Die Debatte über antisemtische Karikaturen auf der Documenta fifteen sorgt seit Wochen für empörte Aufregung und teilweise maßlose Anschuldigungen. Zwei Kommentare zum Thema.
Moralisch bankrott
Von Philipp Peyman Engel
Die Documenta war angetreten, um dem Globalen Süden endlich eine Stimme zu geben. Zu Recht. Doch von der Weltkunstschau werden Werke aus Indonesien, Algerien oder Gaza in Erinnerung bleiben, die eindeutig judenfeindlich sind.
Selten war die jüdische Gemeinschaft in Deutschland so in Aufruhr. Ganz gleich, mit wem man in den letzten Monaten zwischen Berlin und Bonn oder Konstanz und Kiel gesprochen hat – mit Schoa-Überlebenden, Künstlern, F.unktionären, Journalisten oder ganz normalen Gemeindemitgliedern –, die Betroffenheit, das Entsetzen, ja der Schock unter jüdischen Deutschen ist immens.
Die weltweit wichtigste Kunstausstellung Documenta sorgt seit Monaten für einen Antisemitismus-Skandal nach dem anderen, jeder für sich genommen mit einer Tragweite, wie man es bis vor kurzem noch für undenkbar gehalten hätte. Es ist ein Scheitern, das seinesgleichen sucht.
Was unterscheidet die Documenta in Kassel eigentlich noch vom antisemitischen Karikaturenwettbewerb in Teheran, den die iranischen Mullahs regelmäßig ausrichten? Die bittere Antwort: offenkundig nicht mehr viel.
In der ohnehin schon endlos scheinenden Reihe an Antisemitismus-Skandalen ist nun jüngst ein weiterer Eklat hinzugekommen: Erneut werden auf der Documenta übelste judenfeindliche Darstellungen gezeigt. Diesmal im Fridericianum, in dem ein Raum dem Kampf algerischer Frauen um Emanzipation gewidmet ist.
Dort wird eine faksimilierte Broschüre ausgestellt, in der sich von der Kindermord-Legende über judenfeindliche Karikaturen in Stürmer-Manier samt Hakennase bis hin zu Vergewaltigungsfantasien sämtliche Facetten des Antisemitismus finden.
Den Weg dafür frei gemacht hat, man muss das so klar sagen, Documenta-Interimschef Alexander Farenholtz. Noch wenige Tage vor dem neuesten Judenhass-Fund auf seiner Ausstellung hatte er angekündigt, die Ausstellungen nicht in Hinblick auf Antisemitismus überprüfen zu wollen. Stattdessen schwadronierte der Kulturmanager davon, dass „die Documenta als Ausstellung auf einem hervorragenden Kurs“ sei: „Die Zahlen sind sehr gut, die Stimmung auch.“
Nein, das ist sie nicht. Zumindest nicht in der jüdischen Gemeinschaft. Die Documenta ist moralisch bankrott. Es ist mehr als fraglich, ob das Konzept Weltkunstausstellung Kassel nach diesem Scheitern vor aller Welt jemals wieder funktionieren kann. Der nun einzige richtige Schritt wäre es, die Documenta 15, die als antisemitische „Documenta der Schande“ in die Geschichte eingehen wird, endlich zu beenden.
Zur Erinnerung: Auf der Kunstschau war nach ihrer Eröffnung im Juni ein massiv judenfeindliches Werk der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi gezeigt worden. Monate zuvor waren Antisemitismus-Vorwürfe gegen die indonesischen Kuratoren Ruangrupa laut geworden. Jüdische Künstler aus Israel wurden von ihnen bewusst gar nicht erst eingeladen. Stattdessen wurde die BDS-Verharmloserin Emily Dische-Becker beschäftigt, die Angehörigen der Documenta Nachhilfe in Sachen Israelhass gab, wie ein geleaktes Video dieser Tage eindrücklich zeigte.
Auch der Gaza-Guernica-Zyklus von Mohammed al Hawajri verdreht den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern und dämonisiert Israel. Die Installationen der Halal-Frittierhähnchenimbisse von Hamja Ahsan und die Filme der Japanischen Roten Armee aus dem Umfeld des früheren Linksterroristen und Regisseurs Masao Adachi verharmlosen Terroranschläge gegen Israelis und verhöhnen dadurch die Opfer. Die Filme werden von der Documenta als Zeichen der Solidarität zwischen Japanern und Palästinensern bezeichnet. Das ist Verherrlichung von Terror. Trotz lauter Kritik ist all das nach wie vor in Kassel öffentlich zu sehen.
Die Documenta fifteen war angetreten, um dem Globalen Süden endlich eine Stimme zu geben. Zu Recht. Doch von dieser Weltkunstschau werden ausschließlich Werke aus Indonesien, Algerien oder Gaza in Erinnerung bleiben, die eindeutig judenfeindlich sind.
Wenn das die viel gepriesene Perspektive des Globalen Südens ist, dann möge man uns damit bitte verschonen. Oder in Deutschland nie wieder „Nie wieder“ sagen. Entmenschlichende Karikaturen wie die auf der Documenta sind uns bereits aus der jüngeren deutschen Geschichte zur Genüge bekannt – ihre katastrophalen Folgen erst recht.
