Nikolaus Lutterotti (50) ist seit März vergangenen Jahres österreichischer Botschafter in Israel. Ein Gespräch über die Beziehungen zwischen den Ländern, den schleppenden Nahost-Friedensprozess und israelische Fahnen im österreichischen Fansektor.
Von Danielle Spera
Die Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2019, die es Nachfahren von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus ermöglicht, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten, hat vor allem in den USA und Israel zu einer Welle an Anträgen geführt. Allein in Israel wurden seither 8.820 Anträge positiv erledigt. Das Gespräch mit dem österreichischen Botschafter in Israel, Nikolaus Lutterotti, fand am Rande einer solchen Zeremonie für Menschen zwischen acht und achtzig statt, deren Eltern und Großeltern 1938 aus ihrer Heimat flüchten mussten.
NU: Mit welchem Gefühl führen Sie als österreichischer Botschafter in Israel diese Zeremonien durch?
Nikolaus Lutterotti: Es ist immer ein erhebender Augenblick, mitzuerleben, wieviele Israelis, Nachfahren von Opfern des Nationalsozialismus, die Staatsbürgerschaft wieder beantragen. Ich dachte nicht, dass sich tatsächlich so viele Menschen dafür entscheiden. Für sie alle ist es ein wichtiger emotionaler Moment, um an ihre zumeist sehr berührende Familiengeschichte anzuschließen. Ich frage dann immer, ob es ein schwieriger Schritt war, den Antrag zu stellen. Für viele ist es nicht leicht, und es gibt unterschiedliche Auslöser. Die Verbesserung der bilateralen Beziehungen Österreichs mit Israel, diese bewusste politische Entscheidung, auf Israel mehr zuzugehen, ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass viele Israelis nun eine sehr positive Verbindung mit Österreich haben und deshalb bereit waren, die Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen.
Gibt es Momente, die sich eingeprägt haben?
Heute habe ich einen älteren Herrn gefragt, ob es für ihn eine schwierige Entscheidung war. Er meinte, es sei nicht einfach gewesen, hat aber folgende Erzählung zum Besten gegeben: 2019 ist er mit israelischen Freunden zum Fußballmatch Österreich–Israel nach Wien gereist, im Gepäck eine große Israel-Fahne. Im Stadion angekommen, ist er zufällig mitten im österreichischen Fan-Sektor gelandet, und er war besorgt, dass er dort nicht willkommen sein würde, vor allem mit der israelischen Fahne. Er erzählte, es sei unglaublich gewesen, wie respektvoll er von den österreichischen Fans behandelt wurde. Sie hätten die israelische Hymne und auch die israelische Fahne im Sektor akzeptiert. Das war für ihn ein Schlüsselmoment. Dadurch hatte er das Gefühl, dass sich in Österreich etwas verändert hat.
Die Beziehungen zwischen Österreich und Israel waren über Jahrzehnte schwierig. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es im Gegensatz zu Deutschland nur schleppende Restitution. Später machte der österreichische Bundeskanzler Kreisky die palästinensische Befreiungsorganisation PLO politisch salonfähig, mit Kurt Waldheim wählte Österreich einen Bundespräsidenten, der seine Rolle in der NS-Vergangenheit verschwiegen hat. Österreich fühlte sich über Jahrzehnte in der Rolle des Opfers des Nationalsozialismus ausgesprochen wohl. Erst 1992 hat Bundeskanzler Vranitzky Österreichs Mitverantwortung an den Naziverbrechen einbekannt. War das der Beginn einer Verbesserung der Beziehungen?
Es war ein wichtiger Moment. Damals hat ein Prozess begonnen, bei dem wir uns mit unserer eigenen Geschichte sehr ehrlich auseinandergesetzt haben. Israel konnte in den letzten Jahrzehnten erkennen, dass wir nicht nur unser Narrativ ändern, sondern auch tatsächlich etwas in Bewegung setzen. Dabei waren ein paar Dinge ganz entscheidend, zum Beispiel die Namensmauer, die in Wien errichtet wurde. Ich war selbst überrascht, welche Resonanz das in Israel hatte. Zum ersten Mal gibt es in Österreich eine Gedenkstätte, auf der alle jüdischen Opfer des Nationalsozialismus mit Namen genannt sind, zu der Menschen hingehen und den Namen ihrer ermordeten Verwandten sehen können. Das war enorm wichtig. Auch die Staatsbürgerschaftsnovelle ist eine wichtige Geste, die viele Menschen annehmen. Und die Vorreiterrolle, die Österreich in den letzten Jahren im Kampf gegen den Antisemitismus nicht nur auf österreichischer Ebene, sondern auch international eingenommen hat, wird unserem Land hier sehr hoch angerechnet.
