Was bestimmt kein Denkmal ist

„Das temporäre Kunstwerk ist ein auffälliges, weithin sichtbares Zeichen, das sowohl einen tatsächlichen als auch einen gedanklichen Raum öffnet, in dem differenzierendes Nachdenken über den politischen Populismus der Vergangenheit und Gegenwart möglich ist“, meint Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. ©Nicole Six /Paul Petritsch

Bis zur Realisierung eines permanenten Denkmals wird die temporäre Installation „Lueger Temporär“ auf die Debatte über das Lueger-Denkmal reagieren. Drei Positionen zur endgültigen Entscheidung über eine vorläufige Kontextualisierung.

Bunter Abenteuerspielplatz

Von Thomas Trenkler

Die Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) scheint die Sache in die Länge ziehen zu wollen: Nach Jahren des Nachdenkens kündigte sie im April 2021 an, eine Lösung für das umstrittene Karl-Lueger-Denkmal zu erarbeiten. Im Rathaus wurde zu einem runden Tisch eingeladen, ansonsten passierte nichts: Die Ausschreibung für eine permanente Kontextualisierung sollte erst im Oktober 2022 veröffentlicht werden.

Manche aber brachte der verherrlichende Umgang mit dem populären wie populistischen Bürgermeister, der sich erfolgreich des strukturellen Antisemitismus bedient hatte, zum Murren: Es wurde ein kategorischer Denkmalsturz gefordert. In dieser eher misslichen Situation – die Stadträtin hält nicht viel von „cancel culture“ – entschloss sich die Stadt, das Karl-Lueger-Denkmal zunächst temporär zu kontextualisieren. Ohne Ausschreibung, ohne demokratische Prozesse wurden Nicole Six und Paul Petritsch mit einer Installation beauftragt.

Und wenn die Stadtregierung etwas will, dann klappt das auch ganz problemlos mit den Genehmigungen. Welche Hürden hatten Eduard Freudmann und seine Mitstreiterinnen einst zu überwinden, als sie auf dem Schillerplatz das Denkmal für den NS-Dichter Josef Weinheber kontextualisieren und die einzementierte Gesinnung der Stadt entlarven wollten! Damals sorgte sich der Magistrat, dass man in die Vertiefung rund um den absurd großen Betonsockel fallen könnte. Aber jetzt? Gibt es zu Ehren von Lueger einen fröhlich-bunten Abenteuerspielplatz, den man nur all zu leicht beklettern kann. Da wird es wieder eine (Mahn-)Wache brauchen! (Dies schrieb der Autor am 12. Oktober; bis zum Redaktionsschluss von NU ist allerdings nichts Auffälliges passiert, Anm.)

Die Laubsäge-Arbeit im Riesenformat, 39 Meter lang, präsentiert im Originalmaßstab „alle auffindbaren Lueger-assoziierten Ehren- und Denkmäler von Wien“ anhand ihrer Umrisslinien, darunter Reliefs, die Lueger-Kirche und andere Bauwerke. Auf dem Karl-Lueger-Platz soll nun zu erkennen sein, wie sich Lueger auf unterschiedlichen Ebenen „in das Gedächtnis der Stadt eingeschrieben“ habe.

Dieses bis zu elf Meter hohe „diskursive Schaulager“ ist damit aber eine völlige Themenverfehlung, die keine Kritik an den Einstellungen des Bürgermeisters übt, sondern Luegers Ruhm noch mehrt: Die Arme stolz auf die Brust gelegt, blickt die kupfergrüne Statue mit großem Wohlgefallen auf all die anderen Ehrenbezeugungen – und auch auf die Umrisslinien einer anderen Lueger-Statue.

Bei der „Einweihung“ – eben am 12. Oktober – forderten Vertreterinnen und Vertreter der Jüdischen Hochschülerschaft mit Plakaten: „Antisemitismus thematisieren – nicht bunt dekorieren.“ Die Installation verweise „in keiner Weise und ganz bestimmt nicht […] auf die Problematik der antisemitischen Geschichte Wiens und Luegers“, hieß es dazu in einer Aussendung. „Vielmehr wird der Platz erneut mit den ,Errungenschaften‘ Luegers versehen und damit die Ehrung seines politischen Wirkens nicht beendet, sondern mit bunten Farben geschmückt und der Antisemitismus damit verdeckt.“

Und auch die Wiener Grünen orten „eine weitere Überhöhung der Figur Lueger“: Man hätte jetzt, im Jahr vor der finalen Neugestaltung des Lueger-Platzes, die Chance, eine öffentliche Debatte zur Lueger-Statue zu führen. Stattdessen stehe hier „ein riesiges Objekt, das quasi die Recherche-Ergebnisse“ von Nicole Six und Paul Petritsch visualisiere. Lueger werde mit der neuen Installation nochmals größer gemacht.

