Werde kämpfen, bis die Bagger auffahren

Wiens Bürgermeister Michael Häupl erklärt im „Nu“-Interview seine uneingeschränkte Unterstützung für ein „Haus der Geschichte“ im Wiener Palais Epstein und kritisiert dabei offen SPÖ-Nationalratspräsident Heinz Fischer.
Von Petra Stuiber

„ N U „: Herr Bürgermeister, der stellvert re t e n d e S P Ö – Vorsitzende, Nationalratspräsident Heinz F i s c h e r, hat erst kürzlich wieder bekräftigt, dass das Palais Epstein für das Parlament nutzbar gemacht wird. Ist die Sache also entschieden?

Häupl: Nein. Es hat innerhalb der SPÖ eigentlich nie eine Meinungsbildung gegeben. Präsident Fischer ist der Auffassung, dass dieses Wiener Ringstraßenpalais in unerlässlicher Weise für parlamentarische Mitarbeiter, also Parlamentssekretäre, zu nutzen sei. Während ich und die Wiener SPÖ der Auffassung sind, dass sich das Palais aufgrund seiner Geschichte und geografischen Lage als Haus der Geschichte geradezu anbieten würde.

Die vier Parlamentsparteien haben bereits 1998 einstimmig beschlossen, dass sie das Palais Epstein für sich wollen – trotz einer Studie im Auftrag des damalige Wissenschaftsministers Caspar Einem, die ergab, dass dieses Palais geradezu ideal wäre für ein Haus der Geschichte. Hätten Sie sich eine Diskussion im Vorfeld, auch in der eigenen Partei, gewünscht?

Natürlich. Ich hätte vielleicht selbst ein bisschen mehr darauf drängen sollen, dass es zu einem Thema für die gesamte Partei wird. Ein Gespräch mit mir in der Causa wurde immer abgelehnt. Man hat mich sogar ein bisschen in die Irre geführt.

Inwiefern?

Man hat mir mitgeteilt, das Parlament brauche das Palais unbedingt für den Bundesrat. Daraufhin habe ich mich sehr bemüht, für den Bundesrat eine Alternative zu suchen. Als ich diese gefunden habe, hat man mir gesagt, der Bundesrat wolle gar nicht ausziehen, man brauche das Haus eigentlich für die parlamentarischen Mitarbeiter. Das ist auch nicht gerade die allerfeinste englische Art, miteinander umzugehen.

„Man“ ist in diesem Fall Präsident Fischer? Hat er Ihnen eine falsche Information gegeben?

Wie dem auch sei – es ist sinnlos, vertanen Chancen nachzuweinen. Ich nehme Präsident Fischers jüngste Erklärung zur Kenntnis, sage aber gleich dazu: Für mich ist dieses Thema  deshalb noch lange nicht beendet.

Was werden Sie tun?

Ganz einfach: Ich werde mich bis zu dem Tag, wo dort die Bagger auffahren, bemühen, dass man doch noch das Haus der Geschichte im Palais Epstein durchsetzen kann. Ich hoff e doch sehr, dass keiner aus einem Justament-Standpunkt heraus ausgerechnet in diesem Palais ein Haus der Sekretäre errichten will. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht hier nicht um einen SPÖ-internen Streit. Das ist nicht der Punkt. Ich meine, dass für die Entwicklung und das Image der Stadt ein Haus der Geschichte wesentlich zuträglicher wäre. Ich weiß auch, dass es in der jetzigen Bundesregierung Leute gibt, die meinen, das sei eine ganz vernünftige Geschichte – und nicht nur ein Spleen des Wiener Bürgermeisters.

Welche Leute sind das?

Na, das werde ich vorerst einmal schön für mich behalten. Denn diese Leute sollen ja noch unterstützend wirken können. Wenn ich jetzt sagen würde, dieser oder jener Minister ist dafür, dann ist der ja leider sofort – mit Verlaub gesagt – politisch erledigt.

Präsident Fischer argumentiert, erst als die Nutzung des Palais Epstein für das Parlament festgestanden sei, habe Leon Zelman ein Haus der Geschichte an demselben Ort gefordert…

Das ist einfach nicht wahr. Der Vorschlag von Leon Zelman, der ursprünglich von einem „House of Tolerance“ gesprochen hatte, liegt ja seit langer Zeit auf dem Tisch. So lange, dass Caspar Einem immerhin gegen den damaligen Beschluss im Ministerrat, das Epstein dem Parlament zu geben, demonstriert hat – mit Verweis auf den Zelman-Vorschlag.

Was genau verstehen Sie eigentlich unter einem „Haus der Geschichte“?