Wird man in Israel als österreichischer Botschaft in erster Linie auf die Schoa angesprochen?
Ich habe keinen einzigen Moment erlebt, in dem mir unsere Geschichte vorgehalten oder mir verübelt wurde, dass ich Österreicher bin. Das ist nicht mehr der Fall. Ich glaube dennoch, dass man aufpassen muss und das Thema nicht als erledigt betrachten darf. Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder zu unserer Geschichte bekennen und wir die Maßnahmen im Kampf gegen Antisemitismus fortsetzen und weiterentwickeln. Das wird hier in Israel sehr genau registriert. Aber ich würde sagen, unsere Beziehungen haben sich entkrampft und erweitert. Diese guten Beziehungen zu pflegen und auf eine breitere Basis zu stellen, sehe ich auch als meine Aufgabe.
In den Medien wird meist kein positives Bild von Israel gezeichnet. Gezeigt werden Terroranschläge oder auch Militäreinsätze im Westjordanland. Da wird man oft gefragt, wie man eigentlich angesichts dieser Gefahr nach Israel reisen kann.
Es macht einen Unterschied in der Wahrnehmung, ob man in Israel lebt oder die Situation aus Österreich betrachtet. Israel ist ein Land, das in einer permanenten Krisensituation lebt und unter permanenter Bedrohung steht. Gleichzeitig ist Israel ein sicheres Land; ein Land, mit dem wir regen Austausch pflegen, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, aber vor allem auch im Tourismus. In der letzten Zeit ist die Situation mit den Palästinensern wieder angespannter, es gab und gibt vermehrt Anschläge durch Palästinenser, Anti-Terroreinsätze der Israelis und viele Opfer auf beiden Seiten. Das Klima spitzt sich zu, wir beobachten das genau. Man sollte daher auch nicht leichtfertig nach Israel reisen. Aber grundsätzlich ist Israel ein spannendes, vielfältiges, wunderbares Land, das man unbedingt besuchen soll. Man sollte nur vor der Reise die Situation genau beobachten.
Wie beurteilen Sie die Möglichkeit eines Friedensprozesses?
Ich bin Diplomat und von Natur aus Optimist. Es gibt immer eine Chance für einen Friedensprozess. Derzeit besteht aber eine Konstellation, die es nicht wahrscheinlich erscheinen lässt, dass der Friedensprozess rasch wieder aufgenommen wird. Aber ich glaube, in der internationalen Politik gibt es oft rasante Veränderungen und neue Dynamiken. Daher ist es durchaus vorstellbar, dass sich etwas bewegt. Derzeit hat das aber keine große Priorität – weder bei den Israelis noch bei den Palästinensern und auch nicht in der internationalen Gemeinschaft.
Die neue Regierung hat wesentliche Einschnitte vor, die die Demokratie in Israel in Gefahr bringen könnten.
Als Diplomat kommentiere ich die israelische Innenpolitik nicht. Aber natürlich verfolgen wir die Situation genau. In Israel herrscht eine lebhafte Auseinandersetzung über die Pläne der neuen Regierung. Hier existiert eine sehr engagierte Zivilgesellschaft. Jede Woche gehen Hunderttausende auf die Straße. Das zeigt, dass die Demokratie stark verankert ist und gelebt wird. Es zeigt aber auch die große Sorge in der Bevölkerung über die vorgeschlagene Justizreform.
Was wünschen Sie Israel zum Geburtstag?
Viel Erfolg, wirtschaftliche Prosperität, dass die unglaublich positive Dynamik zwischen Israel und Österreich genauso weitergeht und vor allem eine Zukunft in Frieden.