Wo noch immer Ladino gesprochen wird

von Mary Kreutzer und Thomas Schmiedinger (Text und Fotos)

Inmitten der Altstadt von Sarajevo, wo nach der Aufnahme der aus Spanien vertriebenen Sepharden das neuzeitliche jüdische Viertel lag, befindet sich heute das jüdische Museum von Sarajevo. Die älteste Synagoge des Landes, die „Große Synagoge“ von 1581, beherbergt nicht nur einen der schönsten jüdischen Gebetsräume von Sarajevo, sondern auch eine interessant zusammengestellte Tour durch die jüdische Geschichte der Stadt und des Landes. In verschiedenen bosnischen Städten existierten vermutlich bereits vor der Vertreibung der Juden aus Spanien kleinere jüdische Gemeinden. Der Großteil des bosnischen Judentums stammte jedoch, wie viele Juden des damaligen Osmanischen Reiches, aus Spanien. Nach der Eroberung des letzten muslimischen Reiches in Granada wurden die spanischen Juden von den „katholischen Königen“ vertrieben und großteils in der islamischen Welt aufgenommen. So kam im 16. Jahrhundert auch eine neue Sprache nach Bosnien. So beherrschen Teile der jüdischen Bevölkerung Sarajevos das Ladino der spanischen Juden bis heute.

Die Ausstellung beginnt mit der Synagoge im Erdgeschoß und wird dann über zwei Galerien fortgesetzt. Inmitten der Synagoge – für besondere Anlässe auch noch als solche in Verwendung – wird in einer Glasvitrine eine Kopie der berühmten Haggadah von Sarajevo präsentiert. Diese gilt als eine der ältesten Haggadahs der Welt, wurde vermutlich im 14. Jahrhundert in Spanien verfasst und von den aus Spanien vertriebenen Juden nach Sarajevo mitgebracht. Bis 1894 befand sie sich im Privatbesitz einer bürgerlich- jüdischen Familie, die sie dem Bosnischen Nationalmuseum vermachte, wo sie bis heute aufbewahrt wird. Eine besondere zusätzliche Bedeutung erhielt die Haggadah von Sarajevo jedoch durch ihre Rettung während der deutschen Besatzung Bosniens, als sie in einer Dorfmoschee versteckt worden war. Die Rettung dieses bedeutenden jüdischen Buches durch bosnische Muslime steht seither symbolisch für das gute Verhältnis von Muslimen und Juden in Bosnien.

Bosnien-Herzegowina ist heute einer der wenigen Staaten weltweit, wo Synagogen keines Polizeischutzes bedürfen. Auch vor dem jüdischen Museum sind keinerlei Sicherheitsvorkehrungen nötig. Die bosnischen Muslime sind stolz auf ihr „kleines Jerusalem“, wie Sarajevo aufgrund der gemeinsamen Existenz von Muslimen, Juden, orthodoxen und katholischen Christen oft genannt wird. Die jüdische Gemeinde schrumpfte zwar nicht nur durch die Shoah, sondern auch während des Krieges und der Belagerung Sarajevos von 1992 bis 1995, stellt aber bis heute einen integralen Bestandteil dieser Stadt dar, auf den sich die BewohnerInnen Sarajevos – unabhängig von ihrer eigenen Konfession – immer wieder positiv beziehen. Als kleinste Gruppe hatten die bosnischen Juden auch keinen Anteil am Bürgerkrieg und spielen damit teilweise bis heute eine gewisse Mittlerrolle zwischen den großen Konfessionen. Jedoch repräsentieren Letztere zugleich die „staatsbildenden“ Konfessionen. Gemäß der derzeit geltenden Verfassung sind bestimmte Ämter in der Post-Dayton-Staatsarchitektur für diese reserviert. Das schließt Juden automatisch aus (siehe dazu das Interview mit dem Hohen Repräsentanten der internationalen Staatengemeinschaft für Bosnien-Herzegowina, Valentin Inzko).

