Immer weniger Eltern aus eingesessenen Wiener jüdischen Familien schicken ihre Kinder in eine jüdische Schule. Begründung hinter vorgehaltener Hand: das sinkende Sprachniveau. Lernt man an jüdischen Schulen schlecht Deutsch? NU hat versucht, hier Antworten zu finden.
Von Alexia Weiss
Leicht fällt es den Schulverantwortlichen nicht, öffentlich einzugestehen, dass hier möglicherweise eine Fehlentwicklung Platz greifen könnte. In Interviews wird das Bild der perfekten Schule gezeichnet. Man hat alles im Griff.Edla Biderman etwa ist überzeugt, dass die Vermittlung des Deutschen in der Volksschule des Lauder Chabad Campus bestens gelingt. Biderman zeichnet an der Schule für den Hebräischunterricht verantwortlich. Vorgegangen wird nach dem System des „Brain Based Learning“, das alle Sinne und Intelligenzbereiche anspricht und es so jedem Kind ermöglicht, die Sprache auf die für es am besten geeignete Weise zu erlernen. Dazu tragen jede Menge Lernmaterialien, der Einsatz von Farbe, von Formen, von Musik etc. bei. Beim Deutscherwerb bediene man sich am Lauder Chabad Campus teilweise ähnlicher Mittel. Biderman verweist etwa auf das vom Wiener Stadtschulrat geförderte Projekt „Bewegtes Lernen“, mit dem Kindern der ersten Klasse Volksschule das Deutschlernen leichter gemacht werden soll. Die Volksschuldirektorin des Campus im Augarten, Rosemarie Kedja, zeichnet im Gespräch mit NU dagegen ein etwas anderes Bild. Von den derzeit etwas über 100 Schülern (inklusive dem Schulstandort Tempelgasse) hätten 98 Prozent Deutsch nicht als Muttersprache. Teils werde in den Familien Russisch, teils Jiddisch, großteils allerdings keine Sprache wirklich, sondern ein Gemisch aus Hebräisch, Russisch und Deutsch gesprochen. Vor allem der letzte Fall bereite Probleme: „Wenn man keine Sprache korrekt sprechen kann, kann man auch keine neue lernen“, so der Befund Kedjas. Doch man bemühe sich bei Chabad, die Kinder in alle Richtungen zu fördern. Wer sein Kind schon in den Kindergarten schicke, könne sicher gehen, dass hier der Deutscherwerb groß geschrieben werde. Volksschüler, die spezielle Förderung bräuchten, bekämen diese in Form von unterstützendem Unterricht. Und die deutsche Sprache sei im Unterricht stark präsent: außer in den sieben Wochenstunden für Hebräisch und Religion werde ausschließlich Deutsch gesprochen.Ähnlich ist die Situation in der Zwi-Perez-Chajes-Schule in der Castellezgasse. 83,7 Prozent der dort eingeschulten 143 Volksschüler sind mit einer anderen Muttersprache als Deutsch aufgewachsen. Auch hier wird aber in der Vorschulgruppe des Kindergartens bereits spezielle Sprachförderung betrieben, betont Volksschuldirektorin Huberta Schwarz gegenüber NU. Und es gibt ein spezielles so genanntes „dynamisches Förderkonzept“ ab dem Start in die erste Klasse.Die Schuleingangsphase ermögliche es Kindern mit massiven Schwierigkeiten – wie in der öffentlichen Regelschule übrigens auch –, die ersten beiden Schulstufen in drei Jahren zu absolvieren. Begleitlehrer, die vom Stadtschulrat nach einem bestimmten Schlüssel genehmigt werden, kümmern sich bei individuellen Schwächen um jedes einzelne Kind. Bei Teilleistungsschwächen wie Legasthenie werde ebenfalls sofort individuell auf die Bedürfnisse des einzelnen Schülers eingegangen. Auch Hebräisch wird in der Castellezgasse ab der ersten Klasse unterrichtet. Und ähnlich der Chabad-Schule wird auch hier sehr stark mit visuellen und akustischen Reizen gearbeitet. Ob der gleichzeitige Erwerb von Deutsch und Hebräisch – jeweils in Wort und Schrift – die Kinder, die ohnehin mit Deutsch kämpfen, nicht überfordere? Die hebräischen Buchstaben würden innerhalb von zwei Jahren erlernt, also sehr langsam, sagt Schwarz. Im Allgemeinen mache das keine Probleme.Schwarz räumt dann allerdings ein: Schriftsprachlich seien die Schüler der vierten Klasse Volksschule sicher schwächer als Gleichaltrige an anderen Schulen. Das gleiche sich allerdings bis zur Matura aus. „Dann sind unsere Schüler sprachlich wirklich gut.