Gewählt wurde in der Israelitischen Kultusgemeinde bereits Ende November, das Ergebnis ist seit geraumer Zeit bekannt. Eine Nachbetrachtung über Zahlen und Koppelungen.
Von Mark E. Napadenski
Vorweggesagt: Die IKG-Wahl 2022 hat nach Jahren der politischen Krisen in Österreich zumindest im Mikrokosmos der Israelitischen Kultusgemeinde für kaum Veränderung gesorgt. Gewählt wurde bereits Ende November, das Resultat manifestiert einen klaren Sieg für ATID, die Partei des Alt- und Neo-IKG-Präsidenten Oskar Deutsch. Trotz minimaler Verluste konnte sich ATID über der 31-Prozent-Marke und die Zahl der Mandate halten. Mandatszuwächse gab es hingegen beim VBJ Sefardim und Kehille, während die Parteien Chaj und Khal jeweils ein Mandat abgaben.
Interessant ist die genauere Betrachtung dieser Zahlen: So konnten nur zwei Parteien einen Zuwachs an Wählerstimmen verzeichnen, wobei dieser beim Bund sozialdemokratischer Juden – Avoda mit 0,09 Prozent äußerst marginal ist und für kein Extramandat ausreicht. Einziger wirklicher Wahlsieger ist das Team um Yaakov Frenkel: Kehille wurde von den Wählern mit mehr als fünf Prozentpunkte Zuwachs (von 11,68 auf 16,87 Prozent) und einem zusätzlichen Mandat belohnt und hat nun im Kultusvorstand vier statt bisher drei Sitze. Insgesamt gibt es 23 Mandate.
Grundsätzlich gilt bei Wahlen: Wer Prozente gewinnt, bekommt auch mehr Mandate. Oder? Dieser These widersprechen allerdings Bewegungen nach dem Ergebnis vom VBJ Sefardim. Sie haben nämlich trotz des zwar geringen Verlusts von 0,86 Prozent der Stimmen dennoch ein Mandat dazugewinnen können. Grund dafür sind vermutlich die Koppelungsverträge, die beinahe alle Parteien miteinander geschlossen haben. Darunter fallen ATID, VBJ, Kehille, VGJ, Khal und Avoda. Wer eine dieser Parteien ankreuzt, wählt alle anderen Parteien der Koppelung mit. Eben alle außer Chaj – Jüdisches Leben. Die Oppositionspartei musste daher einen ihrer beiden Sitze an die Großkoalition abgeben und liegt mittlerweile bei nur mehr einem Mandat.
Es ist bereits die dritte Wahl, zu der die Partei angetreten ist, die sich selbst als Gegengewicht zu der Koppelkoalition sieht. Hatte Chaj 2012 noch drei Sitze, so musste die Partei schon 2017 und nun auch 2022 Verluste verzeichnen. Anscheinend liegen Religiosität und Einigkeit vor Kritik und oppositioneller Politik. So ist es bezeichnend, dass gerade der ehemalige Block Religiöser Juden, der sich bereits 2017 zu Kehille unbenannt hat, die meisten Stimmen dazugewinnen konnte. Die Partei sieht sich selbst als Brückenbauer zwischen religiösen und säkularen Teilen der Gemeinde.
Koppelungen
Für außenstehende Personen mögen die Koppelungen einen befremdlichen Eindruck machen, sie sind allerdings eine gängige Praxis innerhalb der IKG. Wie genau sie aber funktionieren, ist selbst vielen Gemeindemitgliedern nicht bewusst. Kurz gesagt: Koppelungen sind Verträge, durch die Wählerstimmen anders (um)verteilt werden können. Auf der Website der IKG ist folgende Erklärung zu finden: „Jede wahlwerbende Liste kann sich mit anderen Listen verbinden, was vor der Wahl verlautbart wird. Dies hat bei der Mandatsvergabe zur Folge, dass die gekoppelten Listen nach Bestimmung der Wahlzahl bei der Mandatsverteilung als Einheit betrachtet werden und dadurch die Anzahl der nicht berücksichtigten Reststimmen möglichst geringgehalten wird. Innerhalb der Koppelung wird in einem weiteren Schritt eine eigene Wahlzahl ermittelt, anhand derer die der Koppelung zustehende Mandate auf die Listen verteilt werden.“
Wer nun auf den Geschmack gekommen ist und über das System Koppelung mehr wissen möchte, kann sich im Statut der IKG unter Paragraf 183 informieren.
