Von der Koranschule zum Museum

Das vor einem Jahr eröffnete Jüdische Museum in Oslo arbeitet auf, was in Norwegen gerne vergessen wird. Etwa, dass es trotz der liberalen Grundausrichtung des Landes eine antisemitische Tradition gegeben hat.
Von Gabriele Anderl

Das unauffällige Wohnhaus in der Calmeyers gate 15b in Oslo lässt nicht vermuten, dass sich an dieser Adresse einst eine Synagoge befunden hat: Der 1921 errichtete Sakralbau ist diskret im Hinterhof versteckt und dient seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr seinem ursprünglichen Zweck. Das Gebäude wurde vermietet, im Inneren baulich verändert und über die Jahrzehnte zu verschiedensten Zwecken genutzt: als Lagerhalle einer Großhandelsfirma, als Schwulensauna, Tierspital und zuletzt als kurdisches Kulturzentrum mit angeschlossener Koranschule. Bis vor einigen Jahren die Entscheidung fiel, in den Räumlichkeiten der alten aschkenasischen Synagoge ein jüdisches Museum einzurichten. Das Jødisk Museum i Oslo wurde im September 2008 eröffnet. Es kooperiert eng mit der lokalen jüdischen Gemeinde, ist aber eine unabhängige Einrichtung – finanziert vom Staat, von der Stadt Oslo sowie einer großteils aus nichtjüdischen Mitgliedern bestehenden Gesellschaft der Museumsfreunde.

Von der Innenausstattung der Synagoge sind keine Fotos erhalten, es gibt nur Beschreibungen. Allerdings wurden im Zuge der Adaptierungsarbeiten für das Museum Reste alter Wandmalereien und Inschriften entdeckt und restauriert. Die Calmeyers gate liegt am östlichen Rand der Osloer Innenstadt, im Hausmanns Viertel, einem Stadtteil mit immer noch vergleichsweise niedrigen Mieten und einer traditionell starken Präsenz von Migranten. Hier hatte sich auch ein Gutteil der jüdischen Einwanderer niedergelassen, die nach 1851 ins Land gekommen waren. Die meisten von ihnen waren bei ihrer Ankunft bettelarm gewesen. Als Hausierer hatten sie zu Fuß das Land durchquert, bis sie genügend Kapital zusammengetragen hatten, um eigene Geschäfte zu gründen. Bis zum Jahr 1940 – dem des deutschen Überfalls auf Norwegen – war so eine relativ wohlhabende jüdische Gemeinschaft entstanden. Obwohl gut integriert, hatten sich ihre Mitglieder nie völlig assimiliert, sondern eine eigene jüdisch- norwegische Identität entwickelt. Die Zahl der Juden in Norwegen war immer extrem klein gewesen. 1940 waren es im ganzen Land rund 2.100, 1.500 bis 1.600 von ihnen in Oslo und Trondheim. Eingerechnet sind dabei bereits die Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland.

Die heutige jüdische Gemeinde in Oslo besteht zu einem kleineren Teil aus Holocaustüberlebenden und deren Nachfahren, zum überwiegenden aber aus Neuzuwanderern, vor allem aus Osteuropa und Israel, die meist in den 1980er und 1990er Jahren ins Land gekommen sind.

Der Museumsdirektorin, Sidsel Levin, und ihrem dreiköpfigen Team geht es in ihrer Arbeit vor allem darum, die Geschichte dieser kleinen jüdischen Gemeinschaft und deren Einfluss auf das öffentliche und kulturelle Leben in Norwegen zu dokumentieren. Denn anhand exemplarischer Biographien lässt sich zeigen, dass diese Geschichte – trotz der schwierigen Ausgangsbedingungen und der historischen Brüche – auch eine Erfolgsgeschichte ist.

Grundlagen für die Präsentationen des Museums sind eine Sammlung von Objekten und alten Fotos, das als Leihgabe zur Verfügung gestellte Archiv der jüdischen Gemeinde von Oslo sowie eine Datenbank der norwegischen Holocaustopfer. Das Museum dient auch als Kulturzentrum, in dem regelmäßig themenbezogene Veranstaltungen – Lesungen, Vorträge und Konzerte – stattfinden. Eröffnet wurde es 2008 mit der Ausstellung „Freedom is never won once and for all“, in der vor allem auch die Verdienste des norwegischen Dichters Henrik Wergeland (1808–1845) gewürdigt werden.

Wergeland hatte unermüdlich gegen jenen Paragraphen in Artikel 2 der norwegischen Grundverfassung von 1814 gekämpft, der Juden die Einwanderung verboten hatte. Der Paragraph war 1851 – wenige Jahre nach Wergelands Tod – gestrichen worden. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen war es erst ab den 1880er Jahren zu einem stärkeren Zuzug von Juden, vor allem aus dem baltischen Raum, gekommen.

