Der Brite Matthew Beard spielt in der britisch-österreichischen Krimiserie „Vienna Blood“ die Hauptrolle des jüdischen Ermittlers und Freud-Verehrers Max Liebermann. Die ersten Folgen wurden in Wien gedreht, nun fungiert Budapest als Wien-Double. Für Beard ist es der erste Besuch in der ungarischen Hauptstadt.
VON GABRIELE FLOSSMANN
Heute hier, morgen dort: So lässt sich das Leben von Schauspielern beschreiben. Filme und Serien entstehen meist an unterschiedlichen Drehorten. Das ist für den britischen Schauspieler Matthew Beard nicht anders. Als Hauptdarsteller der TV-Serie Vienna Blood (Regie: Robert Dornhelm, Umut Dağ) ist er bisher hauptsächlich in Österreich und Wien unterwegs, für die neuen Folgen nun auch in Budapest. „Ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich bei den verschiedenen Dreharbeiten machen durfte. Sie haben mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich konnte fantastische Menschen treffen, die ich, der Junge aus der nordenglischen Arbeiterklasse, sonst niemals hätte treffen können. Ich konnte eine Welt kennenlernen, die mir sonst verschlossen geblieben wäre. Ich hatte so viele Chancen, und schon deshalb würde ich nichts ändern wollen!“
Vor allem auch die Pandemie und deren negative Auswirkungen auf die berufliche Existenz haben ihn dankbar gemacht: „Mehrere Monate Arbeit, die vor mir lagen, sind von heute auf morgen verschwunden. Keiner meiner Freunde arbeitet gerade. Es ist schon ohne Pandemie ein harter Beruf, jetzt gibt es noch weniger Jobs. Ich habe Corona trotzdem als Chance verstanden, mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Die Prioritäten haben sich verschoben. Ich bin glücklich und froh, dass meine Familie und ich gesund geblieben sind. Dass ich einen Ort habe, an dem ich mich sicher fühle.“
Internationale Bekanntheit erlangte der 1989 in London geborene Beard bereits mit zwanzig Jahren: als schüchterner junger Mann namens Graham im oscarnominierten Film An Education. Als Mathematiker Peter Hilton machte er wenige Jahre später an der Seite von Benedict Cumberbatch im Spionagethriller The Imitation Game auf sich aufmerksam. Und nun zieht er als Psychiater und Kriminologe Max Liebermann in Vienna Blood mit bubenhaftem Aussehen und elegantem Auftreten die Aufmerksamkeit auf sich.
Das reale Vorbild für die Figur war einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Impressionismus, der Maler Max Liebermann, der als Jude und aufrechter Deutscher im Jahr 1933 aus Protest gegen die Gleichschaltungspolitik der Nationalsozialisten die Kunstakademie verließ. Entsetzt über die Nazi-Umtriebe, verbrachte er die zwei verbleibenden Jahre bis zu seinem Tod zurückgezogen in Berlin. Ihm setzte der Londoner Psychiater und Schriftsteller Frank Tallis mit seinen Max-Liebermann-Krimis ein Denkmal. Allerdings ist dieser literarische Liebermann – wie der Autor selbst – Freudianer, der seine psychoanalytischen Fähigkeiten auch zur Aufklärung spektakulärer Mordfälle einsetzt.
Und diesen als England stammenden Juden, der von Sigmund Freuds Theorien geradezu besessen ist, spielt Matthew Beard mit großer Leidenschaft: „Ich habe mich immer schon für Psychologie und Psychoanalyse interessiert. Ich habe englische Literatur studiert und für viele meiner Essays Methoden aus der Psychoanalyse verwendet. Ich weiß also viel über Psychologie. Ich weiß nicht, ob ich etwas über mich gelernt habe, aber ich verbringe viel Zeit damit, meine Träume zu analysieren.“ Also sind Schauspieler in Wahrheit eigentlich Psychologen? Beard lacht zustimmend: „Ja, denn wir analysieren Menschen. Wir suchen nach dem ‚Warum?‘ und wollen die Wege nachvollziehen, die unsere Charaktere gehen.“ Der perfekte Mord scheint ihm in der heutigen Zeit mit all der zur Verfügung stehenden Wissenschaft und Technik dennoch so gut wie unmöglich zu sein: „Trotzdem wird es immer Mörder geben, die besser sein wollen als die Ermittler – und es leider fallweise auch sind.“
