Zickenkrieg und Ziegenhirte

Auch ohne „Jewfacing“ unverwechselbar: Helen Mirren genehmigt sich als Golda Meir im Biopic „Golda“ eine substanzielle Auszeit. © Courtesy Everett Collection / Everett Collection / picturedesk.com

Warum darf Helen Mirren nicht die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir spielen, obwohl doch bereits US-Präsident Ronald Reagan als Cowboy aufgetreten ist? Und was hat das jetzt miteinander zu tun? Ronni Sinai und Nathan Spasić liefern wie immer die nötige Erklärung.

Ronni: Jingele, wir müssen reden …

Nathan: Klingt dramatisch. Nu?

Ronni: Über Jewfacing.

Nathan: Was ist das schon wieder? Wenn das der letzte Schrei der ästhetischen Chirurgie sein soll, ohne mich, mein Ponem is jiddisch genug.

Ronni: Aber nein, die britische Schauspielerin Helen Mirren soll als Schickse nicht Golda Meir spielen dürfen! Das wäre nämlich Jewfacing, zu Deutsch Aneignung.

Nathan: Das gibt es doch nicht! Aber neu ist es nicht wirklich. Es sind die alten Forderungen der Rechtsextremen, nur in einem neuen Gewand. Nämlich darf man, laut Auffassung dieser Wahnsinnigen, Kulturen nicht vermischen. Denn sonst wäre es „cultural appropriation“. Im Umkehrschluss also: Juden, bleibt bei eurem gefilte Fisch! Engländer, fresst euren Kidney Pie! Nun, wo kämen wir da nur hin, wenn die Mehrheit so denken würde?

Ronni: Langsam weiß ich eh nicht mehr, wo links und rechts ist – politisch gesehen, meine ich. Mir dünkt, die streiten sich förmlich um die Themenführerschaft bei den heiklen Fragen. Übrigens blöd nur, dass ich halt leider nicht Moshe Dayan spielen darf.

Nathan: Weil du kein Schauspieler bist!

Ronni: Nein, weil ich nicht auf einem Auge blind bin.

Nathan: Das stimmt, das bist du wirklich nicht. Wenn es nach den Jewfacing-Experten ginge, könntest du wohl keinen israelischen Staatschef spielen. Du bist einzigartig! Nicht einmal für Yitzhak Rabin reicht es. Was machen nur solche Unikate wie du? Eine Schauspielkarriere wäre jedenfalls dahin. Ich hingegen, das wird mir nachgesagt, soll mich optisch zumindest als junger Stalin eignen. Wobei ich nicht wirklich stolz darauf bin.

Ronni: Nu, junger Stalin … Eher junger Yassir Arafat oder ein Ziegenhirte in der ägyptischen Pampa. Das wäre dann wohl Moslemfacing? Aber so kommen wir nicht weiter, mein Lieber. Ich könnte den Messias spielen, den kennt keiner und niemand könnte sich aufregen, was meinst du?

Nathan: Ja, tolle Idee, auf den kann man aber noch lange warten. Ghostfacing also? Ich fürchte, du hast recht: So kommen wir nicht weiter. Weißt du, die Sache mit Helen Mirren lässt mich nicht los. Blackfacing verstehe ich, finde ich auch falsch. Es ist aber nicht so, als würde sich Mirren mit stereotypisch jüdischen Attributen maskieren.

Ronni: Oj Gewalt! Die lange Nase und die Hypochondrie? Aber man vermutet, es steckt anderes dahinter. Mirrens jüdische Schauspielerkollegin Maureen Lipman hat die Rolle nicht gekriegt und ist sauer. Sie hat angeblich die Diskussion ins Rollen gebracht und meinte, Mirren sei nicht jüdisch genug für die Rolle. Also eher Zickenkrieg als politische Agitation?

