Das politische Netzwerk Transatlantic Friends of Israel (TFI) tritt für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Israel und der EU ein. Ein Gespräch mit dem Europaabgeordneten und TFI-Leiter Lukas Mandl (ÖVP) über Möglichkeiten und Chancen.
Von Michael J. Reinprecht
Das Verhältnis zwischen Israel und der EU ist trotz enger wirtschaftlicher Verknüpfung getrübt. Israel klagt über die einseitige Sicht der EU, die Israels Politik in den „besetzten Gebieten“ als nicht mit internationalem Recht vereinbar und die neue US-Nahost-Initiative als nicht nützlich betrachtet. Oder, wie es Daniel Schwammenthal, Direktor des Brüsseler Büros des American Jewish Committee (AJC), voriges Jahr im NU-Interview formulierte: „Brüssel sieht Israel als Täter und die Palästinenser als Opfer.“ Besonders krass ist die Stimmung dazu im Europäischen Parlament: Kritik an Israel geht hier mit antisemitischen Reflexen Hand in Hand, die als solche schwer auszumachen sind. Der israelische Historiker Gadi Taub fand dazu vor ein paar Wochen in der Zeit drastische Worte: „Hat Europa uns je geholfen? Hat Europa uns je gerettet? Trotzdem wagen sie es, uns Predigten zu halten. Zur Hölle mit ihnen!“
Diesem Trend gegenzuhalten ist das Ziel einer überparteilichen Gruppe von Europa-Parlamentariern, die sich Transatlantic Friends of Israel (TFI) nennt. Gegründet im Sommer 2019 mit dem AJC Transatlantic Institute in Brüssel, haben sich ihre Mitglieder unter der Führung des österreichischen Europaabgeordneten Lukas Mandl (ÖVP) als Netzwerk etabliert und die Verteidigung der westlichen Werte sowie der gemeinsamen Sicherheitsinteressen von Europa, Israel und den USA an ihre Fahnen geheftet.
NU: Im Europäischen Parlament beschäftigen sich institutionell der außenpolitische Ausschuss und bilaterale Delegationen mit dem Nahostkonflikt. Wie ist die Zusammenarbeit der TFI mit den offiziellen EU-Gremien?
Lukas Mandl: Das Europäische Parlament unterhält mit fast allen Ländern der Welt Delegationen, selbstverständlich auch mit Israel – und diese Arbeit ist wichtig. Zusätzlich gibt es eine überparteiliche Gruppe von Parlamentariern, die mit einer klaren Haltung an die Sache herangeht. Also nicht nur mit dem Ziel der Beziehungspflege, die wichtig ist, sondern mit dem Ziel, dass Europa sich an der Seite Israels empfindet und das auch lebt – so wie Israel rein faktisch in Sachen Sicherheit, Innovation und Wirtschaft im Sinne der europäischen Werte an der Seite Europas steht. Und in diesem Punkt kann Europa auch viel von den USA lernen: Entweder man steht zu den Werten des politischen Westens, dann muss man sie gerade dann verteidigen, wenn einem der kalte Wind ins Gesicht bläst – oder nicht. Ich bin dafür, dass wir dazu stehen. Und dazu gehört ganz klar Israel als Alliierter auf diesem Weg des Einsatzes für die europäischen und universalen Werte der Menschenrechte und der Menschenwürde.
Sie erleben sicher, dass das Europäische Parlament, ja die Europäische Union als solche oft sehr kritisch gegenüber Israel ist, bzw. pro-palästinensisch. Auf der anderen Seite kann man nicht leugnen, dass es Probleme gibt.
Ja, ich bin aber dafür, dass Israel nicht mit anderen Standards gemessen wird als andere Staaten der Welt. Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat; übrigens der einzige im gesamten Nahen Osten. Und weil Israel ein demokratischer Rechtsstaat ist, gehören demokratische Entscheidungen genauso respektiert wie bei jedem anderen Rechtsstaat. Ich glaube, dass die kritische Haltung zu Israel, die es bei manchen Kolleginnen und Kollegen gibt, zum Teil auf Unwissenheit zurückzuführen ist. Unwissenheit ist aber keine Entschuldigung. Denn von Mitgliedern des Europäischen Parlaments ist zu verlangen, einen 360-Grad-Überblick zu haben, generalistisch zu denken und zu schauen. Und da muss man auch verstehen, wer im Sinne unserer Werte und unserer ureigensten Sicherheitsinteressen der Verbündete Europas ist. Und das ist Israel.