Für den Schauspieler ist Vienna Blood eine Art vielfältiger Reiseführer. Für die Psychoreise ins eigene Ich, für eine Zeitreise zurück ins Fin de Siècle und als touristische Anleitung zu den Sehenswürdigkeiten von Wien und Budapest. Die Rolle des jüdischen Psychiaters und Profilers hat ihn auch in seinen Wahrnehmungen der politischen Stimmungen der Länder, die er bereist, sensibilisiert: „Natürlich habe ich – wie wahrscheinlich wir alle – in der Schule Wesentliches über europäische Geschichte gelernt, vor allem über die Geschehnisse, die zum Zweiten Weltkrieg führten und über die Rolle, die Großbritannien dabei gespielt hat. Erstaunlicherweise hat mir die Konfrontation mit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die Stimmung des Fin de Siècle, noch viel mehr die Augen in Bezug auf die heutige Zeit geöffnet.“ Augenöffner seien vor allem intensive Gespräche mit Regisseur Robert Dornhelm sowie seine Lektüre von Literatur aus dieser Zeit gewesen – und da wiederum vor allem Stefan Zweigs Die Welt von Gestern. Er habe einmal gehört, dass es sich bei dieser Autobiografie um den längsten Abschiedsbrief vor einem Selbstmord handle, „aber relevant für meine Vorbereitung auf die Liebermann-Rolle und die Dreharbeiten in Wien waren nicht seine depressiven Gedankenspiele rund um die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Vielmehr war es seine Jugend in Wien. Er ist in der Zeit aufgewachsen, in der auch die Kriminalromane von Frank Tallis spielen.“ Was den jungen Star aus Großbritannien deprimiert, ist die Tatsache, dass die Menschen aus den Fehlern der Vergangenheit nichts oder zu wenig gelernt haben: „Wie könnte es sonst sein“, sagt er in unserem Interview in einer Drehpause, „dass der Antisemitismus wieder – oder noch immer? – so abartige Blüten treibt?“
Auch in den neuen Folgen wird ihm Inspektor Oskar Rheinhardt (dargestellt von Juergen Maurer) zur Seite stehen. Als Kriminalpolizist slowakischer Herkunft weiß er vor allem bei bizarren und schier unlösbaren Mordfällen, was zu tun ist. Er ruft Max Liebermann zu Hilfe, der die jeweiligen Täter anhand Freudscher Fehlleistungen und verräterischer Stolperer überführt. Das Wesen der Übertragung hat der jüdische Doktor Liebermann bereits in früheren Folgen so schön erklärt wie manch anderes Theorem auch. Und doch ist Liebermann unzufrieden mit allerhand, mit seinen Beziehungen zu Frauen, mit der politischen Lage im Wien der Jahrhundertwende. Für Zweifel und Kritik an der Psychoanalyse und ihren Übertragungen ist also reichlich Platz, nicht nur gegenüber dem Kriminalbeamten Rheinhardt. Er ist bisweilen auch wütend auf Freud, diesen jüdischen, konservativen Wiener Kleinbürger.
Vienna Blood liegt ganz im Trend des Psychoanalytiker-Krimis. In der gesellschaftspolitischen und kulturellen Atmosphäre der Donaumonarchie-Metropole sind die Kontraste und Umbrüche zwischen alter und neuer Zeit spürbar: Im Wien des Fin de Siècle sind Kunst, Kultur, philosophische Zirkel, Wissenschaft und Entdeckerfreude zu Hause, aber auch der Antisemitismus von Bürgermeister Karl Lueger und das Aufkeimen des Faschismus, von dem auch der junge Hitler während seiner Wiener Zeit geprägt wurde. „Wenn man nur als Tourist nach Wien kommt, bleibt dieser Teil der Geschichte meist hinter den prachtvollen Fassaden der Donaumonarchie verborgen. Die Auseinandersetzung mit Max Liebermann und seiner jüdischen Familie haben mir dann immer wieder die zweite Seite dieser Pracht in Erinnerung gerufen.“ Während früherer Dreharbeiten sei er oft stundenlang durch Wien spaziert und in alle Museen gegangen, um sich an der Schönheit der Kunst und Architektur zu berauschen, sagt Matthew Beard.
Nun hat der Schauspieler erstmals Budapest besucht, denn die ungarische Hauptstadt fungiert für die nächsten Folgen als Wien-Double. „Budapest ist fast so schön wie Wien“, meint Beard – und relativiert diesen Eindruck gleich wieder: „Vielleicht, weil wir in Straßen und Gassen dieser Stadt drehen, die eigentlich in Wien sein sollten und bewusst nach dieser Ähnlichkeit ausgesucht wurden. Ich werde sicher auch in Budapest viel herumwandern und viele Museen aufsuchen. Und es wird mir vieles gefallen. Aber Wien bleibt meine große Liebe.“
Natürlich habe er die politischen Entwicklungen und Verwerfungen der letzten Zeit mitbekommen, „aber ich habe bisher nur wirklich liebenswerte Menschen in Wien kennengelernt, denen ich zutraue, dass sie sich gegen negative Entwicklungen stellen.“ Kleine Pause: „Wenn ich mit meiner Mitwirkung an Vienna Blood dazu beitragen kann, dass wir aus der Geschichte etwas lernen, umso besser.“