Philipp Peyman Engel ist Chef vom Dienst der „Jüdischen Allgemeinen“
Schluss mit dem Kunstwelpenschutz
Von Andrea Schurian
Was regt eine kunstsaturierte Gesellschaft noch auf, außer der Verwendung des falschen Pronomens sowie fehlenden Gendersternen und -unterstrichen? Genau! Nichts. Mediokre Kunst schon gar nicht, im Gegenteil: Da wird hineininterpretiert, was bei genauerem Hinsehen doch nicht hält. „Interessant“ ist übrigens ein stets adäquates Nullwort, um elegant ins argumentative Leo zu gelangen.
So gesehen ist der antisemitische Kunstbetriebsunfall auf der Documenta 15 in Kassel eine echte Herausforderung, weil: Freiheit der Kunst! Wenn Kuratoren und Kunstschaffende dann noch dazu Künstlerkollektive aus dem globalen Süden sind, fordern woke Zeitgenossen instant eine Art Kunstwelpenschutz – und merken gar nicht, wie herablassend und paternalistisch das ist.
Mit Diskurs auf Augenhöhe hat das jedenfalls nichts zu tun. Oder ist Antisemitismus und ein mit Raffzähnen gemalter Jude weniger verwerflich in Weltgegenden, die man früher als Schwellenländer bezeichnet hätte? By the way: Wo verläuft die Demarkationslinie zum globalen Süden? Israel gehört offensichtlich nicht dazu, obwohl es ebenso südlich oder gar südlicher liegt als z.B. Tunesien, Syrien oder der Irak.
Trotzdem stellt auf der Documenta15 kein israelischer Künstler (m/w/*) aus. Auch die erste Documenta im Jahr 1955 war übrigens judenfrei: Ihr Mitgründer und spätere Direktor der Neuen Nationalgalerie Berlin, Werner Haftmann (1912–1999), der im Zweiten Weltkrieg an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen war, fand nämlich, dass mit Ausnahme von Marc Chagall Juden für die moderne Kunst keine Relevanz hätten.
Heuer hat das Documenta-Kuratorenkollektiv Ruangrupa eine erkleckliche Anzahl an BDS-Aktivisten nach Kassel geholt. BDS ist das Akronym für Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen und hat das Ziel, Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren und letztlich zu vernichten. So gastiert u.a. das Khalil al-Sakakini Cultural Center (KSCC), benannt nach dem palästinensischen Hitler-Sympathisanten Khalil al-Sakakini (1878–1953), in Kassel. Auf dem Kasseler Friedrichsplatz wurde der acht mal zwölf Meter riesige antisemitische Wimmelbildkitsch „People’s Justice“, made by Taring Padi aus Indonesien, zuerst auf-, dann ver- und schließlich abgehängt. Man habe, so Taring Padi, nicht gewusst, dass ein orthodoxer Jude mit SS-Symbol am Hut oder ein mit „Mossad“ beschrifteter Helm über einem Schweinsgesicht antisemitisch sei. Echt?
Anders als „People’s Justice“ hängt das nicht minder antisemitische Werk „Guernica Gaza“ immer noch. Auch die von der Initiative „Archives des luttes des femmes en Algérie“ ausgestellte Broschüre mit Zeichnungen, die dem Staat Israel die Legitimität absprechen, liegt nach wie vor auf. Ruangrupa findet die Karikaturen nicht antisemitisch und der Documenta-Interimschef Alexander Farenholtz auch nichts Anrüchiges daran. Mit dem Hinweis, „dass Zensurbehörden ihre Geschichte und ihren Kontext in Deutschland und weltweit haben“, lehnen die Künstlerkollektive die Empfehlung des Aufsichtsrates, „in einen Prozess der Konsultation mit Wissenschaftlern aus dem Bereich des zeitgenössischen Antisemitismus einzutreten“, in einem offenen Brief strikt ab.
Zu viel echte Auseinandersetzung? Zu viel nord-südgefällige Nachhilfe? Dass Mitglieder von Taring Padi nur mehr unter Polizeischutz durch Kassel gehen können, ist allerdings auch bestürzend. Denn ein offen geführter Disput tut der Kunst ebenso wie der Gesellschaft prinzipiell immer gut. Die überwiegende Mehrzahl der an 32 Schauplätzen ausgestellten Arbeiten ist nicht antisemitisch. Vieles ist spannend, anderes belanglos, manches von gehobener Fadesse, wie das halt so ist bei Groß- und Gruppenausstellungen. Aber vielleicht sollte man sich tatsächlich der Frage stellen, ob Megaevents wie die prätentiös „Weltkunstschau“ genannte Documenta überhaupt noch zeitgemäß sind. Womöglich entpuppt sich die Ausgabe Nr. 15 ja nun als hunderttägige Begräbnisfeierlichkeit für das „Schafstallgeblöke der kulturellen Identitäten“ (Bazon Brock).
Andea Schurian ist „NU“-Chefredakteurin