Die Rabbiner Arthur und Marc Schneier, Vater und Sohn, setzen sich seit Jahrzehnten für den Dialog des Judentums mit anderen Religionen ein. Ihre Verdienste reichen von der interreligiösen Verständigung mit der römisch-katholischen Kirche bis zum Dialog mit dem Islam. Ein Porträt dieser beiden Vorkämpfer für gegenseitigen Respekt.
Von Martin Engelberg
„Nicht Toleranz – gegenseitiger Respekt und Verständnis.“ Mit diesen Worten trat der aus Österreich gebürtige und seit fast sechzig Jahren in den USA amtierende Rabbiner Arthur Schneier vor der UNO in New York auf. „Ich mag das Wort Toleranz nicht“, präzisierte er, „Toleranz bedeutet, dass ich dir überlegen bin. Ich möchte nicht toleriert sein. Ich möchte gegenseitigen Respekt und Verständnis.“
Als Rabbiner setzte sich Arthur Schneier zeitlebens genau dafür ein – für den gegenseitigen Respekt zwischen den verschiedenen Religionen. US-Präsident Bill Clinton ehrte ihn deshalb 2001 mit der „Presidential Citizen Medal“, einer der höchsten Auszeichnungen der USA, und würdigte ihn mit folgenden Worten: „Rabbi Schneier, ein Holocaust-Überlebender, widmete sein Leben der Aufgabe, Hass und Intoleranz zu überwinden. Er ist ein inspirierendes Beispiel für eine spirituelle Führung, die den interreligiösen Dialog und das interkulturelle Verständnis anregt und die Sache der religiösen Freiheit in der ganzen Welt unterstützt.“
Arthur Schneier, 1930 in Wien geboren, überlebte die Schoah in Ungarn; 1947 wanderte er in die USA aus, wo er an der Yeshiva University in New York City zum Doktor der Theologie promovierte und zum Rabbiner ordiniert wurde. Seit 1962 ist er das religiöse Oberhaupt der Park East Synagogue, die unter seiner Führung zu einer der renommiertesten Synagogengemeinden wurde.
Schon bald setzte er sich für den interreligiösen Dialog ein und wurde so zu einem der wichtigsten jüdischen Ansprechpartner für den Vatikan. Als Höhepunkt seiner Bemühungen gilt der Besuch von Papst Benedikt XVI. in der Park East Synagogue im Jahr 2008. Gemeinsam mit Rabbiner Schneier bekräftigte der Papst das Bekenntnis der römisch-katholischen Kirche zur historischen Erklärung Nostra Aetate, in der das Zweite Vatikanische Konzil im Jahr 1965 Wahres und Heiliges in den anderen Religionen anerkannte und die bleibende Erwählung des Judentums, in dem das Christentum wurzelt, bestätigte.
Papst Franziskus ehrte Rabbiner Arthur Schneier schließlich im Jahr 2015 auch noch mit dem selten verliehenen päpstlichen Silvesterorden für Verdienste um die römisch-katholische Kirche. In der Laudatio dankte ihm der Erzbischof von New York, Kardinal Timothy M. Dolan, im Namen des Papstes für die gute Arbeit, die er für religiöse Freiheit, internationalen Frieden und Gerechtigkeit geleistet hat.
In der Park East Synagogue konnte Schneier auch zahlreiche Würdenträger anderer Religionsgemeinschaften begrüßen, so zum Beispiel den griechisch-orthodoxen ökumenischen Patriarchen Bartholomeos I., den Patriarchen von Moskau, Alexey I., die Großmuftis von Zentralasien und Bosnien-Herzegowina sowie den Generalsekretär der World Muslim League, Muhammed bin Abdul Karim bin Abdulazih Al-Issa.
Nachdem er als einer der Hauptredner auf einer vom saudischen König Abdullah organisierten, interreligiösen Konferenz in Madrid aufgetreten war, hielt Arthur Schneier 2018 eine vielbeachtete Rede vor dem österreichischen Nationalrat im Rahmen eines gemeinsamen Bekenntnisses zu „Nie wieder“. Auch in Österreich ist Rabbi Arthur Schneier Träger höchster staatlicher Auszeichnungen.
Am Beginn einer Reise
„Während mein Vater sicher für seine großartigen Beziehungen zur katholischen Kirche in die Geschichte eingehen wird, sind diese für unsere Generation nicht mehr so zentral.“ In vielerlei Hinsicht umstrittener ist Arthur Schneiers Sohn Marc. Geboren in den USA im Jahr 1959, wurde auch er zum Rabbiner ordiniert und gründete mit der Hampton Synagogue eine eigene, sehr erfolgreiche Synagogengemeinde. Weniger Anklang fanden allerdings sein Privatleben: Marc Schneier ist zum sechsten Mal verheiratet, vor allem aber werden ihm zahlreiche Affären nachgesagt. Er trat schließlich als Vorsteher der Hampton Synagogue zurück und wurde aus dem Rabbinical Council of America ausgeschlossen.
