Viel Lärm um nichts?

Wenn es ein Land auf der Welt gibt, in dem man sich nie langweilt, ist es Israel.
VON ANITA HAVIV-HORINER, TEL AVIV

Jitzchak Herzog und Tzipi Livni: „Entweder wir oder er“
Jitzchak Herzog und Tzipi Livni: „Entweder wir oder er“

Jetzt gerade ist der jüdische Staat im Wahlfieber, allerdings scheint mir, dass es in erster Linie die Politiker und die Medien schüttelt. Das Volk Israel indes hat die Nase voll von der in unserem Land besonders beliebten Phrasendrescherei und der sich ständig ausbreitenden Korruption. Aus einer Umfrage der Universität Haifa geht hervor, dass 65 % der Bevölkerung ihren Abgeordneten kein Vertrauen schenken, 64 % der Bürger verlassen sich nicht auf ihre Minister, und 68 % stehen politischen Parteien äußerst skeptisch gegenüber. Selbst die sonore Stimme des Ministerpräsidenten kann die Frustration im Land nicht mehr übertönen. Das hält ihn natürlich nicht davon ab, sich auch weiterhin mit bombastischen Reden an uns Israelis zu wenden, um uns zu überzeugen, dass er einfach unersetzlich ist. Der amerikanische Milliardär Sheldon Adelson hat ihm dafür auch ein schriftliches Sprachrohr geschaffen, die zu Recht Israel Heute benannte Tageszeitung, selbstverständlich gratis verteilt. Diese versuchte auch den peinlichen Skandal um die angebliche Pfandflaschensammlung der First Lady und den auf Staatskosten gepflegten, fürstlichen Lebensstil der Familie Netanjahu abzubügeln.

Peinliche Auftritte
In Israel ist es Tradition, dass die Politikerinnen und Politiker in beliebten Satiresendungen auftreten, wenn sie wieder einmal um die Gunst der Wähler buhlen. Manche zeigen sich der Herausforderung gewachsen, andere machen sich eher lächerlich. Tzipi Livni, bis Dezember 2014 noch Justizministerin, äußerte sich in der Sendung „Zur Lage der Nation“ eine Spur derber als unbedingt erforderlich über ihren ehemaligen Koalitionspartner Netanjahu. Ihr peinlicher Auftritt ging nach hinten los, schließlich hatte der Premierminister sie wenige Wochen zuvor gefeuert. Die Arme der robusten Sportlerin dürften vom anschließenden Zurückrudern stark geschmerzt haben.

Zahava Galon, die Vorsitzende von Meretz, schlüpfte vor laufender Kamera in das Kostüm einer Siedlerin und machte damit nicht unbedingt eine witzige Figur.

Naftali Bennett, der in Raanana, einer gemütlichen Vorstadt von Tel Aviv, residierende Siedler-Messias, verkleidete sich wiederum als bebrillter Linker. Der „Nerd“ entschuldigte sich bei allen, die ihn anrempeln oder seinen Kaffee verschütten. Letztere stehen metaphorisch für die Palästinenser, Europa und wohl auch den amerikanischen Präsidenten. Der krönende, wenn auch nicht ganz unerwartete Abschluss seiner Performance lautete: „Genug, wir entschuldigen uns nicht mehr, wir lieben Israel.“ Die Botschaft war klar: Die Liebe zu Israel ist das Monopol der Wähler seiner Partei „Das Jüdische Haus“, alle anderen fallen wohl in die Kategorie jüdischer Selbsthasser. Man muss kein biblischer Prophet und nicht einmal ein Umfrageexperte sein, um zu erraten, dass Bennett mit diesem Clip einen Hit landen konnte.

In diesem mannigfaltigen Geschehen darf eine Prise Shoa – ein beliebtes Motiv rechter Politiker – nicht fehlen. Diesmal spielte der frühere Außenminister Silvan Shalom diese Karte aus. Er ließ sein Antlitz über einem gelben Judenstern ablichten. Damit wollte er der Welt kundtun, dass er der Initiator des Internationalen Holocaust-Gedenktages am 27. Januar sei. Nach empörten Protesten verschwand das peinliche Foto von seiner Facebook-Seite.

Außenminister Lieberman hingegen scheint nicht zum Scherzen aufgelegt zu sein. In gewohnter Manier wettert er bei jeder Gelegenheit gegen die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Medien, denn seine Partei ist in einen massiven Korruptionsskandal verwickelt. Er fragt sich wohl, wie viele seiner Abgeordneten die nächste Legislaturperiode in Haft verbringen werden.

