beim Rest der Befragten im Durchschnitt bei 23 Prozent liegt. In der separaten Studie lehnte ein Teil der türkisch und arabischstämmigen Menschen es ab, das Massaker der Hamas als Terrorakt zu bezeichnen. Auch bei jungen Menschen ohne Migrationshintergrund zeigen sich ähnliche Tendenzen, wenn auch weniger stark ausgeprägt.
Die Studie nennt mehrere Gründe für diese Unterschiede. Viele der Befragten aus der Zusatzstichprobe stammen aus Staaten wie Syrien, dem Libanon oder Ägypten, also Länder, deren Verhältnis zu Israel historisch konfliktgeladen ist. Auch Religiosität spielt eine Rolle: Wer sich selbst als „sehr religiös“ bezeichnet, bewertet die Hamas positiver und Israel kritischer. Zugleich zeigt sich: Viele erkennen Antisemitismus nicht als solchen. Nur 41 Prozent der Befragten mit türkischem oder arabischem Hintergrund konnten antisemitische Aussagen zuverlässig identifizieren, etwa den Vergleich Israels mit dem NS-Regime oder die Vorstellung, Juden kontrollierten Medien oder Banken. In der Gesamtbevölkerung lag dieser Wert bei 60 Prozent – ein Befund, der deutlich macht, wie groß die Lücken im politischen und historischen Grundwissen nach wie vor sind. Diese Wissenslücken zeigen sich besonders stark in der jungen Altersgruppe. Laut Studie nutzen 69 Prozent der 16- bis 25-jährigen Instagram häufig, knapp die Hälfte TikTok. Dort dominieren Inhalte mit stark israelkritischem oder verschwörungsideologischem Charakter. Auf TikTok wurden Beiträge unter dem Hashtag „FreePalestine“ mehr als 23 Milliarden Mal aufgerufen. Pro-israelische Inhalte kamen auf nur 211 Millionen Aufrufe. Die Plattform ist laut Studie ein zentraler Ort für Radikalisierung: Falschinformationen verbreiten sich schnell, Bilder von Gewalt und Opferrollen emotionalisieren und verfestigen ein einseitiges Weltbild. Besonders problematisch ist dabei, dass die Rezeption dieser Inhalte oft ohne Kontext erfolgt. Der politische Hintergrund, historische Fakten oder der Terrorcharakter des Hamas-Angriffs bleiben ausgeblendet.
Trotz der aufgeladenen Stimmung hält die Studie fest: In vielen Bereichen ist Antisemitismus nicht angestiegen, sondern bleibt auf konstant hohem Niveau. Was sich allerdings verschoben hat, ist die Schwelle des Sagbaren. Aussagen, die früher als inakzeptabel galten, werden heute offener geäußert, gerade wenn es um Israel geht. Studienleiterin Eva Zeglovits bilanziert: „Bekannte Muster aus den vorigen Erhebungen werden bestätigt, neue kommen hinzu.“ Die Ergebnisse sind ein Weckruf. Der israelbezogene Antisemitismus nimmt zu, häufig, ohne als solcher erkannt zu werden. Wer Antisemitismus nicht erkennt, kann ihm nicht entgegentreten. Und wer nur eine Perspektive auf den Nahostkonflikt kennt, wird kaum differenzieren. Genau hier liegt die Herausforderung, die Verantwortung bei der Politik, Schulen und den Medien.