Anja Salomonowitz schreibt und inszeniert ein Theaterstück zum Thema Beschneidung – mit Kindern als Darstellern.
VON ROLAND KOBERG
Ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert, in meiner Eigenschaft als produktionsbegleitender Dramaturg, ist es beim Theatermachen immer so: Du willst, dass die Zuschauer ein Problem kriegen; der Zuschauer darf sich etwas denken, das auf der Bühne so gar nicht gesagt wird; noch einfacher ausgedrückt, aber noch schwieriger zu machen: Der Zuschauer soll sich durch das Gezeigte gemeint fühlen – Das bin doch ich! Das bin doch nicht ich! Soll das ich sein?
Wenn der Zuschauer das Gefühl hat, dass die Probleme, die auf der Bühne verhandelt werden, nur Probleme der Mitwirkenden sind, haben die Theatermacher etwas falsch gemacht. Man darf – aus Sicht des Theaters – die Zuschauer nicht entlasten. Deswegen geben Regisseure ihren Schauspielern auf der Probe manchmal den Tipp, die Probleme, um die es geht, nicht als abgeschlossen zu betrachten und nicht stellvertretend für die Zuschauer zu lösen. Nicht sich mit dem Publikum verbünden! Den Druck nicht entweichen lassen! Die Reaktionen, die etwas hervorrufen sollen, nicht vorspielen! Theatermachen ist Arbeit am Konflikt.
Der Junge wird beschnitten., das Stück, das die Wiener Filmemacherin Anja Salomonowitz für das Volkstheater recherchiert und geschrieben hat und jetzt mit neun Kindern und einer erwachsenen Schauspielerin (Karin Lischka) inszeniert, ist Theater gewordener Konflikt. Kulturelle Konflikte, politische Konflikte, religiöse Konflikte und private Konflikte gehen beim Thema Beschneidung bzw. rituelle männliche Beschneidung Hand in Hand und scheinen sich gegenseitig zu bedingen. Von der subjektiven, ängstlichen Frage einer Mutter („Was tue ich meinem Kind da an?“) bis zum religiösen Bekennerstolz des Patriarchen („Die Zugehörigkeit soll sichtbar sein!“) ist alles drin. Der Junge wird beschnitten. Punkt. Keine Diskussion. Geht keinen was an. Oder doch?
Um von diesen Konflikten zu sprechen, um überhaupt einmal das gesellschaftliche Tabuthema Beschneidung in einen künstlerischen Diskurs zu überführen, hat Anja Salomonowitz eine entwaffnende Methode gefunden: Es sind überwiegend Kinder, welche die Texte von Erwachsenen nachsprechen. Im Vorfeld haben Erwachsene, mehr als dreißig, im Stück anonymisierte Interviewpartner aus Wien, für das Stück ihre Haltungen zu bzw. Erfahrungen mit Beschneidung beschrieben – Wortspenden, im wahrsten Sinne des Wortes. Anja Salomonowitz hat die wörtliche Rede von Müttern, Vätern, Großeltern, Philosophen und Psychoanalytikern, Religionsvertretern, Medizinern und Journalistinnen als Material für ein faszinierendes Meinungsspektrum genommen. Zu Wort kommen auch Männer, die als Kind beschnitten wurden oder sich später selbst freiwillig beschneiden ließen – sei es in einem jüdisch, islamisch oder christlich geprägten Umfeld. Anja Salomonowitz hat die Sätze so montiert, dass sie sich aufeinander beziehen und Dialoge daraus entstehen. Die Art des Sprechens wurde dabei nur wenig geändert: Man erlebt als Zuhörer mit, wie die Personen, von denen die Texte stammen, nach Worten suchen, sich verbessern, Fehler machen … Das Reden ist immer auch eine Suche nach der Wahrheit, gerade bei einem Thema, über das nicht viel geredet wird.
Der Witz daran ist: Die Zuschauer lernen die Personen, welche dieses und jenes finden oder erlebt haben, eben gar nicht kennen. Nur das Argument oder die Geschichte sind im Raum. Was die Kinder, die das Gesprochene repräsentieren, damit zu tun haben, wird zur reinen Projektion. Und damit zur Auflage für eine Frage, die sich jeder Zuschauer nur selbst stellen kann: Was projiziere ich eigentlich in diese Kinder, die offenkundig zu jung sind, um bestimmte Entscheidungen selbst fällen zu dürfen?
Die Kinder tun somit das, was Theater, was den künstlerischen Diskurs auf der Bühne erst reizvoll macht: Sie lassen uns mit dem Gesagten und Erlebten allein. Sie geben uns, dem vermeintlich erwachsenen Publikum, die Worte zurück, in denen wir über sie sprechen. Sie nehmen uns die Probleme nicht ab, sondern delegieren sie dorthin, wo sie herkommen. Erst durch das Mitwirken der Kinder und durch deren ernsthaftes Bemühen, sich in die Erwachsenen hineinzuversetzen, wird greifbar, dass es um sie geht. Ob Mädchen oder Junge, ob sieben oder dreizehn Jahre alt – die Kinder zeigen, einfach indem sie da sind und indem sie ihre Stimmen und Körper zur Verfügung stellen, dass sie es sind, über die sich Erwachsene die Köpfe heiß reden. Und nu?
Der Junge wird beschnitten. Mehrmals im Mai im Volx/Margareten, Margaretenstraße 166. Karten unter 52111-400 und www.volkstheater.at