Von Paul Chaim Eisenberg
Als Rabbiner sehe ich alles vom Blickwinkel der Bibel und des Talmud.
Ich habe in Amerika einen Enkel, der Down-Syndrom hat. Als er geboren wurde, waren wir natürlich alle sehr bestürzt. Wir haben auch viel darüber gesprochen, ob meine Tochter und ihr Mann, der zufällig auch ein Rabbiner ist, imstande sein werden, die Probleme der Erziehung eines solchen Kindes zu meistern. Diese Diskussionen haben wir auf Englisch geführt und damals, vor 15 Jahren, habe ich zum ersten Mal die Bezeichnung „special child“ gehört. Inzwischen hat er schon Bar Mizwa gemacht, geht in eine Schule, spielt Basketball und wir sind stolz auf ihn und seine Eltern, die ihn mit sehr viel Liebe und Unterstützung so weit gebracht haben.
Der Begriff Political Correctness wird von verschiedenen Gruppen unterschiedlich beurteilt. PC heißt, dass man niemanden willentlich und wissentlich diskriminiert, sei es wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung, Hautfarbe, der Abstammung, der sexuellen Ausrichtung oder der Religion.
Jackie Mason, mittlerweile 92 Jahre alt, ist ein brillanter jüdischer Comedian und ein scharfer Beobachter der US-amerikanischen Gesellschaft. In einem seiner Sketches parodiert er diese Political Correctness auf folgende Weise. Er macht das natürlich in Englisch mit ein paar jiddischen Einsprengseln, hier kriegen Sie die Eisenbergsche Übersetzung:
„Wenn viele Leute sich um einen Job bewerben, dann glaubt man, dass der geeignetste Kandidat für den Job ihn auch bekommt. Am ehesten bekommt man einen Job, wenn man eine weibliche, schwarze, behinderte, lesbische Jüdin ist. Für jede einzelne dieser Zuschreibungen wurde man früher benachteiligt. Daher schreibt eine übertriebene PC jetzt vor, diese Menschen nicht nur gleich zu behandeln, sondern mehr noch, sie zu bevorzugen. Und so wird diese erwähnte Person den Job bekommen und kann auch nie gekündigt werden.“ (Sketch-Ende)
Macht sich Jackie Mason über Political Correctness lustig?
Auf alle Fälle kann man alles übertreiben. Besonders konservative Menschen halten lieber an ihren früheren Vorurteilen fest; liberalere versuchen, ihre Haltungen zu überdenken. Ein Beispiel: Wenn man heute ins Wiener Rathaus geht, gibt es an vielen Stellen nicht nur Stiegen, sondern Rampen, damit auch behinderte Menschen Eintritt erlangen. Dahinter gibt es besonders große Aufzüge, und die Eingangstüren öffnen automatisch.
Die Menschen, die dies erfunden haben, halten das für politisch korrekt und gut. Die Gegner der PC regen sich auf, dass das zu viel Geld kostet und schlagen eine konservative Lösung vor: Die Rollstuhlfahrer könnten ja jemanden beauftragen, die Amtswege im Rathaus zu erledigen.
Manche Menschen diskriminieren andere eigentlich nur mit Worten und berufen sich auf das Recht der freien Rede.
Ein Wort über Glauben und Feminismus: Bei einem meiner Vorträge im Dominikanerkloster auf der Dominikaner Bastei habe ich gelernt, dass es klüger – wenngleich auch intoleranter – ist, nicht zu viele Fragen zuzulassen. Eine Zuhörerin versuchte mich zu überzeugen, dass Gott eine Frau sei. Die Mönche schauten zu mir und deuteten an, dass ich diese Frage nicht beantworten müsse. Mir ist damals folgende Antwort eingefallen: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die gute Nachricht ist, dass Gott kein Mann ist. Die schlechte Nachricht ist, dass Gott auch keine Frau ist. Er ist nämlich Gott und kein Mensch.“
Zur Zeit der Inquisition in Spanien vor zirka 500 Jahren wurden viele Juden vor die Wahl gestellt, sich taufen zu lassen oder hingerichtet zu werden. Viele ließen sich tatsächlich hinrichten, andere ergriffen, wenn sie konnten, die Flucht. So kamen die sephardischen Juden unter anderem auch nach Holland und bis in die Türkei. Wieder andere Juden versuchten zum Schein zum Christentum zu konvertieren und ließen sich pro forma taufen, praktizierten aber im Geheimen weiterhin ihr Judentum. Googeln Sie „Marranen“ oder „Marranos“! Es würde zu weit führen, jetzt einen ganzen Artikel über das Kol Nidre zu schreiben. Interessant ist aber, dass unmittelbar davor eine Deklaration von drei Juden mit Torarollen laut vorgetragen wird. In dieser Deklaration heißt es: „Mit Zustimmung des Allgegenwärtigen und mit Zustimmung der Gemeinde, mit Erlaubnis des himmlischen Gerichts und mit Erlaubnis des irdischen Gerichts erklären wir es für erlaubt, mit den Sündern zu beten.“ Gemeint sind, nach einer Tradition, die Conversos, also die Konvertierten, die im Herzen Juden geblieben sind. Diese kamen, so die Legende, am Jom Kippur in die Synagoge, um ihr Schuldgefühl loszuwerden. Die Liturgie stellt fest, dass auch sie willkommen sind.
Traut sich der Rabbiner, auch etwas über Homosexuelle zu sagen? Immerhin steht deutlich in der Tora, dass gleichgeschlechtliche Liebe nicht erlaubt ist. Als ich von einem älteren Tempelbesucher gefragt wurde, was denn meine Meinung zu jenen homosexuellen Menschen sei, die sogar in den Tempel kommen, sagte ich: „Die sind Sünder.“ Und nach einer kurzen Pause setzte ich fort: „Wie wir alle.“
Reden wir zum Abschluss von einem weiteren Feiertag, nämlich Purim. Dieses Fest feiert die Errettung der Juden Persiens, angeführt von Haman, vor einem Pogrom. Die jüdische Königin Esther und ihr Onkel Mordechai schafften es, dieses Pogrom zu verhindern. Purim ist also wirklich ein Grund, fröhlich zu sein. Im Talmud heißt es, wir dürfen, ja, wir sollen am Purim sogar ein wenig über das Maß trinken. Da wir nicht wissen, wie viel „ein wenig“ ist, sagt der Talmud, man solle so ausgelassen sein, dass man nicht mehr zwischen „Gesegnet sei Mordechai“ (der Held des Purim-Festes) und „Gescholten sei Haman“ (der Antisemit) unterscheiden kann. „Fundis“ sagen, dass man sich sinnlos betrinken muss, denn wie sollte man sonst Mordechai und Haman nicht mehr unterscheiden können? Eine kluge Erklärung, die auch schon ein paar hundert Jahre alt ist, lautet hingegen, dass man nur so viel trinken soll, dass man kurz einschläft. Denn im Schlaf kann man wirklich nicht zwischen dem Guten und dem Bösewicht unterscheiden …
Und ich würde noch anfügen: Man soll am Purim vor allem nicht selber das Auto fahren.