Im Erdgeschoß des Museums sind neben der Synagoge und der Kopie der Haggadah eine Reihe von liturgischen Gegenständen zu sehen, darunter eine Menorah, Gebetsbücher oder Tefillin. Weiters sind Fotos von ehemaligen und gegenwärtig noch existierenden Synagogen Bosnien- Herzegowinas ausgestellt. Die meisten dieser Synagogen waren sephardische Gebetshäuser. In Sarajevo selbst lebt seit der Annexion Bosniens durch Österreich auch eine aschkenasische Minderheit, deren Synagoge heute die Hauptsynagoge der geschrumpften Gemeinde darstellt. Sephardim und Aschkenasim halten dort heute gemeinsam ihre Gottesdienste ab.

In einer Vitrine sind Fotos von der Eröffnung des ursprünglichen jüdischen Museums von 1966 ausgestellt, als auf Initiative des damaligen Leiters der jüdischen Gemeinde, Jozef Konforti, erstmals eine Ausstellung zum vierhundertsten Jahrestag der Ankunft der Sepharden in Bosnien zustande kam.

Auf der ersten Galerie geht es weiter mit einer Sammlung profaner Gegenstände, die das Alltagsleben der bosnischen Jüdinnen und Juden sichtbar machen. Die jüdischen Gemeinden werden damit nicht bloß auf religiöse Gemeinschaften reduziert, sondern deren Mitglieder auch als Handwerker oder Mitglieder diverser Vereine, als Träger unterschiedlichster politischer und gesellschaftlicher Aktivitäten dargestellt. Ein Apothekergeschäft mit einer Sammlung von Kräutern wird nachgestellt. Kleidung und andere Alltagsgegenstände geben einen Einblick über das Leben von Jüdinnen und Juden im Sarajevo des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Schließlich werden auch einige künstlerische Arbeiten gezeigt, wobei die Linolschnitte von Daniel Ozmo sicher zu den beeindruckendsten zählen. Ozmo, der im ländlichen Olovo in eine arme Familie hineingeboren wurde und in Sarajevo aufwuchs, studierte in Belgrad Malerei und wurde schließlich eines der wichtigsten Mitglieder der Jüdischen Arbeitergesellschaft „Matatja“ und der Gesellschaft Progressiver Künstler „Collegium Artisticum“. Die Arbeiten des 1942 im Konzentrationslager Jasenovac ermordeten Künstlers stellen den Menschen als Teil des kapitalistischen Produktionsprozesses dar, nehmen aber auch immer wieder lokale und regionale Bezüge der ländlichen Bevölkerung und ihrer schwierigen Arbeits- und Lebensverhältnisse auf. In der zweiten Galerie werden schließlich die faschistische Herrschaft der Ustascha und der deutschen Besatzung Bosniens thematisiert.

In einem großen Gedenkbuch werden die Namen von 12.000 Opfern von Deutschen und Ustascha festgehalten, die den Zweiten Weltkrieg in Bosnien nicht überlebten. Die Häftlingsuniform von Mira Papo, einer Gefangenen von Ravensbrück, sowie Armbänder und Abzeichen, die die Jüdinnen und Juden zu tragen gezwungen wurden, werden ebenso ausgestellt wie Fotos von Deportierten, Toten und Überlebenden. Jüdinnen und Juden werden jedoch nicht nur als wehrlose Opfer gezeigt. Die Ausstellung legt viel Wert auf den Beitrag, den jüdische WiderstandskämpferInnen – mit und ohne Waffe in der Hand – für das neue sozialistische Jugoslawien und gegen die Herrschaft der Ustascha und die deutsche Besatzung leisteten. Rund 800 Jüdinnen und Juden aus Bosnien-Herzegowina nahmen aktiv am Nationalen Befreiungskrieg in den Reihen der Partisanenarmee unter Josip Broz Tito teil. 246 von ihnen ließen in diesem Befreiungskrieg ihr Leben. Ihnen wird zum Abschluss dieser Ausstellung ein würdiges Denkmal gesetzt.

JÜDISCHES MUSEUM
Jewish Museum of
Bosnia-Herzegovina
Adresse:
Velika Avlija
Tel.: 011/387/33-535-688
Öffnungszeiten: täglich außer
Samstag 10 bis 17 Uhr

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