Weltbühne für die Kunst

Marjorie Strider (1934–2014 ) war eine der bedeutendsten New Yorker Pop-Art-Künstlerinnen der 1960er Jahre. „Girl with Radish“ (1963) ist neben anderen modernen Klassikern in „New York: 1962 –1964“ im Jewish Museum zu bewundern. ©MARJORIE STRIDER

Gegründet 1904, zählt das Jewish Museum in New York zu den weltweit ältesten Institutionen dieser Art. Es thematisiert jüdische Kultur und Identität und ist eines der führenden Museen für Kunst nach 1945, das mit bahnbrechenden Ausstellungen Kunstgeschichte geschrieben hat.

VON MARK E. NAPADENSKI

Die „Museum Mile“ im Stadtteil Upper East Side ist kein sonderlich langer Abschnitt der eleganten 5th Avenue – aber ein einzigartiger. Zwischen der 70. und 110. Straße befinden sich die wichtigsten Museen der USA, vielleicht der Welt, die meisten von jüdischen Sammlern gegründet wie beispielsweise das von Frank Lloyd Wright als kühnes Architekturdenkmal erbaute Guggenheim Museum oder die auf österreichische und deut- sche Kunst des frühen 20. Jahrhunderts spezialisierte Neue Galerie, die von den Kunst- und Sammlerfreunden Serge Sabarsky und Ronald Lauder gegründet wurde. Und hier findet man auch das Jewish Museum New York, dessen Grundstein mit einem Ge- schenk von 26 Judaica aus dem Besitz des Richters Mayer Sulzberger gelegt wurde – in nächster Nähe zur Frick Collection mit dem Schwerpunkt europäische Kunst sowie dem imposanten Metropolitan Museum mit seinen exquisiten Sammlungen von der Antike bis zur Gegenwart.

Das Jewish Museum ist eine der ältesten Institutionen dieser Art weltweit. Mit seiner außergewöhnlichen, mehr als 30.000 Objekte umfassenden Sammlung von Kult- und Kunstge- genständen thematisiert es jüdische Kultur und Identität. Aber es ist auch eines der führenden Museen für Kunst nach 1945, für Neo Dada, Pop und Minimal Art, Konzept- und Objektkunst. Mit bahnbrechenden Ausstellungen von den 50er Jahren bis in die 70er Jahre hat es Geschichte geschrieben. Die Skulpturenschau Primary Structures im Frühjahr 1966 zählte dazu. Junge US-amerikanische und britische Bildhauer wie Donald Judd, Robert Morris, Carl Andre, Walter de Maria oder Fred Sandback sahen sich in erster Linie nicht als Handwerker, sondern als experimentelle Gestalter, als Ideenfinder. Sie bevorzugten industriell gefertigte oder bearbeitete Materialien. Sie entwickelten neue Farb- und Formsprachen, reduzierten ihr Vokabular auf klare, geometrische Grundstrukturen, eben auf sogenannte „Primary Structures“, die der Ausstellung den Titel gaben. Idee und Konzept waren wichtiger als die perfekte Ausführung. Dies spiegelte sich auch in der Art der Präsentation wider: Das Museum wurde buchstäblich zu einer Bühne für die Kunst. Was damals ein Novum war und für Aufregung sorgte – die Inszenierung –, ist heute musealer Alltag. Im Geist der Zeit

Visionär war wenige Jahre später auch die Ausstellung Software/ Information, die in Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt wurde. Diese Grenzüberschreitungen an den Schnittstellen von Kunst und Technologie, von formaler Freiheit und wissenschaftlicher Präzision, von künstlerischen und theoretischen Überlegungen haben bis heute nichts an Aktualität verloren.

Das Jewish Museum New York hatte den Geist der Zeit erfasst und in Ausstellungen einem breiten Publikum ermöglicht. Kunst, nicht nur für die Elite, sondern für möglichst viele. Auch hier wurden Grenzen überwunden. Dieser Weg, der seit den 1950er Jahren mit Ausstellungen wie Artists of the New York School: Second Generation eingeschlagen worden war – nämlich die amerikanische Gegenwartskunst in den Mittelpunkt zu stellen –, endete allerdings Ende der 1970er Jahre, als der Vorstand das Museum wieder konservativer positionierte. Es sollte, wenn man so will, einige Jahre der Zurückhaltung einlegen.

Das änderte sich erst wieder, als vor zehn Jahren, 2012, Claudia Gould, eine ausgewiesene Expertin für zeitgenössische Kunst, zur Direktorin berufen wurde. Gould, Tochter eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter, war unter anderem Kuratorin und Programmchefin des legendären PS1 in Queens, einem der größten Ausstellungs- und Veranstaltungshäuser für zeitgenössisches Kunstschaffen in den USA. In den 1990er Jahren war sie geschäftsführende Direktorin des gemeinnützigen Artists Space, ehe sie von 1999 bis 2011 Direktorin des Institute of Contemporary Art (ICA) in Philadelphia wurde.

Führendes Haus

Mit ihren Verbindungen zur Kunstszene belebt sie nun seit zehn Jahren das Jüdische Museum in New York, das sich schon einmal, unter Alan Solomon, als Ort für zeitgenössische Kunst etabliert hatte. Daran wird auch die Ausstellung erinnern, die ab 22. Juli zu sehen sein wird: New York: 1962 –1964 thematisiert mit Arbeiten von Donald Judd, Jim Dine, Merce Cunningham, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg, Carolee Schneeman, Larry Rivers, James Rosenquist und zahlreichen anderen Kunststars der 1960er Jahre den Einfluss des jüdischen Museums nicht nur auf die New Yorker, sondern auf die internationale Kunstszene. Und unter dem Titel The Camera Was Always Running ist noch bis Anfang Juni die erste museale Überblicksausstellung des aus Litauen gebürtigen Filmemachers und Dichters Jonas Mekas (1922–2019) zu sehen: Mekas, von den Nazis eingesperrt, Kriegsflüchtling, kam völlig mittellos gemeinsam mit seinem Bruder nach Amerika und wurde zu einer Ikone – und zum Chronisten – der New Yorker Avantgarde-Szene. Nicht zuletzt wegen dieser umfangreichen Mekas-Personale zählt das Jewish Museum zu Amerikas führenden Häusern für zeitgenössisches Kunstschaffen – das mit führenden internationalen Häusern kooperiert, wie etwa mit dem Jüdischen Museum Wien.

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