Der erste Kibbuz wurde 1910 südlich des Sees Genezareth errichtet. Doch noch vor der Staatsgründung Israels errichteten 1946 Hagana-Pioniere in einer streng geheimen Mission in der Wüste elf jüdische Siedlungen – die als elf Punkte im Negev bekannt wurden.
Von Mark E. Napadenski
In der ländlich geprägten Gegend rund um den Gazastreifen leben die Bewohner in kleinen, 400 bis 800 Menschen zählenden, Gemeinschaften. Einer dieser Kibbuzim ist Re’im, wo am 7. Oktober etwa 300 Menschen beim „Tribe of Nova“-Festival in den Morgen getanzt haben, als sie von der Hamas grausam hingemetzelt wurden. Auch in den Kibbuzim Be‘eri und Kfar Aza wüteten Hamas-Terroristen, löschten ganze Familien aus.
Der Begriff Kibbuz kommt aus dem Hebräischen und bedeutet so viel wie „sich versammeln“. Die Idee dazu entstand im späten 19. Jahrhundert und fußt auf sozialistischen Idealen einer freien, gleichberechtigten und offenen Gesellschaft, wonach es kein Privateigentum geben dürfe und das Leben gemeinschaftlich organisiert werden solle. Auch die Erziehung der Kinder solle Aufgabe des Kollektivs sein. Der erste Kibbuz, Degania Alef, wurde bereits 1910 südlich des Sees Genezareth gegründet, rasch entstanden weitere dieser wehrhaften Enklaven. Religion spielte zunächst keine Rolle, erst später gab es säkulare und religiöse Kibbuzim. Viele einflussreiche Persönlichkeiten aus Politik und Militär stamm(t)en aus einem Kibbuz, der zum Sinnbild für gesellschaftlichen Wandel und Vorbild für viele utopische Projekte weltweit wurde. Heute sind viele Kibbuzim nicht mehr streng kollektivistisch organisiert, viele Prinzipien wurden gelockert, neue Geschäftsfelder, etwa im Tourismus, erschlossen.
Strategische Faktoren
Für die jeweilige Positionierung von Städten, Gemeinden und Siedlungen wurden sowohl ökologische als auch strategische Faktoren berücksichtigt. So existierten auch schon vor der Staatsgründung vor allem im historisch gut besiedelten Norden einige Kibbuzim, aber für die Souveränität des entstehenden Staates spielte speziell das karg besiedelte Wüstengebiet im Süden eine wichtige strategische Rolle. Die Negev-Wüste macht einen erheblichen Anteil der Landfläche Israels aus. Als der Morrison-Grady-Plan im Juli 1946 zur Aufteilung Palästinas den Negev aus den Grenzen des jüdischen Staates herausnehmen und die jüdische Besiedlung im gesamten Gebiet verbieten wollte, gab es dort kaum jüdische Siedlungen. Als Reaktion darauf beschlossen die Institutionen des werdenden jüdischen Staates – der Jüdische Nationalfonds, die Jewish Agency, die Hagana (eine zionistische, paramilitärische Untergrundorganisation) und das Mekorot-Wasserunternehmen –, die jüdische Besiedlung im Negev zu forcieren, um sicherzustellen, dass sie Teil des jüdischen Staates bleibt.
Auch die Verteidigung des Landes nach der bevorstehenden Gründung sollte dadurch gesichert werden. Die Vorbereitungen mussten unter absoluter Geheimhaltung erfolgen. Nach Sonnenuntergang und dem Fastenende von Jom Kippur, erreichten am 6. Oktober 1946 elf Pioniergruppen ihre elf Ziele: Elf Siedlungen wurden in dieser Nacht gleichzeitig gegründet. Diese elf Siedlungen wurden als die elf Punkte der Negev bekannt: Kedma und Gal-On im Nordosten der Negev; Schoval und Mischmar HaNegev etwas weiter südlich; Nevatim und Hatzerim in der Nähe der Stadt Beer Sheva; Urim im Westen; Tekuma, Be’eri, Nirim, die an den Gazastreifen grenzen sowie Kfar Darom, das heute in Gaza liegt.
In der Küstenebene im Süden Israels, wo sich heute der Gazastreifen befindet, hatten sich lange Zeit sowohl Juden als auch Araber angesiedelt. 1929 wurden sämtliche Juden vertrieben, bis der Kibbuz Kfar Darom gegründet wurde. Diese Region verfügt über fruchtbares Land und günstige klimatische Bedingungen für die Landwirtschaft.
Doch die Zukunft gestaltete sich nicht so friedlich wie erhofft. Die Kibbuzim wurden unmittelbar nach der Staatgründung im israelischen Unabhängigkeitskrieg zur Zielscheibe; nach konfliktreichen Jahrzehnten wurde der Kibbuz Kfar Darom im Jahr 2005 von den Israelis wieder aufgegeben. In den frühen Jahren Israels und insbesondere während der andauernden Konflikte mit den Palästinensern im Gazastreifen waren die jüdischen Siedlungen wichtig, um die Grenzen zu sichern und die Souveränität Israels in dieser Region zu verteidigen.
Bedeutsamer Zuzug
Insgesamt leben etwa vier Prozent der Israelis, also 130.000 Menschen, in einem der 270 Kibbuzim, wobei die Gegend nahe des Gazastreifens in den vergangenen Jahren einen bedeutsamen Zuzug verzeichnet hat. Israels rasch wachsende Bevölkerung, die teuren Mieten in Städten wie Tel Aviv und Jerusalem, lockten viele Israelis, vor allem junge Familien, in den Süden, wo Kibbuzim, die zwar oftmals bereits privatisiert wurden, ihren Mitgliedern kostenloses Wohnen sowie kostenlose Kindererziehung offerieren. Trotz der ständigen Gefahr von Raketenbeschüssen floriert(e) das Leben in der Region. Bis zum Blutbad der Hamas.