„Wir sind alle gefordert, uns einzumischen und ,Nein‘ zu sagen“

Isabelle Daniel mit israelischen Soldaten an der Grenze zum Gazastreifen, Israel 2014. © BRUNA

Von Gerhard Jelinek

NU: Sie haben nach dem Terrorangriff auf Israel einen Leitartikel unter dem Titel „Wir sind Israel“ geschrieben. Warum?
Isabelle Daniel:
Ich habe schon seinerzeit nach dem Angriff auf das World Trade Center geschrieben „Wir sind alle New York“. Ich habe das Gleiche geschrieben beim Angriff auf Charlie Hebdo in Paris. Für mich macht es keinen Unterschied, wo ein islamistisches Terrorattentat stattfindet. Mir war rasch klar, dass ein Terrormassaker in Israel von vielen anders gewertet werden würde, als ein Terrormassaker bei uns.

Warum glauben Sie, dass es hier eine andere Einstellung und Wertung gibt?
Weil sich viele nicht auskennen und Palästinenser und Hamas vermischen. Viele verstehen nicht, oder wollen nicht verstehen, dass die Hamas dieselbe islamistische Ideologie hat wie IS oder al-Kaida. Viele glauben, da ginge es um einen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis. Ich habe am 7. Oktober in die Telegram-Channels der Hamas geschaut, leider. Ich habe gesehen, wie sie in die Häuser eingedrungen sind. Ich habe die blutverschmierten Gitterbettchen gesehen, habe gesehen, wie sie auf Leichen trampeln und was sie mit Frauen gemacht haben. Das ist übelster, bestialischer Terrorismus. Die Opfer waren israelische Zivilisten, Menschen, die immer versucht hatten, Gaza zu helfen. Und das hatte genau nichts mit militärischen Zielen oder der israelischen Politik zu tun.

Dazu kam auch der Angriff auf das Musikfestival.
Wie in Paris, die Islamisten hassen die Art, wie wir leben. Partypeople und Musik sind für sie ein enormes Feindbild.

Sie halten sich mit Ihrer Meinung auch auf den Social-Media-Plattformen nicht zurück und riskieren damit bewusst aggressive Kommentare.
Ja, gerade bei außenpolitischen Themen verschweige ich nicht, dass ich eine „Transatlantikerin“ bin. Das kommt weder bei Rechtsaußen noch bei Linksaußen gut an. Die Positionierung für Israel und sein logisches Recht auf Selbstverteidigung polarisiert gleichermaßen in beiden Gruppen.

Warum treffen sich Extreme auf beiden Seiten in diesem Punkt?
Das ist seit der Staatsgründung Israels so. Es gibt einen linken und einen rechten Antisemitismus. Ein jüdischer Staat ist für beide das Feindbild per se. Bei den Linken kommt dazu, dass sie Israel immer mit den USA assoziieren. Da kommt dieser Antiimperialismus dazu. Schon in den 1960er Jahren haben die RAF und ihre Absplitterungen mit palästinensischen Terroristen zusammengearbeitet, gemeinsame Flugzeugentführungen geplant. Dass Rechtsextreme und Neonazis Israel hassen, ist selbsterklärend.

Auch in Österreich gibt es ja an manchen – angeblich progressiven – Universitäten und Instituten eine Verquickung von Antiimperialismus, Antikolonialismus und einer antisemitischen Haltung. Und es ist erschütternd, was auf amerikanischen Universitäten passiert.
Genau, aber dahinter steckt auch ein starker Antiamerikanismus. Das ist alles sehr vernetzt. Es gibt Geheimpläne der Hamas, US-Universitäten zu infiltrieren. Es gab spezielle Stipendienprogramme für Palästinenser. Uniprofessoren wurden ernannt, von denen man wusste, welche Schlagseite sie haben. Ich war selber an der Columbia Universität und weiß daher, dass die Studenten und Studentinnen mit einer Schulbildung an die Universität kommen, die mit unserem Allgemeinwissen nicht vergleichbar ist. Die politische Bildung und das Wissen sind nicht sehr hoch. Die Studierenden kippen da rasch in politische Agitation hinein, weil sie den Unterschied zwischen den Terroristen der Hamas und den Palästinensern nicht verstehen. Und wenn sie „From the river to the sea“ schreien, wissen sie nicht einmal, um welchen Fluss und welches Meer es geht. Schon gar nicht kennen sie die historische Geschichte der Entstehung Israels.

