Zufluchtsort Israel

Das Zukunft kann beginnen: Ein Hafenpolizist in Haifa 1948 mit zwei neu eingewanderten Staatsbürgern. © KLUGER ZOLTAN/GOVERNMENT PRESS OFFICE

Die Geschichte einer Einbürgerung

Von Nathan Spasić

In der Regel kommt jeder mit einer Staatsbürgerschaft zur Welt. Es ist bereits der erste maßgebliche Faktor, der bestimmt, unter welchen Rahmenbedingungen das weitere Leben vonstatten gehen soll. Die Zuteilung folgt dem Zufallsprinzip, und daraus leitet sich auch die Anzahl der offenen Türen ab.

Aus diesem Zufall leiten sich aber auch absurde Gefühle wie etwa Nationalismus ab. Weniger absurd, sondern durchwegs real sind mit der Staatsbürgerschaft verbundene Privilegien. Wenn man also mit einer guten, etwa der österreichischen, Staatsbürgerschaft zur Welt kommt, warum würde man sich um eine andere bemühen? Und viel konkreter, warum würde man sich um eine israelische bemühen?

So eine Person bin ich, und diese Frage stellten sich einige Leute in meinem Umfeld. Nicht zuletzt meine Eltern, die mit Israel eigentlich nur die schöne Zeit assoziieren, die sie in ihren jüngeren Jahren dort verbracht haben. Eine einfache Rechenaufgabe lässt darauf schließen, dass ich dort gezeugt wurde. Der Storch brachte mich allerdings nach Wien.

Meine erste Reise nach Israel war eine Rundreise. Vom Tiberias im Norden über Jerusalem und Tel Aviv, ein Zwischenhalt in einem Kibbuz am Toten Meer und einige Tage in Eilat. Überwältigend viel auf überraschend wenig Raum. Für einen Europäer erfordert Israel einiges an Umgewöhnung. Nationalflaggen, Soldaten und ein Unruhegefühl sind neben den vielen schönen Seiten ein ständiger Begleiter. Als Kind fand ich das faszinierend, und irgendwie zog es mich immer nach Israel. Vielleicht war es auch einfach nur das gute Essen und mein Interesse für Geschichte.

Jedenfalls wuchs mein Bezug zu Israel mit den Jahren immer weiter. Während meiner Studienzeit prägten Philosophen wie Moishe Postone mein Verständnis eines jüdischen Staates. Was bedeutet das eigentlich, ein jüdischer Staat? „Wer ein Jud‘ ist, das bestimme ich“ – die von Karl Lueger geprägte Handlungsmaxime blieb mir immer schon wie ein unangenehmer Schleimbatzen im Rachen stecken. Man ist nur so lange Wiener, bis man einer Minderheit zugeordnet wird, und sei es auch nur aufgrund eines entfernten Vorfahren. Das ist doch beängstigend.

Mag sein, dass in der heutigen Zeit diese Angst etwas unbegründet ist. Andererseits kann es aber nicht schaden, einen Zufluchtsort zu haben. Somit war für mich immer schon klar, dass Israel, der jüdische Staat, keine religiöse Funktion erfüllt, sondern eine rein pragmatische. Israel ist die Beruhigungstablette, die man immer mit sich führt und hofft, nie einnehmen zu müssen. Ich sehe das auch als ein politisches Bekenntnis zum Staat Israel, quasi eine Unterstützungserklärung.

Der Weg zur Staatsbürgerschaft ist nicht einfach. Umso schwieriger ist es, wenn man nicht unbedingt vorhat, „Alija“ zu machen, sprich, nach den Bestimmungen des Rückkehrgesetzes nach Israel zu emigrieren. Geschuldet der Tatsache, dass mein Lebensmittelpunkt in Europa ist, war für mich klar, dass es einen anderen Weg braucht. Nach einer Google-Recherche ergab sich: Ich bin bereits Staatsbürger, ohne es zu wissen, denn ein Elternteil war zum Zeitpunkt meiner Geburt Israeli. Somit sei ich es automatisch auch, so Google. Also kontaktierte ich eine Anwaltskanzlei, die mir erklärte, dass ich zwar Israeli sei, allerdings müsse ich mich gerichtlich eintragen lassen.

So einfach ist dies aber nicht, da meine Eltern zum Zeitpunkt meiner Geburt in wilder Ehe lebten. Ich müsse also belegen, dass meine Eltern tatsächlich meine Eltern sind. Darüber hinaus müsse ich auch einen DNA-Test machen. Bei verheirateten Paaren brauche man das nicht, denn schließlich hat man sich ewige Treue geschworen – vor dem Staat und vor Gott. Das sei eine ausreichende Garantie. Kein Problem, dachte ich mir in meiner Naivität, und schickte den Anwälten eine Kopie meiner Geburtsurkunde. Quasi augenblicklich bekam ich einen Anruf aus Israel. Diese Geburtsurkunde könne auch gefälscht sein und würde jedenfalls vor keinem Gericht in Israel standhalten, welches schlussfolgernd nie einen DNA-Test, somit die letzte Formalie, anordnen würde. Wie käme ich denn auf die Idee, so etwas zu schicken? Ich solle selbstverständlich eine Geburtsurkunde mit Apostille organisieren, das Spitalsarchiv aufsuchen und am besten eine Stellungnahme von dem Arzt einholen, der mich aus dem Mutterleib hinausbegleitete. Mir fiel die Kinnlade runter.

Nach einer monatelangen Odyssee und mehreren Anläufen hatte ich endlich alle Dokumente und Stellungnahmen beisammen. Ich hätte Glück, so die Dame im Spitalsarchiv, denn normalerweise werden die Unterlagen nicht so lange aufbewahrt. Das Gericht in Israel gab sich damit zufrieden.

Ich denke, dass jeder Israeli etwas anderes mit seiner Staatsbürgerschaft verbindet. Für manche ist es eine Tatsache, die sie von Geburt an begleitet, für andere wie mich ist es ein sicherer Hafen und der Ausdruck einer innigen Verbundenheit. Da nimmt man auch gerne die löchernden Fragen israelischer Grenzbeamter in Kauf!

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