Wien – Stadt der Wissenschaft

Die Wiener Wissenschaftstage vom 29.September bis 7.Oktober 2005 stehen ganz im Zeichen von Wien als traditionellem und der Zukunft verpflichteten Kristallisationspunkt von Menschen und Regionen. Bundespräsident Heinz Fischer wird diese Festtage der Wissenschaft am 29.September eröffnen.
Von Peter Menasse

Am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts strömten hunderttausende Menschen in die Metropole Wien. Unter ihnen viele Juden, die vor den Pogromen im Osten flohen oder solche, die der Erste Weltkrieg aus den Shtetln in die Hauptstadt Österreich-Ungarns spülte. Sie kamen aus engen Verhältnissen. Die feindliche Umwelt in der Ukraine, in Russland und in Polen ließ keine sozialen Beziehungen außerhalb des eigenen Systems zu, die strengen Regeln der Religion beschränkten das freie Denken, die quälende Armut stand der persönlichen Entwicklung entgegen, auch wenn Juden seit jeher dem Lernen verpflichtet waren. Und dann Wien. Eine Stadt, in der sich die Welt traf, Schulen, Universitäten, frische Geistesluft. Eine Stadt als Kristallisationspunkt von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Schnittpunkt der Regionen, Zentrum Mitteleuropas. Viele der aus den Zwängen entkommenen jungen Juden nutzten die neue Weite der Möglichkeiten. Ihr Einfluss auf die Kultur, die Wirtschaft und die Wissenschaften der 1920er und 1930er Jahre ist bekannt. Als 1938 die Finsternis einbrach, mussten sie flüchten, wurden vertrieben oder ermordet. Der Aderlass war enorm. Während aus Österreich gebürtige Wissenschafter in den USA, in England und anderswo Karriere machten, ja Nobelpreise einheimsten, fehlten dem Land, das sich um ihre Rückkehr nicht bemühte, die Lehrer und Vorbilder. Wien hatte für Jahrzehnte seine Stellung als offene Stadt aufgegeben. Doch in den letzten Jahren hat sich die Stadt ihrer Rolle aufs Neue besonnen. Es werden von der Politik enorme Anstrengungen unternommen, Wien wieder zu einem Mittelpunkt der Wissenschaften zu machen. Nicht zuletzt, weil der Wiener Bürgermeister selbst von den Naturwissenschaften herkommt und weiß, dass der wirtschaftliche Erfolg Wiens nur dann gewährleistet ist, wenn hier Bereiche angesiedelt werden, die nicht in Billiglohnländer ausgelagert werden können, wie simple Produktionsabläufe. Die Wiener Wissenschaftstage vom 29. September bis 7. Oktober 2005 werden den Wienerinnen und Wienern einige Bereiche der in ihrer Stadt beheimateten Forschung näher bringen. Besonders spannend sollte gleich die Auftaktveranstaltung am 29. September um 18.30 Uhr im Volkstheater sein. Dort wird Bundespräsident Heinz Fischer die Wissenschaftstage eröffnen. Unter der Moderation der Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny wird dann eine prominente Runde der Frage nachgehen, wo Österreich in den letzten Jahrzehnten gestanden wäre und heute stünde, hätte es die Shoa nicht gegeben oder wären die exilierten Wissenschafter zurückgeholt worden. Die beiden Nobelpreisträger Eric Kandel und Walter Kohn, die in England lebende Historikerin Alice Teichova, der aus dem Exil nach Österreich zurückgekehrte Ökonom Kurt Rothschild und der Österreich-Korrespondent der “Neuen Zürcher Zeitung”, Charles Ritterband, werden sich unter dem Motto “Was wäre gewesen, wenn?” mit der Vergangenheit und den Perspektiven der Wissens-Stadt Wien befassen. Eine weitere Veranstaltung wird sich mit Wien als traditionellem und jetzt wieder neuem Mittelpunkt der Region befassen. Am 4.Oktober um 19 Uhr wird “Wien.Europa.Mitte” in der Halle E des Museums Quartiers zum Thema gemacht. Oscar-Preisträger Istvan Szabo (ein Interview mit ihm erschien zuletzt im NU 4/2004), die SchriftstellerInnen Eva Menasse, Arnon Grünberg, Rujana Jeger und Dragan Velikic werden unter der Moderation von Clarissa Stadler über ein kooperierendes Mitteleuropa als Chance diskutieren. Ein weiteres Highlight findet am 5. Oktober um 19 Uhr im MARX-Palast im dritten Bezirk statt. Dort kann man Wiens Bürgermeister Michael Häupl in einer Doppelrolle als Naturwissenschafter und Politiker erleben. Er wird mit dem Chemiker und Literaten Carl Djerassi über den Forschungsstandort Wien diskutieren. Helmut Brandstätter wird zum Thema “Was lockt die Forschung?” moderieren. Wer die beiden Diskutanten kennt, darf sich ein ebenso kluges wie launiges Gespräch erwarten. Alle Einzelheiten zu den Wiener Wissenschaftstagen samt einer Fülle von weiteren Veranstaltungen finden sich unter www.wiener-wissenschaftstage.at. Eine Programmbroschüre kann unter der e-Mail-Adresse office@wzw.at angefordert werden.

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