In die Fußstapfen seines charismatischen Vaters trat er mit der Gründung der „Foundation for Ethnic Understanding“, deren Ziel die Verbesserung der muslimisch-jüdischen Beziehungen ist: „Erfreulicherweise gibt es heute in den Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum keine großen Probleme mehr“, so Schneier Junior. „Als jüdische Freunde des Papstes aus Argentinien ihn in Rom besuchten, bestand die größte Schwierigkeit darin, zu entscheiden, in welchem koscheren Restaurant sie mit Franziskus zu Mittag essen würden“, erinnert sich Rabbi Marc Schneier im Gespräch mit NU.
Für ihn ist die große Herausforderung des 21. Jahrhunderts, einen Weg zu finden, um die Kluft zwischen Muslimen und Juden zu verkleinern. Schließlich gebe es 14 Millionen Juden auf der Welt und 1,4 Milliarden Muslime. Das werde in einigen Teilen der Welt zu einer immer größeren Herausforderung, weshalb er versuche, führende Persönlichkeiten des Judentums in den USA und im Ausland von der Bedeutung des interreligiösen Dialogs zu überzeugen.
Im Zuge seines Engagements kam es indes zu umstrittenen Treffen – angeblich auch mit Louis Farrakhan, dem Führer der Nation-of-Islam-Bewegung, der sich schon des öfteren antisemitisch äußerte. Kritisiert wurde auch Schneiers Kontakt zur islamischen Bürgerrechtsorganisation Council on American-Islamic Relations (CAIR), der vorgeworfen wird, mit der palästinensischen Terrororganisation Hamas in Kontakt zu stehen. Gemeinsam mit dem Imam Shamsi Ali – Vorsitzender der Al-Hikmah Moschee und Direktor des Jamaica Muslim Center im New Yorker Stadtteil Queens – ist er Co-Herausgeber des Buches Sons of Abraham: A Candid Conversation about the Issues that Divide and Unite Jews and Muslims.
Auf die Frage, wie denn die Reaktion in der muslimischen Welt auf seine Initiativen wäre, meint er: „Unterschiedlich. Ich finde, dass es sehr viele Muslime gibt, sowohl in der Führung als auch an der Basis, die sich im Dialog mit uns Juden engagieren. Natürlich ist der Konflikt mit Israel eine Quelle von Problemen. Der Islam steht dem Judentum aber näher als jede andere Religion. Wir teilen als Kinder Abrahams den gleichen Glauben und das gleiche Schicksal. Wir haben uns auf diesen Weg gemacht, nachdem wir die Beziehungen zwischen der afroamerikanischen und der jüdischen Community wiederhergestellt hatten, die Anfang der 1990er Jahre einen historischen Tiefpunkt erreicht hatten. Die muslimisch-jüdischen Beziehungen sind eine ganz andere Herausforderung. Aber es dauerte auch vierzig Jahre, bis Moses die Juden ins Heilige Land brachte. Wir sind sicher noch nicht im Heiligen Land und zu einer muslimisch-jüdischen Versöhnung gelangt. Aber das Gute ist, dass die Reise begonnen hat.“
Seit einigen Jahren arbeitet Schneier, der laut US-Medienberichten 2018 Verbindungen zwischen der Regierung Katars und der jüdisch-amerikanischen Community hergestellt haben soll, am Aufbau einer jüdischen Gemeinde in den Vereinigten Arabischen Emiraten: „Die jüdische Gemeinde hat sich voll Energie und divers entwickelt. Die lokalen Behörden haben die Einrichtung von Synagogen genehmigt, koschere Restaurants haben geöffnet und zehntausende Israelis wurden als Touristen willkommen geheißen.“
Auch in Bahrain wurde die jahrhundertealte Synagoge saniert und wiedereröffnet. In Marokko wurden im vergangenen Dezember zum ersten Mal wieder Chanukka-Kerzen öffentlich gezündet, die traditionsreiche Geschichte des marokkanischen Judentums wurde in den Lehrplan der öffentlichen Schulen aufgenommen.
Vor wenigen Wochen schließlich trug Marc Schneier, der ebenso wie sein Vater gute Beziehungen zu Österreich pflegt und immer wieder hier zu Gast ist, erfolgreich dazu bei, ein erstes Telefonat zwischen dem neugewählten israelischen Präsidenten Isaac Herzog und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan herzustellen: ein weiterer Schritt zur Bewältigung einer großen Herausforderung.