“Der Trend, dass immer weniger Schüler aus einem deutschsprachigen Umfeld kämen, verstärke sich in den vergangenen Jahren zusehends, so Schwarz. „Wir hatten hier eine der Realität mehr entsprechende Mischung.“Wo aber geben Deutsch sprechende Wiener Juden ihre Kinder in die Schule? Meist in Einrichtungen, für die ein hohes Schulgeld zu zahlen ist. Die Vienna International School ist sehr beliebt, ebenso wie das Lycée Français. Biderman ortet hier die Sehnsucht nach Elitärem. Sie meint aber, dass dieser Trend gerade in einer Umkehr begriffen sei. Erst dieses Jahr seien zwei Kinder aus der International School zum Chabad Campus gewechselt. „Wir empfinden uns jedenfalls als sehr niveauvolle Alternative zu diesen Schulen“, so Biderman.NU hat sich auch in einer öffentlichen Wiener Schule umgesehen, um einen Eindruck davon zu bekommen, was es bedeutet, Klassen zu unterrichten, die sich hauptsächlich aus Kindern zusammensetzen, in deren Familie nicht Deutsch gesprochen wird.Volksschule Rötzergasse, eine erste Klasse. Die beiden Lehrerinnen Tanja Semrau und Barbara Kübler unterrichten hier gemeinsam Kinder, die neun verschiedene Muttersprachen haben. Deutsch ist nicht darunter. Zusätzlich sind fünf Schüler körperlich behindert oder entwicklungsverzögert. Liebevoll gehen die beiden Pädagoginnen auf jedes Kind einzeln ein. In einfachsten Worten wird jede Aufgabe der ganzen Gruppe und dann bei Bedarf auch nochmals jedem Kind individuell erklärt. Manche kommen besser mit, manche schlechter. Förderunterricht brauchen sie fast alle – hier wird in der Kleingruppe das Erlernte wiederholt. Leichter hätten es die Kinder, hätten sie vor der Schule bereits einen Kindergarten besucht. Doch vielen Familien ist der Kindergartenbesuch zu teuer. Oder aber man meint, keine Betreuung zu brauchen. Schließlich wird ohnehin in der Großfamilie gelebt. Groß geschrieben wird an Wiens öffentlichen Schulen das Prinzip des muttersprachlichen Unterrichts. Ein Serbokroatischlehrer und eine Türkischlehrerin versuchen in jeweils zwei Stunden pro Woche jenen Kindern, die daheim eine der beiden Sprachen sprechen, mit der Übersetzung der auf Deutsch neu erlernten Begriffe zu helfen, dabei aber auch gleichzeitig die eigene Muttersprache zu stärken. Für Kinder, die andere Sprachen wie etwa Polnisch, Rumänisch oder Bulgarisch sprechen, gibt es das Angebot, ihre Muttersprache nachmittags in speziellen Gruppen zu vertiefen. Auch Semrau – wie schon zuvor Kedja – betont: „Man kann eine neue Sprache nur dann gut lernen, wenn man die eigene beherrscht.“ Besonders schwer hätten es Kinder, deren Eltern bereits hier aufgewachsen sind und beispielsweise weder Türkisch noch Deutsch perfekt sprächen. Hier fehle das Sprachsystem, an dem man sich anhalten könne. Semrau und Kübler versuchen zwar, auf jedes einzelne Kind einzugehen, geben sich aber dennoch keinen Illusionen hin. Sie haben bereits gemeinsam eine Klasse von der ersten bis zur vierten Schulstufe betreut. In eine allgemein bildende höhere Schule ist keines von ihnen gewechselt. Und jetzt schon sind sich die beiden Lehrerinnen fast sicher: Auch aus dieser ersten Klasse wird wahrscheinlich kein Kind eine höhere Schule besuchen.Manfred Pinterits, Bezirksschulinspektor für den 7. und 15. Bezirk, betont im Gespräch mit NU, dass derzeit etwa 35 Prozent der insgesamt rund 60.000 Wiener Volksschüler nicht mit Deutsch als Muttersprache aufwachsen. Während allerdings 1990 nur neun Prozent solcher Kinder nach der Volksschule in eine AHS übergetreten seien, seien es heute knapp unter 50 Prozent. Dazu hätten auch die verschiedensten an den Schulen angebotenen Fördermaßnahmen – Begleitlehrer, Muttersprachenunterricht, das Unterrichtsprinzip des interkulturellen Lernens – beigetragen. Zum Vergleich: In Wien wechseln etwas über 60 Prozent der Volksschüler in eine höhere Schule.Entscheidend ist laut Pinterits die Möglichkeit der Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache, in die Sprache Deutsch einzutauchen. Das geschieht am besten mit Deutsch sprechenden Klassenkollegen. Die schlechteste Variante: In einer Klasse sitzen Kinder mit ein und derselben Muttersprache. Sie werden niemals Deutsch als Verständigungssprache benutzen.