Stabilität
Das Wahlergebnis ließ zudem auf eine erwartbare Besetzung des Präsidiums durch den Kultusvorstand schließen. Oskar Deutsch wurde mit 22 von 23 Stimmen zum dritten Mal in Folge wiedergewählt. Sein neuer Vize, Michael Galibov vom Verein Bucharischer Juden, bekam ebenfalls 22 Stimmen. Alt- und Neo-Vizepräsidentin Claudia Prutscher von ATID bekam gar 23 von 23 Stimmen.
Die vermeintliche Einigkeit hat aber zuletzt für widersprüchliche Resonanzen innerhalb der Israelitischen Kultusgemeinde gesorgt. Alles hinter verdeckter Hand, versteht sich. Dennoch scheint das Amt des Präsidenten in festen Händen zu liegen – und das sogar relativ erfolgreich. Zwar hat ATID bei der Wahl 2012 fast zehn Prozentpunkte und drei Mandate verloren, nun, zehn Jahre später, konnte Deutsch wieder einen Platz zurückergattern.
Trotz unterschiedlicher Krisen und einer generell politisch turbulenten Amtszeit scheint die Konstellation „alle mit allen und keiner mit Chaj“ seit zehn Jahren sehr stabil und überaus beliebt zu sein. Zwar gab es kleinere Skandälchen: Wir erinnern an den Impf-Fauxpas, der sogar für landesweite Schlagzeilen sorgte. Abseits dessen hat die IKG-Führung aber während der gesamten Coronakrise durchwegs gut und schnell den Mitgliedern der Gemeinde geholfen. Hier konnte relative Einigkeit und Resilienz bewiesen werden. Somit bedeutet das Ergebnis konstante „kaum Veränderung“, die vielleicht durch ihren erwartbaren Charakter den gewöhnlichen Wahnsinn erst genießbar macht.
Daten
Wahlberechtigte Mitglieder: 5490
Abgegebene Stimmen: 3320
Gültige Stimmen: 3308
Wahlbeteiligung: 60,47%
ATID – TEAM OSKAR DEUTSCH
1026, das sind 31,02%. Damit erhält die Partei 8 Mandate.
2017 erhielt die Partei 31,57% bzw. 8 Mandate.
VBJ SEFARDIM
870, das sind 26,30%. Damit erhält die Partei 7 Mandate.
2017 erhielt die Partei 27,06% bzw. 6 Mandate.
KEHILLE – TEAM YAACOV FRENKEL
558, das sind 16,87%. Damit erhält die Partei 4 Mandate.
2017 erhielt die Partei 11,68% bzw. 3 Mandate.
VGJ – VEREIN GEORGISCHER JUDEN
232, das sind 7,01%. Damit erhält die Partei 2 Mandate.
2017 erhielt die Partei 8,04% bzw. 2 Mandate.
CHAJ – JÜDISCHES LEBEN
222, das sind 6,71%. Damit erhält die Partei 1 Mandat.
2017 erhielt die Partei 8,04% bzw. 2 Mandate.
BUND SOZIALDEMOKRATISCHER JUDEN – AVODA
206, das sind 6,23%. Damit erhält die Partei 1 Mandat.
2017 erhielt die Partei 6,14% bzw. 1 Mandat.
KHAL ISRAEL
194, das sind 5,86%. Damit erhält die Partei 1 Mandat.
2017 erhielt die Partei 7,47% bzw. 2 Mandate.
Quelle: IKG Wien