Da müsste es doch Aufgabe des TFI sein, gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen …
… Aufklärungsarbeit zu leisten. Das ist ein Teil unserer Arbeit: zu informieren, den Fokus der Aufmerksamkeit dorthin zu lenken. Es gibt sowohl offenen als auch versteckten Antisemitismus, der sich auch in Antizionismus ausdrückt, heute vielfach aus dem linken politischen Spektrum. Das sage nicht nur ich, sondern das hat das Europäische Parlament erst vor weniger als zwei Jahren so definiert und diese Form des Antisemitismus zu den anderen beiden Formen ergänzt. Denn zu dem alten, klassischen, hässlichen Antisemitismus, vielfach von rechts, ist jetzt auch der islamistische, auf dem Wege der Migration importierte, zu uns gestoßen. Das ist alles als Antisemitismus zu verstehen, der als solcher zu bekämpfen und unerträglich ist, wie dies auch Außenminister Schallenberg in Bezug auf den Iran formuliert hat. Und es ist in unser aller Interesse, sich dieser sehr wichtigen Aufgabe anzunehmen.
Wie soll das passieren?
Ich möchte nicht denselben Fehler machen wie die Vereinten Nationen, die Israel mit anderem Maß messen. In völlig absurder und geradezu paradoxer Weise wird hier Israel zum wiederholten Male mit Resolutionen kritisiert, während andere Teile der Welt ungeschoren bleiben. Denn Mehrheitsentscheidungen und die Mehrheiten in den Gremien der Vereinten Nationen richten sich ganz oft gegen Israel, und zwar gezielt – das ist eine Agenda, der wir nicht folgen. Deshalb ist es mir wichtig, dass auch im Regierungsprogramm klar steht, dass Österreich keine Doppelstandard-Beschlüsse gegen Israel in internationalen Organisationen unterstützen wird.
Wie ist Ihre Arbeitsbeziehung zum neuen Leiter der Israel-Delegation im Europäischen Parlament, dem spanischen Christdemokraten Antonio Lopez?
Hier gibt es eine sehr enge Zusammenarbeit. Wir agieren auch im Plenum gemeinsam und stimmen uns bei Abstimmungen ab. Wobei in keinem Fall Redundanzen entstehen oder die TFI-Gruppe der offiziellen Delegation etwas wegnehmen will, oder umgekehrt.
Ihr Engagement bei den TFI ist also komplementär zur EP-Arbeit?
Ja, genau.
Hat der neue Außenbeauftragte der EU, der spanische Sozialdemokrat und ehemalige EP-Präsident Josep Borrell, eine ähnlich israelkritische Haltung wie seine Vorgängerin Federica Mogherini?
Borrell ist sehr israelkritisch und generell kritisch gegenüber dem politischen Westen. Auf dieser Basis habe ich mir vom ersten Tag an das Ziel gesetzt, die parlamentarische Aufgabe sehr genau zu nehmen, die darin besteht, seine Arbeit zu kontrollieren und auch parlamentarische Initiativen zu setzen, um seine Arbeit in die richtige Richtung zu steuern.
Wie sehen Sie die Rolle Israel gegenüber den südlichen Nachbarn Europas?
Wir Europäer profitieren täglich vom Sicherheitsnetz Israels, das bis nach Nordafrika reicht. Es ist eines der großen Ziele der TFI, dass das alte Assoziierungs-Abkommen EU-Israel erneuert wird und dass zu diesem Zweck sein politisches Gremium, der Assoziierungsrat – der seit 2011 nicht mehr getagt hat – so rasch wie möglich wieder zusammentritt. Es ist ein schlechtes Zeugnis, das sich die EU damit selbst ausstellt.
Und Israels Entwicklung zu seinen unmittelbaren Nachbarn?