Mit der Ausstellung wurde explizit auch ein Thema aufgegriffen, das in Norwegen erst seit den 1990er Jahren öffentlich diskutiert wird: die Tatsache, dass es trotz der liberalen Grundausrichtung des Landes und der geringen zahlenmäßigen Präsenz von Juden auch hier eine antisemitische Tradition gegeben hat, vor allem in Teilen der Bürokratie. Bereits nach 1917 war die jüdische Zuwanderung wieder zum Erliegen gekommen, nachdem sich wegen der zahlreichen Kriegsflüchtlinge aus Russland und solche vor der Oktoberrevolution in der Presse und innerhalb des für die Immigration zuständigen Justizministeriums die Vorstellung einer kommunistisch- jüdischen Verschwörung breitgemacht hatte. Auch Juden, die schon viele Jahre in Norwegen lebten, wurden von da an meist nicht mehr eingebürgert. Selbst nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland änderte sich an der restriktiven Haltung wenig: Es war für Flüchtlinge nahezu unmöglich, in Norwegen Aufnahme zu finden. Lediglich einige hundert Transitvisa wurden ausgestellt, und eine Gruppe von 20 jüdischen Kindern aus Wien durfte einreisen.

Nach Kriegsende wurde der Widerstand gegen die deutschen Besatzer heroisiert, die Kollaboration des Marionettenregimes unter Vidkun Quisling sowie die Mitbeteiligung der heimischen Bürokratie an der Deportation von 772 Juden hingegen fast vollständig ausgeblendet.

Die Einrichtung des Jüdischen Museums in Oslo ist im Wesentlichen ein Resultat des Wandels im Bewusstsein der norwegischen Gesellschaft, der in den 1990er Jahren eingesetzt hat. Der Historiker Bjarte Bruland, heute Chefkurator des Museums, hatte maßgeblichen Anteil an diesem Veränderungsprozess. In den 1990er Jahren hatte er sich in seiner Diplomarbeit mit der Entziehung jüdischen Vermögens in Norwegen während des Zweiten Weltkriegs befasst. Er hatte auch dem 1996 vom Justizministerium eingesetzten und aus Historikern, Juristen und Staatsbeamten bestehenden Komitee angehört, das sich mit den Themen Vermögensentzug und Restitution in Norwegen befasste. Da sich die Mehrzahl der Mitglieder geweigert hatte, eine Mitschuld Norwegens einzuräumen, war es zur Spaltung gekommen. Erstaunlicherweise wurde der Bericht der Minderheitsfraktion, der auch Bruland angehörte, zur Grundlage der weiteren politischen Entscheidungen. Bruland hatte nicht nur nachgewiesen, dass das jüdische Vermögen der Deportierten größtenteils dem norwegischen Staat zugefallen war, sondern auch, dass sich dieser nach dem Krieg einen Großteil der noch vorhandenen Werte einverleibt hatte.

1999 beschloss das Storting, das norwegische Parlament, einstimmig die Aufwendung eines Gesamtbetrages von umgerechnet 58 Millionen US-Dollar. Sie waren zu einem Teil für die individuelle Entschädigung jüdischer Verfolgter und deren Erben vorgesehen, zum anderen sollten sie den jüdischen Gemeinden in Norwegen zufließen und den Aufbau von Einrichtungen zur Aufarbeitung der norwegischen Vergangenheit ermöglichen. 2006 wurde auf der Halbinsel Bygdøy in Oslo das Holocaust Center (HL-Senteret) eröffnet – ein Forschungs- und Dokumentationszentrum, das sich auch mit der Situation ethnischer und religiöser Minderheiten in der Gegenwart beschäftigt. In Trondheim, wo bereits 1996 ein kleines jüdisches Museum eingerichtet worden war, konnte mit den staatlichen Geldern das jüdische Gemeindezentrum neu gestaltet und die alte Synagoge revitalisiert werden.

Auch die Einrichtung des Jüdischen Museums in Oslo ist wesentlich ein Resultat dieser Entwicklungen. Nach dem Ende der laufenden Ausstellung Mitte Dezember wird das Haus bis zur Eröffnung einer Schau über jüdische Feiertage im Frühjahr 2010 wegen weiterer Ausbauarbeiten geschlossen bleiben. Eine permanente Ausstellung ist im Moment nicht geplant, da sich die Museumsleitung bislang vergeblich darum bemüht hat, durch den Ankauf der gesamten in Privatbesitz befindlichen Liegenschaft mehr bespielbare Fläche zu gewinnen.

JÜDISCHES MUSEUM
JØDISK MUSEUM I OSLO

Calmeyers gate 15b, N-0183 Oslo
Tel: +47/22 20 84 00
www.jodiskmuseumoslo.no
Öffnungszeiten
Dienstag 10–15 Uhr
Donnerstag 14–19 Uhr
Sonntag 11–16 Uhr

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