Der Beitrag erschien am 12. Oktober 2022 im Kurier und wurde für NU erweitert.

Endlich umbenennen!

Von Walter König

Nach fast hundert Jahren wird das einzige Denkmal, das je ein Wiener Bürgermeister bekam, künstlerisch umgestaltet werden. Es genügt allerdings nicht, sich nur um den überlebensgroßen Bronze-Koloss des „schönen Karl“ mit dem gepflegten Bart zu kümmern. SPÖ-Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler trägt aufgrund der rabiat antisemitischen Wiener Geschichte eine besondere Verantwortung auch für den Platz, der immer noch – seit 78 Jahren! – nach Karl Lueger benannt ist, einem fanatischen Judenhasser, Warner vor der „Verjudung der Wiener Universitäten“, der Juden als „Raubtiere in Menschengestalt“ und „Gottesmördervolk“ bezeichnete.

Inkonsequenterweise wurde vor 18 Jahren nur der Universitätsring umbenannt, an anderen Orten ging der üppige Lueger-Huldigungskult halbherzig-österreichisch und geschichtsvergessen weiter, wie die kürzlich errichtete Installation Lueger Temporär ein Jahr lang aufzeigen soll. Sie dokumentiert, wie der hetzende „Radau-Antisemit“ und „Vulgär-Populist“ immer noch der fesche „heimliche Kaiser“ ist, der früher sogar „Herrgott von Wien“ genannt wurde. Obwohl ihn die Vergangenheitsforschung zum weitaus einflussreicheren Wiener Wegbereiter des NS-Vernichtungs-Antisemitismus erklärt als beispielsweise Ritter von Schönerer. So tiefgreifend und nachhaltig war die Effektivität der NS-Ideologie, dass sie bis heute nachwirkt und – sollte nicht immer wieder echte Vergangenheitsbewältigung stattfinden – noch weiter nachwirken wird. „Groß-Wien darf nicht Groß-Jerusalem werden!“ – Sätze wie diese, mit denen Lueger aufwiegelte, sind auch heute Parolen.

Radikale Worte gebären radikale Taten, zumal derzeit ein aggressiver Sprachgebrauch zunimmt.

Elf Seiten widmete Adolf Hitler in Mein Kampf seinem Vorbild Lueger. Später kopierte er dessen gezielt eingesetztes Erfolgskonzept für eine antijüdische Massenbewegung. „Er ist der gewaltigste deutsche Bürgermeister aller Zeiten,“ schrieb Hitler begeistert über diesen „begnadeten Massenpolitiker und hinreißenden Rhetoriker“ und lobte dessen „unnachahmliches Gefühl für Massen-Stimmungen und -Bedürfnisse“. Hitler nahm 1910 auch an der Prunk-Beerdigung seines Idols, das sein Weltbild prägte und radikalisierte, am Zentralfriedhof teil.

Bei aller seinerzeitigen Popularität Luegers ist ein unkritisches Gedenken mit einer modernen Großstadt nicht mehr in Einklang zu bringen. Es reicht. Ein konkreter nachhaltiger Akt wäre die Löschung der Bezeichnung „Lueger-Platz“.

Es geht dabei nicht um die Auslöschung eines Christlich-Sozialen durch linken Gesinnungsterror, wie oft parteipolitisch polemisiert wird. Es geht um die Suche nach Sinnstiftung und Umfunktionierung dieses Platzes in einen Ort des Diskurses und der Geschichtsaufarbeitung. Bis jetzt war er leider auch Treffpunkt für Rechtsextremisten.

Umbenennungen würden die Geschichte tilgen, wenn Unliebsame zugunsten von „Gutmenschen“ aus der Öffentlichkeit entfernt würden, sagen die Gegner, obwohl das Denk- und Mahnmal sowieso bleibt und keineswegs „entehrt“, sondern „kontextualisiert“ wird. Der ewige Lueger-Disput müsse damit beendet sein, sagt die Stadträtin und möchte auch den Namen des Platzes beibehalten. Warum? In Zeiten, in denen Verschwörungsmythen, Rassismus und autokratische Strukturen wieder im Aufwind sind, ist es wichtig, sich mit der ältesten Verschwörungstheorie zu beschäftigen: dem Antisemitismus.

