Kegelabende, Schnitzeljagden, Darts – ist die jüdische Hochschülerschaft tatsächlich unpolitischer denn je? NU hat sich bei aktiven und ehemaligen Funktionären umgehört. Fazit: Jüdische Hochschüler sind aktiv. Freilich anders, als viele glauben.
Von Petra Stuiber
Es war fürchterlich. Jedes Jahr um dieselbe Zeit – dieselbe Ödnis. Nichts los auf den Straßen. Das Wetter zum Ve rgessen. Alle Lokale geschlossen. Und viele, die man kannte und mit die man sonst immer traf, wenn niemand anderer Zeit hatte – auch sie waren bei ihre n Familien, zum Abendessen, zum Feier- Ritual, seltsam ungreifbar in ihrer Privatheit. Der 24. Dezember, Weihnachten, der katholische Festtag schlechthin, ein Tag unendlicher Langeweile für Österreichs jüdische Jugendliche.
Die Vereinigung jüdischer Hochschüler (VJHÖ) bot deshalb immer ein Alternativprogramm an: „Wir haben ein riesiges Fest veranstaltet. Eine Party, in aller Ausgelassenheit“, erzählt Doron Rabinovici, der in den frühen 80er Jahren der politische Referent der VJHÖ war. Am 24. Dezember, so Rabinovici, „kamen immer so viele Leute zu uns wie sonst ganz, ganz selten“.
Tamir Bixner kann das bestätigen: „Unsere Weihnachtsparties sind immer exzellent besucht.“ Bixner war 1999 und 2000 Vorsitzender der VJHÖ, und im Vergleich zu den 80er Jahren fand er fraglos schwierigere Bedingungen vor, um eine wirklich rauschende Party am 24. Dezember zu veranstalten. Denn heutzutage haben alle Wiener Szene-Lokale, die etwas auf sich halten, auch an diesem Tag geöffnet – und viele junge österreichische Taufschein-Katholiken gehen nach dem Eltern-Fest erst einmal so richtig feiern. Dennoch – die Weihnachtsfeste der jüdischen Hochschüler sind ungebrochen beliebt – und Bixner ist ein bißchen stolz darauf.
Er hat seinen Vorsitz vor allem unter einem Aspekt gesehen: „Junge Leute sollen zusammen kommen, Spaß miteinander haben – einmal kein Druck, statt dessen Events, Parties, nette Gespräche.“ Doron Rabinovici hatte einen anderen Zugang: „Ich kenne die heutige Vereinigung nicht. Kann über sie nichts sagen, aber viele von uns waren damals der Meinung, dass wir politisch sein müssen. Nicht wenige redeten die ganze Zeit über Politik.“
Ein ganz anderer Zugang, in der Tat. Was ist passiert in den vergangenen zwanzig Jahren? Waren jüdische Jugendliche damals politisch bewußt und engagiert? Sind sie heute unpolitisch? „Wo zum Teufel sind die kritisch denkenden jüdischen Studenten geblieben? Sie können doch nicht alle ausgewandert sein!“ wetterte Erwin Javor in seiner Kolumne „Alltagsgeschichten“ im letzten NU. Und er mokierte sich über das annoncierte Herbstprogramm des VJHÖ: Marillenknödel-Essen, Schnitzeljagd, Darts und Wuzeln – sowie Werbung für den Jugendchor. Javor vermisste dagegen Stellungnahmen zur Intifada, zur Restitutionsdebatte, zu Jörg Haider, Kronenzeitung.
NU wollte nun eine Stellungnahme der so angegriffen Hochschülerschafts-Ve rt reter einholen – leider vergeblich. Der Artikel sei in höchstem Maße ungerecht, sagte die Vorsitzende des VJHÖ, Corina Mihai, und sie sprach von einem „großen Schaden“ für die Vereinigung.
Welcher konkrete Schaden das sei, darüber schwieg sie in der Folge – der VJHÖ-Vorstand hatte beschlossen, dass niemand mit NU reden sollte.