In den 1980er Jahren war es mancherorts schick, mit dem Palästinenserschal zur Vorlesung zu gehen. Kann man diesen diffusen Antizionismus mit Antisemitismus gleichsetzen?
Das muss man unterscheiden. Es muss nicht jeder ein Zionist sein, aber der Begriff „Zionist“ wird ja sehr häufig verwendet, um Juden zu meinen. Wenn Sie gegen die israelische Regierung sind oder die israelische Regierungspolitik kritisch sehen – das mache ich auch –, dann ist das kein Antisemitismus. Man kann jede Regierung der Welt kritisch sehen. Das Problem beginnt, wenn Israel anders bewertet wird als ein anderes Land, weil es eben ein jüdischer Staat ist. Das sind dann „double standards“. Wenn ich das Recht Israels auf Selbstverteidigung extra betonen muss, zeigt es ja schon, dass etwas schiefläuft.

Mir scheint vor allem, dass im öffentlichen Diskurs etwas schief läuft. Die Bilder von verletzten Kindern in Gaza sind zwar furchtbar, aber es fehlt meist der Kontext. Die Verantwortung der Hamas für das Leid der Palästinenser wird ja kaum thematisiert. Hier hält ja eine Terrororganisation das „eigene“ Volk in Geiselhaft.
Solange man nicht versteht, dass ein Krieg gegen eine Terrorgruppe etwas anderes ist als ein Krieg gegen einen Staat, wird man die öffentliche Wahrnehmung nicht ändern können. Die Hamas verwendet ihre eigene Bevölkerung als Geisel. Es gibt klare Beweise dafür, dass die Hamas möglichst viele Kinder, Frauen und Alte opfern möchte, um mit diesen Bildern die Stimmung in der Welt für die Auslöschung Israels zu mobilisieren.

Israel verliert den Propagandakrieg?
Israel konnte den Propagandakrieg nie gewinnen, das war schon ab dem 7. Oktober klar. Die Geheimdienste Russlands, des Irans und der Türkei haben ab dem 8. Oktober eine große Desinformationskampagne begonnen, und China via TikTok. Israel war in jeder Hinsicht überrascht von diesem Terrorangriff und dadurch im Hintertreffen. Es hat gezielt begonnen und sich dann verselbstständigt. Das ist ja mit allen Kampagnen so. Man muss das Thema zuerst triggern und mit Fake News arbeiten, dann läuft es alleine. Da werden Bilder vom Krieg in Syrien als Bilder aus dem Gazastreifen verkauft.

Man kann die Echtheit von Bildern ja auch kaum überprüfen, mit zunehmendem Einfluss von KI wird das noch schwieriger.
Das wird noch viel schlimmer werden. Der Kern des Antisemitismus ist, wenn man Jüdinnen und Juden dafür verantwortlich macht, was die Regierung in Israel tut oder nicht tut. Ein jüdischer New Yorker kann genauso wenig wie ein jüdischer Pariser, ein jüdischer Wiener oder Berliner für die Handlungen der israelischen Regierung. Das passiert aber permanent. Wenn an der Columbia oder Yale jüdische Studenten und Studentinnen daran gehindert werden, die Hochschule zu betreten, dann sollten gerade wir uns erinnern, welche Bilder es hier in Wien in den 1930er Jahren gegeben hat. Das halte ich für eine Schande. Und da sind wir alle gefordert, uns einzumischen und Nein zu sagen.

Isabelle Daniel ist Politik-Chefredakteurin und Moderatorin bei „Oe24“.

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