Wir machen uns schuldig, wenn in unserer Stadt Menschen namentlich geehrt werden, die gegen Juden oder andere gesellschaftliche Gruppen hetzen. Dagegen heißt es Widerstand leisten. Widerstandskämpferinnen und -kämpfer sind natürlich ein unbequemes Ärgernis. Sie zeigen Handlungsalternativen auf. Das darf es offenbar nicht geben. Wenn alle ausnahmslos schuldig sind, ist es keiner. Wir konnten ja nicht anders.

Schuld kann von den Opfern verziehen werden. Viel wichtiger ist Scham, aus der

konkrete Verantwortung folgt. Für Denkmal- und Platzveränderung braucht es politischen Mut, historisches Bewusstsein und Fingerspitzengefühl. Eine halbherzige Statuen-Intervention allein läuft Gefahr, die Menschen abzustumpfen. Schämen müsste sich die Politik für feige und halbe Lösungen.

Ich rege daher an, den Platz nach einer Widerstandkämpferin zu benennen und damit symbolisch einen Ort zu schaffen, der zum Nachdenken auffordert: Rosa Jochmann. In Kaiserebersdorf hat sie eine Tafel am Stadtrand. Sie gehört ins Herz der Stadt, um Debatten über Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und zeitgemäße Formen von moderner Erinnerungskultur im Stadtbild anzuregen.

Zivilcourage gefordert

Von Fritz Rubin-Bittmann

Stefan Zweig hat in seiner Welt von Gestern Karl Lueger eines der schönsten Denkmäler gesetzt – in voller Kenntnis seiner politischen Ambivalenzen und Ambiguitäten: „Er konnte populär sprechen, war vehement und witzig, aber selbst in den heftigsten Reden überschritt er nie den Anstand… und sein offizieller Antisemitismus hat ihn nie gehindert, seinen früheren jüdischen Freunden wohlgesinnt und gefällig zu bleiben.

Als seine Bewegung schließlich den Wiener Gemeinderat eroberte und er – nach Verweigerung der Sanktionierung durch Kaiser Franz Joseph, der die antisemitischen Tendenzen verabscheute – zum Bürgermeister ernannt wurde, blieb seine Stadtverwaltung tadellos gerecht und sogar vorbildlich demokratisch; die Juden, die vor diesem Triumph der antisemitischen Partei gezittert hatten, lebten ebenso gleichberechtigt und angesehen weiter. Noch war nicht das Hassgift und der Wille zur gegenseitigen restlosen Vernichtung in den Blutkreislauf der Zeit gedrungen.“ Es wundert mich, dass die Anhänger der Cancel Culture nicht fordern, diese Passage zu löschen oder zumindest umzuschreiben. Politischer Ikonoklasmus ist seit jeher auf Zerstörung aus. Eine Beseitigung oder Veränderung des Lueger-Denkmals wäre Kultur-Vandalismus.

Lueger, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, galt im dritten Bezirk, wo er seit 1876 seine Kanzlei hatte, als „Anwalt der kleinen Leute“. Hier war der jüdische Arzt Dr. Ignaz Mandel als „Armenmediziner“ ungemein beliebt. Mandel war auch Bezirkspolitiker und Luegers großes Vorbild. Zwischen den beiden bestand eine enge persönliche und politische Verbindung. Jahre später, als Lueger bereits Parteiführer der Christlich-Sozialen war, wurde ihm seine Beziehung zu jüdischen Freunden vorgeworfen. Seine Antwort ist bekannt: „Wer ein Jud ist, das bestimme ich.“ Den präexistenten Antisemitismus der Menschen nutzte er zur Erreichung seiner politischen Ziele.

In seiner Zeit als Bürgermeister von 1897 bis 1910 machte er Wien zu einer der großen Metropolen Europas, realisierte zahlreiche kommunale Großprojekte, verwirklichte die zweite Wiener Hochquellenwasserleitung, kommunalisierte Gas- und Elektrizitätsversorgung und die Straßenbahnen. Er war im sozialen Bereich engagiert und lies das Versorgungsheim Lainz und die Psychiatrie Steinhof bauen.