In der Tat scheint es Probleme zu geben. Das Mitgliederpotential in den 60er und 70er Jahren betrug, laut den Jahrgangsstatistiken der Gemeinde, um gut 200 Personen mehr als heute. Der Grund dafür mag sein, dass damals viele Studierende aus Israel kamen. „Ich kann nicht feststellen, dass die Mitgliederzahlen dramatisch gesunken wäre“, sagt Bixner, „heute kommen viele Jugendliche aus Ungarn und der Slowakei nach Wien.“ Der ehemalige Präsident spricht von 800 bis 1000 Jugendlichen, die jährlich angeschrieben werden. Die Zahl der permanent aktiven VJHÖ-Mitglieder sei wesentlich geringer, meint er vage, das sei aber auch vor seiner Zeit gering gewesen. Bixner: „Es sind immer nur ein paar Dutzend, die sich engagiert haben. Wie viele Jugendliche ab und zu kommen, hängt eben davon ab, wie attraktiv das Programm ist, das angeboten wird.“
Bixner empfindet die NU-Kritik denn auch als „nicht sehr professionell“: „Man kann eine Vereinigung schlecht beurteilen, die man nicht von innen kennt.“ Bixner sieht keinen wirklichen Unterschied zu nicht-jüdischen Jugendlichen, außer: „Natürlich wird überall, wo jüdische Jugendliche zusammenkommen, auch politisiert.“ Es sei aber heutzutage keinesfalls mehr die Hauptaufgabe des VJHÖ, dies zu fördern. Man habe natürlich auch bei den Demonstrationen gegen die schwarz-blaue Koalition mitgemacht, aber dennoch – Jörg Haider und Co. seien keineswegs die Hauptbeschäftigung des VJHö. Bixner: „Ich denke, dass uns die Wirtschaft heutzutage viel mehr beeinflußt. Politiker sind doch weitgehend machtlos.“
Doron Rabinovici dachte anders in den 80er Jahren. „Viele von uns aus der sogenannten zweiten Generation nach Auschwitz statt unserer Eltern für sie Stellung. In ihrem Sinne rebellierten wir gegen sie. Die meisten von uns wurden zu einem kleinen David, zu einem neuen jüdischen Selbstbewußtsein, erzogen.“ Die Eltern hatten zum Teil weder die Kraft noch den Glauben an die Zukunft, um sich für ein besseres, moderneres und vergangenheits-bewältigtes Österreich einzusetzen. Sie hatten sich dem Wiederaufbau- und Schweige-Konsens im Nachkriegs-Österreich irgendwie ergeben – und betrachteten das Land, aus dem sie vertrieben oder deportiert worden waren, bestenfalls als Durchgangsstation.
Anders ihre Kinder: „Für uns war Österreich Heimat, wir sind hier aufgewachsen und hatten unsere Freunde hier.“
Freilich waren die österreichischen Verhältnisse alles andere als zufriedenstellend. Rabinovici: „Egal, wo ich damals hinkam, ich brauchte bloß meinen hebräischen Namen zu nennen und für zwei Stunden Gespräch war gesorgt. Überall wurden wir angesprochen auf Kreiskys Attacken auf Israel, auf den Kärntner SPÖ-Landeshauptmann Wagner, der sich stolz dazu bekannt hatte, ein Hitler-Junge gewesen zu sein, auf den Konflikt mit den Palästinensern – jeder von uns wurde täglich gefordert, Stellung zu nehmen.“
Er wolle das keineswegs mit heute vergleichen, sondern nur von damals reden -besonders, als dann die Sache mit Waldheim kam: „Schweigen war unmöglich.“ Ein eigener Kreis, darunter Rabinovici, setzte sich damals für die Friedensbewegung in Israel ein: „Wir wollten links sein – und hatten nichts mit Begin am Hut. Wir waren für einen Frieden in Palästina „und waren nicht antizionistisch.“ In der Vereinigung jüdischer Hochschüler wurde über diesen Freundeskreis viel diskutiert, auch gestritten damals und diese Haltung auch in den eigenen Reihen kritisiert.
Viel Wasser ist seither die Donau hinunter geflossen. Rabinovici und seine Studienkollegen sind nun auch schon flotte Vierziger, und die Zeiten haben sich eben geändert. Die Kategorien haben sich verschoben – nicht nur in der Vereinigung jüdischer Hochschüler. Die so genannte „Wende“ brachte viele Veränderungen: zum Beispiel die Donnerstags-Demos. Oder die Botschaft der besorgten Bürger. Oder eine wache, außerparlamentarische Opposition, wie beispielsweise die jungen Leute von „Gettoattack“. Einige davon sind übrigens jüdische Studierende.