Nathan: Somit dürfte man ja nur sich selbst spielen. So wie der 2019 gewählte ukrainische Präsident Selenskyj, der ja in Diener des Volkes, der ukrainischen Interpretation der US-Serie House of Cards, den ukrainischen Präsidenten spielte. Seine Partei – die sich übrigens den Namen mit der Serie teilt – gewann bekanntlich die Präsidentschaftswahlen. Anderes Beispiel ist der Polit-Quereinsteiger Ronald Reagan.

Ronni: Selenskyj soll in seiner Antrittsrede gesagt haben, er habe einen großen Vorteil als Präsident, er habe nämlich keine Erfahrung in der Politik. Der Humor ist dem ehemaligen Kabarettisten jüdischer Abstammung allerdings längst abhanden gekommen. Na ja, und Trump? Er wollte die USA als Konzern regieren, wie ein CEO es tut. Nun können wir auch darüber diskutieren, ob etwa Reagan besser als Schauspieler oder als Präsident war. Ich denke, er war schon ein schlechter Schauspieler. 1984 scherzte er off the record in einem Soundcheck „We begin bombing in five minutes“, bezogen auf die Sowjetunion. Dies aber schon als Präsident der USA.

Nathan: Ob Schauspieler Politiker werden sollen – ich weiß es nicht. Wobei Politiker in der Regel gewissermaßen Schauspieler sind, jedoch meistens schlechte. Die Inszenierungen von Kanzler Nehammer oder Emmanuel Macron sind kein Vergleich zu den pompösen Events von Beppe Grillo in Italien. Vielleicht haben Quereinsteiger den Vorteil, dass sie mangels langjähriger politischer Erfahrung authentischer wirken. Sie bringen allenfalls frischen Wind. Der bereits erwähnte Satiriker Beppe Grillo schaffte es mit seiner populistischen Fünf-Sterne-Bewegung bei den italienischen Parlamentswahlen 2013 auf den ersten Platz.

Ronni: Ok, ich überlege, ob ich zuerst Schauspieler werden soll und nach meinem Scheitern als solcher dann Politiker. Oder lieber umgekehrt? Wobei ich als Schauspieler nach meiner politischen Karriere mein eigenes Scheitern filmisch realistisch darstellen könnte, also eben kein Politicianfacing. Oh ja, ich wäre verdammt gut darin! Viel Zeit bleibt mir nicht mehr zum Überlegen, aber dir vielleicht, Jingele. Wie sieht es aus? Und keine Ausreden bitte!

Nathan: Strategisch ergibt es mehr Sinn, zuerst Schauspieler und anschließend Politiker zu werden. Ich fühle mich nicht berufen, Politiker zu werden. Und Schauspieler haben oftmals ein schweres Schicksal, um das ich sie nicht beneide. Arnold Schwarzenegger ist aktiver Politiker, und da bist du weitaus jünger. Oder Clint Eastwood, der 1986 sogar zum Bürgermeister seines Heimatortes Carmel gewählt wurde … und sich über zehn Jahre lang hielt. Vielleicht wäre eine Politkarriere also doch etwas für dich?

Ronni: Nu, du machst mich unsicher. Allerdings stellt sich die Frage, für welche Partei ich antrete. ÖVP? Der Schmid Thomas kann mir nicht mehr helfen. Außerdem liebt er mich wahrscheinlich nicht. SPÖ und Wiener Bürgermeister? Dafür bin ich zu schlank und vertrage keinen Alkohol. Die FPÖ eventuell? Nein, das wäre Verdacht auf Nazifacing. Eigene Partei gründen? Die NU-Bewegung! NU stünde in diesem Fall für „Nu, was soll ich tun?“

Nathan: Wie auch immer, eines ist gewiss: Ich stünde lieber in deinem Schatten als an der vordersten Front. Als dein Pressesprecher vielleicht? Propaganda im vorletzten Wort wäre dir jedenfalls sicher.

Ronni: Ein Mann, ein vorletztes Wort, ich verlass mich auf dich! Und denk daran, stets unsere Chats zu löschen – falls man in meinem nächsten Leben noch über Smartphones chattet.

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