Als Bürgermeister erwies er den Wiener Juden Respekt und Wertschätzung. Unter seiner Regentschaft gab es keine Diskriminierung jüdischer Bürger. Lueger wurde vom damaligen sozialistischen Bürgermeister Karl Seitz sowie zahlreichen jüdischen, der Sozialdemokratie nahestehenden Publizisten als bedeutender Bürgermeister und Modernisierer Wiens geschätzt. Er war ein typischer Repräsentant des Munizipialsozialismus: „Dem kleinen Mann muss geholfen werden.“

Mit dem Auftreten der Alldeutschen unter der Führung des Abgeordneten Georg Ritter von Schönerer wurde der Rassenantisemitismus zum Parteiprogramm erhoben. „Gegen Juda, Habsburg und Rom bauen wir den deutschen Dom“ war eine Parole von Schönerers, eine andere richtete sich gegen assimilierte und konvertierte Juden: „Was der Jude glaubt, ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei.“ 1891 zogen bereits dreizehn deklarierte Antisemiten als Abgeordnete ins Parlament ein. Im österreichischen Reichsrat und später im Parlament der Ersten Republik gab es wiederholt wüste Judendebatten, in denen sich Karl Renner als ausgewiesener Judenfeind hervortat. In rabiater und flegelhafter Weise beschimpfte er die Juden, sodass eine jüdische Zeitung monierte: „Anscheinend können Antisemitismus und Sozialismus Hand in Hand miteinander gehen.“

Renner war ein Opportunist par excellence. 1917 ätzte Friedrich Adler, Karl Renner sei der Lueger der Sozialdemokratie. Er verherrlichte die Politik der Nationalsozialisten, verehrte Hitler und betrieb Anschlusspropaganda für Hitlerdeutschland. Er diente sich dem Nationalsozialismus wiederholt an und denunzierte Menschen. Doch Renners und Luegers Antisemitismus wird von Vertretern der Cancel Culture mit zweierlei Maß gemessen: Auf dem linken Auge ist man blind, mit dem rechten Auge schaut man durch eine Lupe. Also soll das Lueger-Denkmal als Symbol des Antisemitismus beseitigt werden, nicht aber die Renner-Büste am Ring. Dabei war Karl Renner im Gegensatz zu Lueger nicht aus opportunistischen Gründen Antisemit. Auch nach der Schoa hielt er im Parlament antisemitische Reden, war ohne Mitleid für sechs Millionen ermordete Juden und forderte überlebende jüdische Sozialdemokraten auf, im Exil zu bleiben, da man sie in Österreich nicht brauchen könne.

In diesem Sinne halte ich den Vorschlag des Historikers und überzeugten Sozialdemokraten Oliver Rathkolb, den Renner-Ring in Parlaments-Ring umzubenennen, für eine ausgezeichnete Idee. Die Stadt Wien hat vor kurzem entschieden, das Lueger-Denkmal zu belassen und künstlerisch zu kontextualisieren. 2023 soll dieses Konzept realisiert werden. In der Zwischenzeit wird eine Holzkonstruktion von bis zu elf Meter Höhe und 39 Meter Länge vor der Lueger-Statue aufgestellt. Etwa 100.000 Euro soll diese temporäre Installation kosten, die an Hrdlickas berühmtes Pferd erinnert. Fraglos ist sie besser als die kalligrafische Besprayung des Denkmalsockels mit dem Begriff „Schande“.

Es ist leicht, sich 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus zu positionieren, für tote Juden Gedenkfeiern zu organisieren und dabei den gegenwärtigen muslimischen Antisemitismus zu bagatellisieren. Dieser ist ein Tabuthema. Aber es wäre wichtig, diesen neuen Antisemitismus mit jenen Energien zu bekämpfen, die gegen Lueger aufgebracht und verschwendet werden. Die muslimischen Judenhasser kennen weder den Namen Lueger, noch wissen sie, wer dieser war. Blind für das zu sein, was sich gegenwärtig abspielt, erinnert an die 1930er Jahre, als man die politischen und gesellschaftlichen Gefahren ebenfalls nicht rechtzeitig erkannte.

Gegen den toten Lueger anzukämpfen, erfordert keinen Mut. Gegen die Judenfeinde der Gegenwart zu kämpfen, erfordert hingegen Verantwortungsbewusstsein und Zivilcourage.

„Ich bin gegen die Entfernung von Geschichte aus dem öffentlichen Raum“, so Bezirksvorsteher Markus Figl. „Mit der temporären künstlerischen Installation wird eine differenzierte Betrachtung der Persönlichkeit von Dr. Karl Lueger ermöglicht.“ ©Nicole Six und Paul Petritsch
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