Ich habe eine App auf meinem Handy, die jedes Mal schreit, wenn wieder eine Rakete auf Israel fliegt. Es schreit sehr oft! Es ist also bitter notwendig, dass Israel sich um seine Sicherheit kümmert, besonders, weil die Raketen ja nicht auf Infrastruktur oder militärische Einrichtungen zielen, sondern auf die Zivilbevölkerung. Israel ist umgeben von Ländern, die es nicht gut meinen mit dem kleinen Staat. So ist es selbstverständlich, dass Israel sich so gut verteidigt, wie es eben geht. Mich beeindruckt, dass Israel in einem de facto Kriegs- bzw. Terrorzustand seit Jahrzehnten gleichzeitig Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildungssystem, Gesundheitssystem, Innovationszentren, Start-Ups und mehr aufgebaut hat. Vielleicht hätte ein anderer Staat mit einer ähnlichen Bedrohungslage entschieden, sich zuerst um die Sicherheit zu kümmern und dann die Zivilgesellschaft aufzubauen. Es wäre tragisch gewesen, hätte Israel das so gemacht. Denn dann stünde das Land nicht so gut da.
Für den Plan der israelischen Regierung, einen Teil der besetzten Westbank zu annektieren, hagelt es internationale Proteste, die sich auf völkerrechtliche Normen sowie eine Reihe von UN-Resolutionen berufen. Auch die EU hat dagegen protestiert, wiewohl manche Mitgliedstaaten – wie etwa Österreich – eine differenziertere Haltung dazu haben.
Einige in der EU haben völlig unangemessen reagiert. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn etwa verglich eine Option, die im Regierungsprogramm eines demokratischen Rechtsstaats wie Israel transparent genannt wird, mit dem völkerrechtswidrigen Vorgehen Russlands auf der Krim. Die Situation in Nahost ist doch so: Wenn die Terroristen und deren Hintermänner die Waffen niederlegen, ist Friede und es gibt vielleicht endlich eine Zweistaatenlösung. Würde Israel sich nicht mehr verteidigen, wäre es ausgelöscht, mit schlimmsten Folgen für seine Bürgerinnen und Bürger, für die Region, für die ganze Welt. Israel verteidigt Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ich verstehe den Punkt im israelischen Regierungsprogramm als Option, die uns allen zeigen muss, wie ernst die Lage ist. Vielleicht hilft das manchen, die Wichtigkeit Israels zu begreifen: für unsere Sicherheit, aber auch für Kultur, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ich verstehe die aktuelle US-Administration so, dass Benny Gantz einer Annexion zustimmen müsste, damit diese von US-Seite akzeptiert würde. Und ich verstehe auch die Regierungszusammenarbeit in Israel so. Ich vertraue Netanjahu und Gantz, dass sie verantwortungsvoll abwägen und entscheiden werden.
Sie kommen aus dem Bezirk Korneuburg, aus Gerasdorf, haben keine jüdischen Wurzeln. Was hat Sie dazu gebracht, sich so für Israel zu engagieren und dem Gift des Antisemitismus so entschieden entgegenzutreten?
Als Kind habe ich oft mit meinen Freunden auf einem verlassenen Feld gespielt, einer „Gstettn“, wie man bei uns sagt. Da waren auch Ruinen, und mein Vater hat den damaligen Bürgermeister gefragt, was dort einmal war: Es war ein Lager während des Holocaust. Diese Geschichte hat mich nicht losgelassen. Als ich dann Vizebürgermeister von Gerasdorf war, habe ich veranlasst, dass das aufgearbeitet wird. In Zusammenarbeit mit Fachleuten aus dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und dem Simon-Wiesenthal-Institut sowie aus der Akademie der Wissenschaften haben wir zu forschen begonnen. Es hat sich herausgestellt, dass dort 1944 jüdische Frauen und Kinder von den Nazis zur Zwangsarbeit festgehalten wurden. Es gab übrigens auch Widerstand gegen die Aufarbeitung. Alle Haushalte im Ort erhielten eine Postwurfsendung mit dem Titel „Mandl auf der Suche nach einem Lager“. Eineinhalb Jahre später war das Lager dokumentiert.
Das ist eine schöne Geschichte, vor allem, wenn man bedenkt, in wie vielen österreichischen Gemeinden es Neben- und Arbeitslager gab, ohne dass es die Bevölkerung oder wenigstens die Politik interessiert hätte.
Ich erachte es deshalb als selbstverständlich, dass man als Österreicher Antisemitismus bekämpft und mit offenen Augen durch die Welt geht. Es gilt, in Situationen, wo antisemitische Ressentiments aufkommen, sofort zu reagieren und die Dinge klarzustellen.