Gerade das Epstein würde sich für eine gewisse Doppelgleisigkeit anbieten. Einerseits sollte es durchaus einen gewissen musealen Charakter haben: Wesentliche Symbole aus der Nachkriegsgeschichte Österreichs, aber auch aus der Zwischenkriegszeit, wurden bisher nicht systematisch gesammelt. Wir haben Fotos, wir haben Filme – etwa über die Unterzeichnung des Staatsvertrages, auch über den berühmten Satz von Leopold Figl „Österreich ist frei“ – aber es gab bisher weder Platz noch Gelegenheit, das darzustellen. Die geplante Ausstellung „50 Jahre Staatsvertrag“ ist zweifelsohne eine gute Gelegenheit, diese Dinge zusammenzutragen. Ich würde es nur vorziehen, wenn diese Ausstellung eine permanente wäre, wo man die Möglichkeit hat, anhand von symbolischen Beispielen, Geschichte zum Anschauen, vielleicht sogar zum Angreifen, darzustellen.

Nach meiner Vorstellung sollte dies zurück in das 19. Jahrhundert gehen, da die großen Konflikte des 20. Jahrhunderts ihren Anfang hatten: die Entstehung des Nationalismus, Nationalismus versus Internationalismus in der sozialen Frage, immer verknüpft mit Antisemitismus, die Darstellung dieses Konflikts in der Kultur, ja, in der ganzen Kulturproduktion – bis hin zur Hybris des Nationalismus, dem Nationalsozialismus und dem industrialisierten Völkermord an den Juden.

Sollte auch die jüngste Zeitgeschichte Platz finden?

Natürlich. Die Widersprüche der Nachkriegszeit in Sachen Wiedergutmachung – bis hin zum erst kürzlich geschlossenen Restitutionsvertrag. Aber auch die Waldheim-Debatte, die eine wesentliche Rolle gespielt hat – bis hin zum Auftreten von Jörg Haider, der ja ein Vertreter des alten Nationalismus ist, auch wenn er ihn immer modern zu verbrämen trachtet.

Was ist der zweite Bereich des Hauses, von dem Sie gesprochen haben?

Es muss ein Ort der Begegnung sein. Schüler aus ganz Österreich sollen bei ihren Wien-Wochen hier herkommen, Klassen sollen Projekte machen, Studenten hier arbeiten, Wissenschafter forschen – das hat dann viel zu tun mit einem virtuellen Museum. Es soll ein Ort sein, wo man sich international austauschen kann, lernen, lehren und forschen.

Was würde die Stadt zum Haus der Geschichte beitragen?

Ich bin gerne zu einem finanziellen Beitrag b e reit – aber ich werde mich hüten, das an den Beginn einer Diskussion zu stellen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass man nicht weiß, was das kostet – sonst tragen wir die gesamten Kosten. Wir kennen dieses Spielchen ja schon.

Warum gibt es solche Widerstände von Seiten des Parlaments? Ist das Bequemlichkeit oder mangelndes Geschichtsbewusstsein?

Nein, das möchte ich wirklich nicht unterstellen. Ich glaube eher, es handelt sich hier um die Haltung: Wir haben das jetzt beschlossen, da kann nicht einfach ein Bürgermeister daherkommen und sagen, wir machen das aber anders. Das ist ein bisschen „Mir san mir-Mentalität“.

Sie könnten ja auch nachgeben – und an anderer Stelle ein Haus der Geschichte errichten.

Natürlich könnte man das – man kann ja alles machen. Man hätte ja auch das Holocaust-Mahnmal zur Mülldeponie hinausstellen können. Aber verstehen Sie denn nicht, worum es geht? Man muss ja so etwas auch spüren, dass es für bestimmte Dinge so etwas gibt wie einen Genius loci. Das Palais Epstein ist ja nicht irgendein Haus, sondern ein Symbol für den Aufstieg des jüdischen Bürgertums zu einer sehr wesentlichen, gestalterischen Kraft in diesem Land. Dafür ist es einerseits Symbol. Dann war es Sitz der Kommandantura – das waren ja keine 10 leichten Jahre für Österreich nach der Niederschlagung des Faschismus. Später ist es ein Haus der Bildung geworden. Dieses Haus hat ja eine Geschichte, einen Geist, der an diesem Ort wohnt. Und es passt auch von der Geografie her – von der Silberkammer bis zum Museumsquartier haben wir hier eine Kulturmeile einzigartigen Ausmaßes. Ein bisschen Gefühl sollte man für unsere Geschichte schon entwickeln.

Die Darstellung der Shoah allein wäre Ihnen zu wenig? Wenn Sie einen so umfassenden Geschichtsbegriff haben, trifft sich das ja gut mit den Vorstellungen von Frau Minister Gehrer für die Staatsvertragsausstellung 2005… Das ist gut möglich. Die Grundidee wird sicherlich nicht sehr verschieden sein. Davon bin ich überzeugt. Was ist anders?

Das weiß ich nicht. Ich kenne das Grundkonzept noch nicht. Es wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die personelle Zusammensetzung der Historiker aussieht. Historiker sind ja keine wissenschaftlichen Neutra.

