Zwischen Purim und Puma

Von Martin Engelberg und Peter Rigaud (Fotos)

Es ist faszinierend: Soeben haben die Kids noch über Purim geblödelt, über Haman und König Achaschwerosch, da wirft Lisa – die Leiterin der „Hillel Group“ (siehe Kasten) – sehr geschickt einige Fragen in die Diskussion: Wie das wohl für die Juden war in einem Land zu leben, wo sie der Laune des Königs ausgesetzt waren? Wie man sich in einem Land verhält, in dem Unrecht geschieht? Ab wann man sich gegen die Staatsgewalt wehren darf, wehren muss?

Blitzschnell hat sich von der Purim- Geschichte ein ganz aktueller politischer Bezug hergestellt. Die Jugendlichen diskutieren mit zunehmender Verve miteinander, beschäftigen sich sehr eindrucksvoll mit Fragen, die sich wohl so mancher Erwachsene schon lange nicht gestellt hat.

Dazu erklärt Lisa später, dass ihr solche Diskussionen großen Spaß machen: „So lässt sich von Purim, einem jüdischen religiösen Fest eine sehr spannende politische und zutiefst jüdische Diskussion herleiten – das ist unser Ziel.“ Sie erklärt dann auch gleich, was die Hillel Group zu so etwas Besonderem macht: „Bei Hillel kann ich mich meiner persönlichen politischen, religiösen Meinungen enthalten. Ich kann den Jugendlichen ihren Raum geben, sie ihre Meinungen ausleben, entwickeln lassen. Wir wollen den Jugendlichen nicht eine vorgefertigte Meinung aufsetzen, sie nicht indoktrinieren.“

Dies beschreibt bereits sehr gut eine der Grundideen der soeben neu gegründeten jüdischen Jugendorganisation Hillel Group. „Wir wollen, dass unsere Kinder in ihrer jüdischen Identität, in ihrem jüdischen Bewusstsein gestärkt werden, ohne dass sie in eine ganz bestimmte politische oder religiöse Ausrichtung gedrängt werden“, meint Robert Herscovici, einer der Mitinitiatoren der neuen Jugendorganisation. Er war auch in seiner Jugend Mitbegründer der Vereinigung Jüdischer Mittelschüler „Jewish Youth Study Groups“, die Ende der 1970er Jahre über einige Jahre die stärkste jüdische Jugendorganisation Wiens war.

Es geht um die Begegnung mit den verschiedenen Facetten des Judentums, das Lernen und Beschäftigen mit religiösen Traditionen, um die Vermittlung jüdischer Geschichte und politischer Bildung. „Dabei wollen wir mit den Kindern auch kreative Sachen machen, viel Spaß haben, uns gemeinsam weiterentwickeln, so wie sie von uns was lernen, lernen wir auch von ihnen“, sagt Irina, ein weiteres Mitglied des Leitungsteams der Hillel Group.

Natalie Lanczmann hat sich ebenfalls im Aufbau der Hillel Group engagiert. Sie selbst war in ihrer Jugend Mitglied der B’nai Akiba, doch sie wünschte sich für ihren 10-jährigen Sohn eine Jugendorganisation mit Vielfalt, einen Platz, wo er Kontakt zu anderen jüdischen Kindern finden kann, ohne in eine ganz bestimmte Richtung gehen zu müssen und meint: „Eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Judentum als Kind, Jugendlicher kann er nicht mit mir führen, das muss er mit Gleichaltrigen machen.“

Hillel Group spricht jüdische Jugendliche – vorerst einmal im Alter von 9 bis 15 Jahren – an. Die Treffen finden jeden Samstagnachmittag in Räumlichkeiten der Israelitischen Kultusgemeinde am Karmelitermarkt statt. Die IKG unterstützt die neue Jugendbewegung sowohl finanziell als auch moralisch – schließlich könnte und sollte die Hillel Group ein Vakuum füllen, das seit vielen Jahren in der jüdischen Gemeinde besteht.

Die Hinwendung der Hillel Group zur örtlichen jüdischen Gemeinde trifft einen weiteren wichtigen Punkt: Die Beschäftigung mit und die Zuwendung zu Israel ist wohl ein zentraler Punkt des Programms, aber „es geht auch um unsere Gemeinde, um unsere Gemeinschaft hier in Wien. Es ist nicht das einzige Ziel, dass unsere Mitglieder nach Israel gehen“, erklärt Thomas. Er selbst war Mitglied des Schomer in seiner Jugend und damals galt: „Wir wandern alle aus – der Letzte dreht das Licht ab.“

Außerdem sind in anderen Jugendorganisationen die Leiter der Gruppen oft nicht viel älter als die Mitglieder. Lisa – sie ist klinische Psychologin und hat viel Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen – möchte unbedingt, dass die Jugendlichen sich einbringen und Programme selber gestalten, „es ist aber ganz wichtig sie dabei optimal zu unterstützen, um unserem professionellen Anspruch gerecht zu werden“.

HILLEL GROUP

Neue jüdische Jugendorganisation
Haidgasse 1 (am Karmelitermarkt)
Treffen jeden Samstag von 16.00 bis 19.00 Uhr
Alter: 9–15 Jahre
Fragen, Ideen, Anmeldung: hillelgroup@gmail.com

DAS LEITUNGSTEAM:

Lisa Joskowicz (30), Leiterin der Hillel Group
In Wien aufgewachsen, ging sie mit 18 nach Israel, lebte dort 12 Jahre, studierte klinische Psychologie, arbeitete viel mit Jugendlichen und im psychosozialen Bereich. Lebt seit einigen Monaten wieder in Wien und freut sich, gleich in der Gemeinde tätig sein zu können.

Irina Chaimova (24)
Kam mit 4 Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Wien, ist hier aufgewachsen, hat maturiert, studiert Betriebswirtschaft und hofft, in einem Jahr mit dem Studium fertig zu werden. Arbeitete an der israelischen Botschaft, jetzt in einem Familienunternehmen und für die Hillel Group.

Thomas Deutsch (39)
Geboren und aufgewachsen in Wien, war er in seiner Jugend im Schomer, orientiert sich derzeit, was seinen Beruf betrifft, neu, möchte in Richtung Jugendarbeit, Therapie, Trainer gehen. Übernimmt gerne die Rolle des „Advocatus Diaboli“ in Diskussionen in der Hillel Group.

Barbara Michel (43)
Ist eine der Mitorganisatorinnen von MOADON – Club junger jüdischer Erwachsener und hat dadurch viel Erfahrung in der Organisation von Programmen. Sie lebte ein Jahr in Israel und hat auch weiterhin starken Bezug zu Israel. Sie hat sich in den letzten Jahren zunehmend Tätigkeiten im psycho- sozialen Bereich zugewandt und ist derzeit in Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin. Mitarbeit bei Hillel Group im konzeptuellen Bereich; steht mit guten „Ezzes“ immer zur Verfügung.

 

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