Die Erhöhung der Eintrittshürde in der Knesset von zwei auf 3,25 Prozent der Wählerstimmen vollbrachte wahre Wunder. Die sonst untereinander eher zerstrittenen arabischen Parteien konnten sich auf eine Liste einigen, deren originelles Spektrum von islamisch orientierten Gruppen bis hin zu säkularen ehemaligen Kommunisten reicht. Es bleibt abzuwarten, wie lange das einzige gemeinsame Ziel, nämlich den jüdischen Staat durch einen „Staat aller seiner Bürger“ zu ersetzen, dieses politische Konstrukt zusammenhalten wird. Dieser Begriff ist eine elegante Umschreibung für die Vision eines bi-nationalen Staates, Schreckgespenst der jüdischen Wähler. Daher schockierte Avraham Burg, ehemaliger hochrangiger Politiker der Arbeitspartei, die Öffentlichkeit mit seinem Beitritt zu „Chadasch“, der arabischkommunistischen Partei. Das ist in der Tat ein großer Sprung für den Sohn einer prominenten national-religiösen Familie, der seine Glatze nach wie vor mit einer Kippa schmückt.

Das Traumpaar der israelischen Politik
Kein Wunder, dass manche Israelis sich genauso als Chamäleons entpuppen wie ihre politischen Vertreter. Meine Nichte Ruthi zum Beispiel wird am 17. März dem Likud ihre langjährige Treue entziehen und Naftali Bennett ihr Votum schenken. Auch meine Nachbarin Ronit outete sich als Wechselwählerin. Die 42-Jährige, seit ihrer Jugend Mitglied von Meretz, wird diesmal ihre Stimme dem „Zionistischen Lager“, der gemeinsamen Liste der Arbeitspartei und der von Tzipi Livni gegründeten Tnua (Bewegung) geben. „Ich übe mich eben in Realpolitik“, rechtfertigte sich die Wankelmütige. Damit meinte sie, dass die Achse Jitzchak Herzog und Tzipi Livni die einzige – wenn auch geringe – Chance für diejenigen Israelis darstellt, die eine Abwahl des regierenden Premierministers anstreben. Das neue unzertrennliche Traumpaar der israelischen Politik präsentiert sich als die Alternative zum amtierenden Premier. „Nur nicht er“, verkünden sie bei jeder Gelegenheit. Ihr Wahlkampf ist darauf aufgebaut, dem Volk das Versagen ihres Rivalen in den Kopf zu hämmern. Allerdings wünscht sich so mancher Wähler ähnliche Klarheit bei der Darstellung ihres politischen und gesellschaftlichen Programms. Wie dem auch sei, voller Optimismus haben sich die beiden für den Fall ihres Wahlsieges schon jetzt auf ein Rotationsverfahren für das Amt des Ministerpräsidenten geeinigt.

Netanjahu, ein Meister im Schüren durchaus berechtigter existenzieller Ängste vieler Israelis, blieb seinen Kontrahenten nichts schuldig. In einem Videoclip kündigte er dem verschreckten Volk an, dass die Linke den Terror nicht bekämpfen würde und brachte gleich ISIS ins Spiel. Ob der Premier in den letzten Jahren seinen Wählern die versprochene Sicherheit geboten hat, sei allerdings dahingestellt.

Mein 90-jähriger Freund Moshe scheint von den Entscheidungsträgern seines Landes und auch von seinen Mitbürgern keineswegs begeistert zu sein. Empört postete er auf Facebook: „Charisma! Charisma! Charisma! Hört doch auf, bei den Wahlen nach einem Messias zu suchen. Fragt doch endlich ‚Wohin führst du eigentlich unser Land?‘“ Mit diesem Aufruf zum Fragezeichen sprach mir der Senior aus dem Herzen. Warum das Charisma eines Politikers für seine Wähler wichtiger sein sollte als seine tatsächlichen Errungenschaften, war mir immer schon ein Rätsel. Als ich einmal einer Aktivistin genau diese Frage stellte, blickte sie mich entgeistert an und meinte: „So tickt Politik nun mal.“ Aha … Nur, welchen Gewinn hat zum Beispiel das legendäre Charisma von Netanjahu für den jüdischen Staat eigentlich gebracht, außer unerschwinglichen Wohnungspreisen, dem Ausbau der Siedlungen, internationaler Isolation und keinem Sieg über die Hamas? Da hat doch der biblische König David wesentlich mehr vorzuweisen. Und er konnte auch noch Harfe spielen.

Die etwas deterministische Antwort eines jungen Israeli auf Moshes Frage lautete: „Hast du denn vergessen, dass ein Teil des Volkes Israel tausende Jahre falschen Propheten gefolgt ist? Das ist anscheinend in unserer DNA.“ Solchem Pessimismus möchte ich mich nun doch nicht verschreiben, denn ein Teil meiner jüdischen DNA ist, die Hoffnung nie aufzugeben, selbst unter den widrigsten Umständen.

Das bunte Treiben zu beobachten wäre fast amüsant, „Viel Lärm um nichts“, könnte man mit Shakespeare sagen. Doch es geht um existenzielle Fragen für die Zukunft des Landes, denen wir Israelis uns nicht immer stellen wollen. Nachdem die Politiker aller Couleurs am 17. März ihre Wahlgimmicks einstellen werden, müssen sie wohl Moshes Frage beantworten: „Wohin wollt ihr Israel eigentlich führen?“ Erfahrungsgemäß wäre die ehrlichste Antwort: in den nächsten Wahlkampf.

 

Dieser Beitrag wurde vier Wochen vor den israelischen Wahlen verfasst.

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