Aber es gibt bereits eine Kommission für 2005, von Gehrer eingesetzt, bestehend aus den Herren Manfried Rauchensteiner, Kurt Scholz, Stefan Karner und Wilhelm Brauneder. Gegen diese freihändige Besetzung durch die Ministerin haben namhafte Zeitgeschichtler wie Erika Weinzierl bereits heftig protestiert.

Ja, ich weiß. Lassen wir das zunächst einmal so stehen. Es weiß ja auch jeder, dass diese vier sicherlich keine Ausstellung machen werden. Das werden ja wohl Experten machen – und da kann ich mir nicht vorstellen, dass man ernsthafter We i s e hier an Frau Professor Weinzierl vorbeigehen kann. Oder an Wolfgang Neugebauer – hier gibt es eine ganze Reihe herv o rragender Leute, die zum Einsatz kommen müssen.

Ihr Parteivorsitzender Alfred Gusenbauer hat ebenfalls protestiert und gemeint, es bestehe die Gefahr, dass es hier zu einer Umdeutung der Geschichte kommen könnte – teilweise wegen der politischen Ausrichtung der Personen, die in dieser Kommission sitzen, aber auch wegen der Art ihrer Einsetzung.

Im Prinzip hat er Recht. Ich setze meine Hoffnung allerdings in die Historiker, die diese Ausstellung letztlich zusammenstellen. Ich verhehle aber nicht, dass ich keine Freude hätte, wenn beispielsweise die Entstehung und die Bedeutung der österreichischen Neutralität als Staatsgründungsdokument in dieser Ausstellung nicht beleuchtet würde.

Was könnte man denn jetzt noch tun in Sachen Epstein? Soll das Parlament seinen Beschluss revidieren?

Ja. Genau das.

 

INFO

Haus der Geschichte – Eine Diskussion ohne Ende.

Das vehemente Eintreten des Wiener Bürgermeisters für ein „Haus der Geschichte“ im Palais Epstein ist zwar nicht neu, läutet aber eine neue Runde in der Diskussion ein.

Denn bereits 1999 stimmten alle fünf Parlamentsfraktionen (inklusive dem mittlerweile politisch verblichenen LIF) dafür, das Palais, vormals Sitz des Wiener Stadtschulrates und architektonisches Zeugnis des Aufstiegs des Wiener jüdischen Bürgertums im 19. Jahrhundert, künftig für „parlamentarische Zwecke“ zu nutzen.

Erst hieß es, der Bundesrat sollte dort eine neue Bleibe finden – mittlerweile wurde umdisponiert: Das Palais Epstein wird zum „Haus der Sekretäre“, wie der Wiener Bürgermeister Michael Häupl ätzt (siehe Interview). Das Palais ist im Besitz der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), es wird bis 2004 umgebaut, und die Miete für die Parlamentarier wird laut Geschäftsführer Hartwig Chromy zwischen 18 und 19 Euro „kalt“ (also ohne Umsatzsteuer) betragen – was deutlich billiger wäre als die bisherigen Parlamentsdependancen in der Reichsratsstraße und Schenkenstraße. Das ist zumindest das Haupt-Argument von Nationalratspräsident Heinz Fischer.

Für eine überraschende Beinahe-Wende sorgte Ende April ausgerechnet der Klubobmann der FPÖ, Peter Westenthaler. Er setzte sich im „Kurier“ plötzlich doch für ein „Haus der Geschichte“ ein – freilich unter der Bedingung, dass darin auch die Vertreibungsgeschichte der Sudetendeutschen gebührend Platz finden müsse. Gut möglich, dass deshalb in der darauffolgenden Präsidialsitzung des Nationalrates die Klubobmänner von SPÖ, ÖVP und Grünen bei ihrer ursprünglichen Meinung blieben. Jedenfalls stellte Fischer, laut Protokoll, fest, ã…dass die Entscheidung betreffend die Nutzung des ehemaligen Stadtschulratsgebäudes für Parlaments z wecke zwar nach sorgfältiger Prüfung aller Aspekte … auch in dieser Gesetzgebungsperiode mehrfach bekräftigt wurde“. Fischer selbst argumentiert, er unterstütze grundsätzlich die Idee eines „Hauses der Geschichte“ und werde sich bemühen, einen andere n

Standort zu suchen. Der stellvertretende Klubobmann der Grünen, Karl Öllinger, begründet seine Entscheidung so: „Unter den gegebenen politischen Umständen bin ich extrem vorsichtig. Momentan kann ein Haus der Geschichte sogar kontra produktiv sein. Ich möchte nicht, dass dort ein revisionistisches Geschichtsbild à la Westenthaler Einzug hält.“

Außerhalb des Parlaments scheint sich nun dennoch etwas zu bewegen: Ein prominentes Personenkomitee fordert seit Februar dieses Jahres eine „zweite Chance“ für das Epstein. Mit dabei: Architekt Gustav Peichl , Schauspielerin Elisabeth Orth, Washington-Botschafter Peter Moser Ð und Helmut Zilk.

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