Mit einer Gruppe jüdischer Jugendlicher aus verschiedenen Ländern verbrachte ich das vergangene Jahr in Israel. Der Lockdown schweißte uns zusammen – und dann kam der „Raketenregen“ aus Gaza. Dieses Gefühl der Bedrohung werde ich nie vergessen. Und ich werde für mein Leben in Frieden besonders dankbar sein. Ein Bericht.
Von Debbie Engelberg
„Habt ihr die Nachrichten gesehen?“ Plötzlich brach in meinem Autobus Panik aus. Wir erfuhren, dass Sirenen, die vor Raketen warnen, durch Jerusalem dröhnten. Durch jene Stadt, in der ich die letzten Monate gelebt hatte. Mein Handy wurde mit Anfragen meiner Familie, Freundinnen und Freunden aus Wien überschwemmt, die sich davon überzeugen wollten, dass ich mich in Sicherheit befinde. Zum Glück hatten wir nur wenige Stunden davor Jerusalem verlassen, um in den Norden Israels zu fahren.
Als wir in Shlomi nahe der libanesischen Grenze ankamen, fühlten wir uns sicherer und waren erleichtert, vor allem, da wir ständig mitverfolgten, was in Jerusalem los war. Die Stadt und weite Teile des Landes waren inzwischen zum ununterbrochenen Ziel der Hamas-Raketen geworden. Wir schwebten in der Illusion, dass wir im nördlichen Teil Israels verschont bleiben könnten.
Doch das sollte sich schon drei Tage später ändern. Meine Freunde und ich feierten gerade Geburtstag auf einer Terrasse mit großartigem Ausblick auf die Landschaft von Nordisrael. Für ein paar Stunden wollten wir uns von dem Tumult, der im Land herrschte, ablenken. Wir, das ist die Gruppe jüdischer Jugendlicher aus verschiedenen Ländern, mit denen ich das vergangene Jahr in Israel verbracht habe: ein Jahr, das uns durch den langen Lockdown besonders zusammengeschweißt hat. Anlässlich des Geburtstags hielten wir Ansprachen, auch, um das Jahr Revue passieren zu lassen. Während meiner Rede erwähnte ich den schönen Ausblick, als exakt in diesem Moment ein helles Licht über den Himmel raste, immer größer wurde und genauso plötzlich verschwand. Das Abwehrsystem „Iron Dome“ hatte die Rakete abgefangen, bevor sie Schaden verursachen konnte.
Raketen aus dem Libanon
Ich war aufgewühlt, doch wir wollten unsere Feier fortsetzen. Nur wenige Minuten später hörten wir aus der Ferne das Dröhnen der Sirenen, gefolgt von drei lauten Explosionen. Raketen waren aus dem Libanon Richtung Shlomi abgefeuert worden. Glücklicherweise landeten sie im Meer und richteten keinen Schaden an. Unsere Geburtstagsfeier war schlagartig zu Ende.
Wir wurden zu einem Security Briefing in den Bunker unserer Unterkunft gerufen. Man erklärte uns, dass wir nach einem Sirenenalarm nur wenige Sekunden Zeit hätten, um den Bunker zu erreichen. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass mein Leben weitergeht – aber völlig anders als zuvor. Ich stellte mich darauf ein, dass ich ab diesem Moment immer auf einen Alarm vorbereitet sein musste und dachte an die Möglichkeit, dass es meinen Freunden und mir vielleicht nicht gelingen könnte, rechtzeitig in den Bunker zu flüchten. Noch am selben Abend wurde uns mitgeteilt, dass wir unsere Zelte umgehend abbrechen würden. Unsere Gruppe wurde in den Süden, nach Mitzpe Ramon, verlegt. Dort sollte auch die andere Hälfte unserer Gruppe eintreffen, die vor dem so genannten „Raketenschauer“ aus Tel Aviv flüchten musste.
Plötzlich alles anders
Nach unserer Ankunft in Mitzpe Ramon war der Krieg wieder weiter von uns weg. Dennoch hörten wir hie und da Explosionen und verwechselten oft andere Geräusche mit dem Klang der Sirenen. Die ständigen Raketenangriffe verfolgte ich über soziale Medien, die mich bis zu diesem Zeitpunkt immer von der Realität abgelenkt hatten. Nun war das plötzlich anders. Mein Bild von den Social Media hat sich seither radikal geändert: Ich bin entsetzt über den dort grassierenden Antisemitismus, Antizionismus und vor allem über die Verbreitung von falschen Informationen. Die meisten Meldungen kamen von Menschen, die kaum oder gar kein Wissen über den Konflikt haben. Während ich im Bunker saß, las ich, dass manche meiner Freunde den Staat Israel als „Genozid-Staat“ bezeichnen, es gab Posts von Bekannten, die Zionismus mit Terrorismus gleichsetzten. Ich muss entscheiden, ob ich diese Behauptungen ignoriere oder mein Wissen und meine Erfahrung nutze und diesen Aussagen begegne.
Obwohl es nicht einfach ist, mit meinen ehemaligen Klassenkameradinnen und -kameraden, mit den Freundinnen und Freunden über dieses schwierige Thema zu diskutieren, versuche ich es. Oft sind die Rückmeldungen positiv und verständnisvoll, manchmal aber auch aggressiv. In diesen Tagen wurde ich einmal mehr darin bestärkt, wie wichtig es ist, nicht zu schweigen, sondern zu versuchen, andere mit viel Geduld und sachlichen Argumenten davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, sich zu informieren, statt vorschnell ein Urteil zu fällen. Und ich fordere einen respektvollen Umgang ein. In jedem Fall werde ich das Gefühl der Bedrohung, das ich in Israel erlebt habe, nie vergessen. Und ich werde für mein Leben in Frieden besonders dankbar sein.